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US-Haushaltsstreit: Der Kompromiss könnte gelingen

Rot gegen Blau: Im Ringen von Republikanern und Demokraten um den US-Haushalt zeichnet sich ein Kompromiss ab. Entgehen die USA der Pleite?

Einen Tag vor der Staatspleite in den USA haben sich die Republikaner am Mittwoch an eine höhere Macht gewandt. Die vorletzte Fraktionssitzung im Repräsentantenhaus begann mit einem Gebet und dem gemeinsamen Singen von „Amazing Graze“. Ob „Speaker“ John Boehner bei der Zeile „was blind, but now I see“ mit den Augen rollte, ist nicht bekannt – man darf aber davon ausgehen. Denn mit Blindheit geschlagen ist vor allem der Rechtsaußen-Flügel seiner Partei, und es wäre naiv auf plötzliche Einsicht zu hoffen. Doch es deutet sich trotzdem ein möglicher Kompromiss an.

Welchen Einfluss hat die Tea Party auf die Entscheidung?

25 Abgeordnete der Tea Party dominieren als Minderheit die Republikaner im Kongress. Sie treten für einen radikalen Sparkurs der amerikanischen Regierung ein und lehnen eine Anhebung der Schuldendecke ab. Ihre Zustimmung wollen sie nur im Austausch gegen Zugeständnisse von Präsident Obama geben: ein sofortiger Stopp der bereits in Kraft getretenen Gesundheitsreform, drastische Kürzungen bei den Sozialausgaben, erschwerter Zugang zur Anti-Baby-Pille und andere mehr. Der Katalog ihrer Forderungen ist lang und bekannt, aber auch ebenso aussichtslos.

Barack Obama hat bereits seit Monaten klar gemacht, dass um die Schuldendecke nicht verhandelt wird. Zurecht, denn schließlich geht es hier nicht um politische Konzepte, sondern darum, dass Amerika seine Rechnungen bezahl. Jahrhunderte lang war das eine Selbstverständlichkeit. Doch selbstverständlich ist in Washington in diesen Tagen gar nichts mehr. Dabei ist es achtzig Jahre her, dass zuletzt eine westliche Nation ihre Schulden nicht bedient hat: Drei Monate nach der Machtergreifung ließen die Nazis ihre Gläubiger auflaufen. Der Nachrichtendienst Bloomberg hat diese kleine Geschichtsstunde in die amerikanischen Zeitungen gehievt, und plötzlich ist der vor allem in Tea-Party-Kreisen oft bemühte Hitler-Vergleich keine absurde Provokation mehr, sondern eine wirtschaftshistorische Episode, über die man sich durchaus Gedanken machen kann.

Wie steht die Öffentlichkeit zu den Vorgängen im Kongress?

Von allen Seiten hagelt es Kritik an der Politik in Washington. Die Ratingagentur Fitch droht, die Kreditwürdigkeit amerikanischer Staatsanleihen zu senken, Investment-Guru Warren Buffett vergleicht die drohende Staatspleite mit einer „wirtschaftspolitischen Atombombe“ und nennt die Haltung der Republikaner im Kongress „pure Idiotie“. Aktuelle Umfragen haben ergeben, dass eine überwältigende Mehrheit der Amerikaner den Republikanern die Schuld an dem unsinnigen Gezerre gibt. Die Partei hat zur Zeit den niedrigsten Zuspruch ihrer Geschichte. Das macht die Situation insofern nicht einfacher, als die Extremisten der Tea Party ihre ganz eigene Begründung für die Parteikrise verbreiten: man sei eben nicht mehr konservativ genug.

Wie wahrscheinlich ist ein Kompromiss in letzter Sekunde?

Am späten Mittwochnachmittag gab es erste Anzeichen, dass es noch zu einer rechtzeitigen Lösung kommen könnte: Demokraten und Republikaner hätten sich im Senat auf die Erhöhung der Schuldengrenze und die Öffnung der US-Verwaltung geeinigt, berichtete unter anderem der US-Sender CNN unter Berufung auf namentlich nicht genannte Kongressmitglieder in Washington. John Boehner, der republikanische „Speaker“ im Repräsentantenhaus hatte sich zuvor immer wieder um einen Kompromiss bemüht und war zum Buhmann seiner Partei geworden. In der Nacht zum Mittwoch lehnte seine Truppe aber einen neuerlichen Kompromiss ab, den der Senat vorgeschlagen hatte: Danach hätte man zumindest für ein paar Monate die Regierungsgeschäfte finanziert und die Schuldendecke angehoben, den Demokraten dafür aber zumindest eine winzige Anpassung im Zusammenhang mit „Obamacare“ abverlangt, nämlich die Streichung von Krankenversicherungszuschüssen an zivile Mitarbeiter im Weißen Haus und im Kongress. Obama hätte das wohl abgenickt, doch den Rechten ging der Kompromiss wieder nicht weit genug.

Wie ticken die Republikaner?

Boehner bemühe sich mittlerweile, einen Sack Flöhe zu hüten, sagte der republikanische Abgeordnete Tom Price der „New York Times“. Um sie alle auf eine Linie zu bringen, hat er sich in den letzten Tagen einiges einfallen lassen. Eine Gruppe Abgeordneter lud er am Freitag zum Chinesen ein, andere empfing er am Sonntag zum Grillen in seinem Stadthaus nur wenige Straßenblocks entfernt vom mächtigen Capitol. Boehner selbst stand am Grill, die Zange in der Hand, wendete Burger und schimpfte über die Sturheit des Präsidenten. Sein joviales Lachen war wohl gespielt, denn die Sturheit – das weiß Boehner – liegt auf der anderen Seite, bei seinen eigenen Abgeordneten. Diese plante er zuletzt einfach zu umgehen, um in letzter Minute eine Staatspleite zu verhindern. Bis Mittwochmorgen wurde in politischen Kreisen spekuliert, dass Boehner eine weitere Vorlage des Senates einfach zur Abstimmung bringen würde, ohne sich zuvor eine Mehrheit bei seinen Abgeordneten zu sichern. Prinzipiell kann und darf Boehner das, er würde aber eine altbewährte Tradition seiner Partei brechen: die Hastert-Regel, die seit zwanzig Jahren festlegt, dass Vorlagen nur dann zur Abstimmung kommen, wenn „die Mehrheit der Mehrheit“ dafür stimmen will.

Die Republikaner haben diese inoffizielle Regel eingeführt, um zu verhindern, dass die Opposition mit einer geringen Anzahl von moderat-konservativen Stimmen Vorlagen durchbringt, die von einer Mehrheit der eigenen Partei nicht befürwortet werden. Da die Hastert-Regel – benannt nach Boehner-Vorgänger Dennis Hastert – eine inoffizielle Regel ist, dürfte sie wohl am Mittwoch fallen, um den Vereinigten Staaten eine Krise zu ersparen. Damit würde natürlich auch John Boehners Stuhl wackeln. Schlimmer aber: Selbst eine Blitzaktion im Repräsentantenhaus würde eine Lösung nicht garantieren. Denn die Tea Party könnte sich im Senat wiederum auf Ted Cruz stützen, der einen Gesetzbeschluss ganz locker mit einem weiteren Rede-Marathon verzögern könnte. Erst vor drei Wochen sprach Cruz für 21 Stunden, um die Regierungsgeschäfte aufzuhalten. Diesmal könnte er quasi im Alleingang Amerika in die Zahlungsunfähigkeit stürzen. Für die Rechte wäre er dann der unumstrittene Held seiner Partei und vielleicht der nächste Präsidentschaftskandidat.

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