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Ein Anhänger von Bernie Sanders, der die US-Vorwahl in New Hampshire klar gegen Hillary Clinton gewann.

© AFP/Getty Images/Win McNamee

US-Vorwahl in New Hampshire: Die Bürger erheben sich gegen die alten Eliten

Siege gegen das amerikanische Establishment: Trump und Sanders fordern die Etablierten heraus und decken deren Schwächen auf. Ein Kommentar von Christoph von Marschall aus Concorde, New Hampshire

Die Revolution gegen Amerikas Establishment setzt sich in der zweiten Vorwahl fort, in beiden Lagern. In New Hampshire sind die Regeln einfacher als in Iowa und die Hürden niedriger, jeder Bürger kann ohne größere Mühe abstimmen.

Umso eindeutiger ist das Ergebnis: Bei den Demokraten deklassiert Linksaußen Bernie Sanders Hillary Clinton mit 60 zu 38 Prozent. Bei den Republikanern gewinnt der populistische Freibeuter Donald Trump ebenfalls mit hohem Vorsprung, rund 19 Prozentpunkte. Beide sammeln die Enttäuschten hinter sich, die sich schon lange um ihren fairen Anteil am ökonomischen Erfolg der USA betrogen sehen und ihre Interessen im politischen System nicht vertreten fühlen.

Bei der ersten Vorwahl in Iowa hatte sich der Trend angekündigt: Dort hätte Sanders um ein Haar die Favoritin Clinton besiegt. Im konservativen Lager wurde Trump dort nur deshalb Zweiter und nicht Erster, weil er die Bedeutung der Organisation am Boden unterschätzte, die in einem Caucus-Staat nötig ist, um aus einer Führung in den Umfragen zählbare Stimmen zu machen.

Der Sozialist Bernie Sanders nach seinem Sieg bei den Vorwahlen in New Hampshire. Er schlug Hillary Clinton mit 60 zu 38 Prozent.
Der Sozialist Bernie Sanders nach seinem Sieg bei den Vorwahlen in New Hampshire. Er schlug Hillary Clinton mit 60 zu 38 Prozent.

© REUTERS

Deshalb werden Sanders und Trump auch nicht so schnell von der Bühne verschwinden. Sie fordern die Kandidaten der Parteiführung auf Dauer heraus. Der Kampf um die offizielle Nominierung wird sich nun in beiden Parteien lange hinziehen. Und es ist nicht auszuschließen, dass einer von beiden – oder sogar beide – den Kampf um die Nominierung gewinnen.

Schwächen der Etablierten aufgedeckt

Wahrscheinlich ist das aber immer noch nicht. Für den Moment haben beide auf ihre Weise die Schwächen der konventionellen Kandidaten aufgedeckt. Hillary Clinton hat vielen Wählern bisher nicht deutlich machen können, warum sie die richtige Antwort auf künftige Herausforderungen ist. Sie wirbt vor allem damit, was sie in der Vergangenheit alles erreicht hat. Sie formuliert ihre Bewerbung nicht inklusiv, spricht ständig von „ich werde …“ – ein auffallender Kontrast zu Sanders „wir werden …“, mit dem er seine Ziele zum gemeinsamen Programm all seiner Anhänger macht.

Clinton hat sogar Schwierigkeiten, bei Frauen zu punkten. Die weiblichen Wähler in New Hampshire stimmten mit großer Mehrheit für Sanders. Clintons wahres Problem ist aber nicht die Geschlechterfrage, sondern die Generationenfrage. Sie überschätzt die Bedeutung der historischen Verheißung, dass es Zeit für die erste Präsidentin sei, für jüngere Frauen. Das hat Symbolkraft für Frauen über 50. Die unter 45 finden Sanders‘ Versprechen einer gerechteren Gesellschaft weit attraktiver. Die erste Präsidentin wird dann schon irgendwann folgen.

Auch Trump hat Anziehungskraft in nahezu allen Wählergruppen. In New Hampshire lag er bei Frauen wie Männern vor seinen republikanischen Konkurrenten, ebenso bei allen Einkommensgruppen.  

Der Milliardär Donald Trump hat bei der US-Vorwahl in New Hampshire bei den Republikanern gesiegt.
Der Milliardär Donald Trump hat bei der US-Vorwahl in New Hampshire bei den Republikanern gesiegt.

© AFP/Getty Images/Joe Raedle

Dann beginnen freilich die Unterschiede. Sanders punktet mit einer positiven Botschaft: einer politischen Revolution von unten, der sich nach und nach Millionen anschließen werden. Er knüpft an das Versprechen des amerikanischen Traums an, das auch ihm, dem Kind eines mittellosen Einwanderers aus Polen, der bei der Ankunft kein Englisch sprach, den Aufstieg ermöglicht hat – zum aussichtsreichen Bewerber um das Präsidentenamt.

Trump wirbt hingegen damit, dass derzeit alles schlecht sei an Amerika und nur er das Land mit Bully-Methoden zu neuer-alter Größe zurückführen könne: eine Mauer nach Mexiko, die Aufrüstung des Militärs, damit niemand es wagt, sich mit den USA anzulegen, und hoher Druck auf andere Länder, um bessere Handelsverträge zu erzwingen.

Erkennen die Unterlegenen ihre Schwachstellen?

Ob Sanders, ob Trump sich auf Dauer durchsetzen, hängt davon ab, ob ihre Konkurrenten  nun ignorant weitermachen – oder ihre Schwachstellen erkennen und korrigieren.

Hillary Clinton deutete das in der Rede, mit der sie ihre Niederlage eingestand und Sanders zum Sieg gratulierte, zumindest an. Sie hat zudem größeren Rückhalt als Sanders unter Afroamerikanern und Latinos, auf die es in den nächsten Vorwahlen in South Carolina und in Nevada ankommt. Und die bessere landesweite Organisation; das zählt am Super Tuesday am 1. März mit Abstimmungen in elf Staaten zugleich.

Natürlich, Sanders werden jetzt viele Spenden und freiwillige Wahlhelfer zuströmen. Aber wird es ausreichen, um ihren organisatorischen Vorsprung aufzuholen?

Trumps Aussichten sind mittelfristig noch fraglicher als Sanders‘. Sein Sieg ist nur deshalb so strahlend, weil die Stimmen der Wähler, die einen moderaten Kandidaten bevorzugen, sich derzeit noch auf vier Bewerber aufspalten. Gemeinsam haben John Kasich, der Überraschungszweite in New Hampshire, Jeb Bush, Marco Rubio und Chris Christie jedoch weit mehr Stimmen als Trump erhalten. Wenn sich das Feld weiter ausdünnt und nur ein Mainstream-Vertreter im Rennen bleibt, wird Trump hinter diesen zurückfallen.

Alles in allem beweist sich erneut eine Stärke des demokratischen Systems. Gewiss, es hat die Fehlentwicklungen, die jetzt zum Protest führen, nicht verhindert. Aber die Notwendigkeit, alle vier Jahre um die Zustimmung der Bürger zu werben – und dies nicht nur in der Hauptwahl, sondern bereits bei der Kandidatenaufstellung – zwingt sowohl die, die die Macht haben, als auch jene, die sie erringen wollen, zur Korrektur.

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