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Politik: US-Wahl: Wie Missouri einen Toten zum Senator wählte

Schon morgens zeichnete sich ab, dass es für den Staat Missouri ein ungewöhnlicher Tag werden wird. Die Leute auf der Straße sprachen über Politik.

Schon morgens zeichnete sich ab, dass es für den Staat Missouri ein ungewöhnlicher Tag werden wird. Die Leute auf der Straße sprachen über Politik. Im Supermarkt, im Cafe an der Ecke. Über das seltsamste Rennen in den USA, über die ungewöhnlich langen Schlangen vor den Wahlurnen und eine Witwe, die Senatorin werden könnte.

Was war geschehen? Der amtierende Senator und Republikaner John Ashcroft, der um seine Wiederwahl kämpfte, trat gegen einen Kandidaten an, der nicht mehr lebt: Demokrat Mel Carnahan. Der Gouverneur von Missouri war vor drei Wochen bei einem Flugzeugabsturz tödlich verunglückt. Nach geltendem Recht konnte sein Name jedoch nicht mehr von der Wahlliste gestrichen werden. Kurzerhand erklärte daraufhin seine Witwe, im Falle eines Sieges ihres verstorbenen Mannes, an seiner Stelle als Senatorin nach Washington zu gehen. Diese bislang einmalige Situation in der amerikanischen Politik machte die Senatoren-Wahl in Missouri zur meist beachtetsten Wahl neben der von Hillary Clinton in New York.

Carnahans Wahlstrategen verstanden es offenbar, die tragische Situation in einen emotional aufgeladenen Endspurt für den Verstorbenen umzuwandeln. Überall in der Stadt trugen Menschen Anstecker mit der Aufschrift "Mel, wir sind mit Dir!". Die Sängerin Sheryl Crow lockte Tausende in ein Konzert, rockte und sang für den Toten. Das Lebensmotto des Verunglückten "Lass das Feuer nicht verlöschen!" wurde zum neuen Wahlslogan, auf den die Demokraten in St. Louis eingeschworen wurden.

Ansturm auf die Wahllokale

Mag sein, dass das Familiendrama, die Bewunderung für die willensstarke 66-jährige Frau oder das Kopf-an-Kopf-Rennen von Bush und Gore ausschlaggebend für die Rekordwahlbeteiligung von über 60 Prozent im Staat Missouri waren. Der unerwartete Ansturm führte am Dienstag Abend zu Menschentrauben vor den Wahllokalen, die nicht schnell genug durch die Wahlkabinen geschleust werden konnten. Obwohl viele ihre Stimme noch nicht abgegeben hatten, schlossen die Lokale pünktlich um 19 Uhr. Bürgerproteste veranlassten ein städtisches Gericht daraufhin, längere Öffnungszeiten zu verfügen, so dass sich die Stimmauszählung bis spät in die Nacht hinzog.

Erst gegen zwei Uhr morgens stand fest: Mel Carnahan ist der erste US-Senator, der postum gewählt wurde. Jean Carnahan wird nun voraussichtlich für zwei Jahre in den Senat einziehen, ein Verfahren, das in den USA rechtlich möglich ist - obwohl sie nie ein politisches Amt inne hatte und nie gewählt wurde. Sie sei überzeugt, in 46 Ehejahren genug Erfahrungen aus der politischen Arbeit ihres Mannes gesammelt zu haben, um Senatorin zu sein, sagte sie in der Wahlnacht.

Michael Streck

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