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US-Gesundheitsreform: Obamas Schicksalstag

Entscheidender Tag für Barack Obama: Vor der Abstimmung über die Gesundheitsreform ist die Mehrheit des US-Präsidenten ungewiss.

14 Monate nach Beginn seiner Präsidentschaft steht Barack Obama vor einem Schicksalstag. Für diesen Sonntag ist die entscheidende Abstimmung im Abgeordnetenhaus über die Gesundheitsreform angesetzt, das zentrale innenpolitische Wahlversprechen des US-Präsidenten. Ein Erfolg würde die Rückschläge der letzten Monate überstrahlen. Der Präsident und seine Demokratische Partei könnten wieder mit Zuversicht in die Kongresswahl im Herbst gehen. Scheitert das Projekt, werden die Republikaner die Kritik und den Hohn über einen Präsidenten, der große Reden schwinge, aber wenig zustande bringe, vervielfachen.

Die Dramatik der Lage lässt sich an den Korrekturen in Obamas Terminkalender ablesen. Die mehrtägige Asienreise, zu der er ursprünglich am Donnerstag aufbrechen wollte, wurde erst um drei Tage verkürzt, dann ganz gestrichen. In den letzten Tagen konzentrierte er sich darauf, mit öffentlichen Reden in Wahlkreisen zögernder Parteifreunde von Ohio bis Virginia für die Reform zu werben und weitere Parlamentarier hinter den Kulissen zu bearbeiten.

„Ein Thema drückt alle anderen an den Rand“, analysiert die „New York Times“. 38 Reden habe der Präsident in den letzten fünf Wochen gehalten. Nicht ein Mal habe er dabei solche Worte wie „Terrorist“ und „Taliban“ benutzt oder über den Streit mit Israel um den Siedlungsbau gesprochen. 750 Mal kamen die Begriffe „Gesundheit“ und „Versicherung“ vor.

Trotz Obamas Einsatz bleibt unklar, ob die Demokraten die nötigen 216 Ja-Stimmen zusammen haben. Die Republikaner wollen die Reform geschlossen ablehnen. Am Sonnabend traf sich Obama abermals mit demokratischen Abgeordneten, die fürchten, im Herbst nicht wiedergewählt zu werden, wenn sie das Projekt unterstützen. Die Reform ist nicht populär, nicht nur in konservativen Kreisen, sondern auch in der Mitte der Gesellschaft. Die Vorteile, die sie einzelnen Gruppen der Gesellschaft bringt, werden in anderen Gruppen als neue Kostenbelastung wahrgenommen.

Ungefähr 32 Millionen der insgesamt 47 Millionen Bürger ohne Versicherung sollen mit der Gesundheitsreform neu in das System einbezogen werden; das entspricht zehn Prozent der Bevölkerung, die übrigen fünf Prozent bleiben weiter draußen. Doch diese Ausweitung des Schutzes muss bezahlt werden. Jene 85 Prozent der Bevölkerung, die bereits eine Versicherung haben, befürchten generell, dass sie stärker zur Kasse gebeten und die Leistungen zugleich eingeschränkt werden. Denn ein weiteres zentrales Ziel ist die Begrenzung der Kosten, die seit Jahren viel schneller steigen als die übrigen Preise. Allgemeinen Beifall finden Klauseln, die Missbrauchspraktiken der Versicherer einschränken. Anders als in Deutschland müssen US-Bürger zum Beispiel häufig ihre Versicherung wechseln, weil sie ihre Police nicht zu einem neuen Arbeitgeber oder beim Umzug in einen anderen Bundesstaat mitnehmen dürfen. Beim Neuabschluss gelten Krankheiten, welche die Betreffenden bereits hatten, dann als „preexisting condition“: als Vorbelastung, die vom Versicherungsschutz ausgenommen ist. Diese und ähnliche Praktiken sollen mit der Reform ein Ende haben.

Eine staatliche Versicherung als Konkurrenz zu den privaten Anbietern, die Obama zunächst wollte, wird es aber nicht geben. Denn US-Bürger haben wenig Vertrauen in den Staat und einen umso größeren Glauben an den Nutzen der Privatwirtschaft. In Umfragen hält etwas mehr als die Hälfte der Bevölkerung den Umfang der Reform selbst in der reduzierten Fassung für einen zu großen Eingriff des Staates in private Bereiche.

Nach Berechnungen der Budgetabteilung des Kongresses wird die Reform unter dem Strich zu 940 Milliarden Dollar Mehrkosten über die nächsten zehn Jahre führen. Die Experten rechnen parallel vor, dass dies insgesamt zu einer Ersparnis für die öffentlichen Kassen und zu einer Reduzierung der Staatsverschuldung führen werde, weil die Kosten ohne Reform noch schneller steigen würden. Doch bei vielen Bürgern kommt vor allem die Nachricht an, dass das System erneut um viele Milliarden teurer wird.

Die US-Medien begleiten die Ungewissheit über den Ausgang mit Erstaunen. Sie können sich einerseits nicht vorstellen, dass Obama das Schicksal seiner Präsidentschaft wie ein Glücksspiel behandelt. Andererseits kommen sie bei ihren Berechnungen über das mutmaßliche Verhalten der einzelnen Demokraten zu dem Ergebnis, dass noch sechs bis zwölf Ja-Stimmen unsicher sind. In manchen Blättern wird spekuliert, dass die Abstimmung im Zweifel noch einmal verschoben wird. In anderen Zeitungen heißt es, die Parteiführung sei sich der nötigen Mehrheit sicher. Hinter den Kulissen gehe es nur noch um die Frage, welchen Abgeordneten sie erlaubt, mit Nein zu stimmen, um deren Aussichten für die Wiederwahl im Herbst zu verbessern.

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