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US-Wahlkampf: Obama fordert Gerechtigkeit

Der Präsident hatte Glück mit dem Timing seiner Rede zur Lage der Nation. Was verrät die Ansprache über seine zukünftige Wahlkampfstrategie?

Als der US-Präsident den Termin für die Rede zur Lage der Nation wählte, konnte er nicht wissen, dass Steuergerechtigkeit das Thema des Tages sein würde. Am Morgen hatte der Republikaner Mitt Romney nach tagelangem Druck seine Steuererklärung offengelegt. Er zahlt nur etwa 15 Prozent auf gut 20 Millionen Dollar jährliches Einkommen. Das ist legal, für Einkünfte aus Kapitalanlagen gilt der reduzierte Satz, weil sie in den USA als Investitionen betrachtet werden, die Arbeitsplätze schaffen. Doch es wirkt wie der Beweis, dass Amerika ein Gerechtigkeitsproblem hat.

In der Loge der First Lady Michelle Obama auf der Empore im Kongress sitzt an diesem Abend auf Einladung des Weißen Hauses Debbie Bosanek, die Sekretärin des Investment-Milliardärs Warren Buffett. Buffet nennt es seit langem einen Skandal, dass er einen niedrigeren Steuersatz zahle als seine Sekretärin. Und so findet Obamas Forderung, dass jeder Einkommensmillionär nach der „Buffett-Regel“ mindestens 30 Prozent Steuern zahlen solle, große Resonanz. Generell stehen die Republikaner zu Beginn des Wahljahres nicht gut da. Der erbitterte interne Kampf, wer im Herbst gegen Obama antreten soll, garantiert Aufmerksamkeit für konservative Themen, stößt aber zugleich Wähler ab. Nun konnte Obama eine Stunde lang seine Sicht und seine Pläne für eine zweite Amtszeit darlegen – und fast alle Sender übertrugen die Rede. Die Wirtschaft erholt sich, die Arbeitslosenrate sinkt. Amerika ist wieder stark.

Der Schwerpunkt lag auf der Innenpolitik, ihr galten etwa 80 Prozent der Rede. Obama sprach selbstbewusst und offensiv. Er vermied aber die klassenkämpferischen Töne, die er kürzlich in Anlehnung an Teddy Roosevelt in Kansas angeschlagen hatte: den republikanischen Präsidenten, dem dessen eigene Partei 1901 sozialistische Neigungen vorgehalten hatte, weil er die Interessen der Arbeiter verteidigte. Sozialneid auf Reiche kommt in den USA nicht gut an, die Forderungen nach „fairer Lastenteilung“ dagegen schon. Obama positionierte sich als Pragmatiker über den parteipolitischen Lagern, kritisierte die Blockade der Republikaner und die „Untätigkeit“ des Kongresses.

Obamas patriotisches Bekenntnis

Als Rahmen wählte Obama ein patriotisches Bekenntnis zu Amerikas Stärke, auch seiner militärischen Stärke. Amerika ist stark, wenn es zusammenhält. So haben wir den Irakkrieg beendet, sagte er zu Beginn der Rede. So wurde Osama bin Laden gefasst, lobte er zum Ausklang. Da applaudierten auch die Republikaner. Zur Stärke gehören Fairness und Gerechtigkeit. Manchmal müsse der Staat diese Regeln durchsetzen. Oder der Wirtschaft helfen. Dann kehren die Jobs zurück, zum Beispiel in der Autoindustrie. GM sei heute wieder Weltmarktführer. Obama drohte China wegen unfairer Handelspraktiken. Er lobte aber ausländische Firmen wie Siemens, die bei der Modernisierung mit erneuerbarer Energie helfen. Seine Lagebeschreibung stand in scharfem Kontrast zu den Schilderungen der republikanischen Präsidentschaftsbewerber, die seit Monaten Schlagzeilen machen. Mitt Romney, Newt Gingrich und die anderen lassen kein gutes Haar an Obama. Nach ihren Worten steht Amerika unter ihm kurz vor dem Scheitern. Alles läuft falsch.

Dem setzte der Präsident seine Erfolgsbilanz entgegen: „America is strong“, „America is back“. Und „wer behauptet, Amerika sei im Abstieg, hat keine Ahnung, wovon er redet“. Das Programm für eine zweite Amtszeit: Er will die Energiewende vollenden, die Reform des Einwanderungsrechts durchsetzen und das Steuerrecht korrigieren. Alle hatten an diesem Abend die Wahl im Herbst im Blick. Bei kämpferischen Aussagen bekam Obama Standing Ovations der Demokraten im Kongress. Die Republikaner blieben oft stumm sitzen. Sie klatschten nur, wenn der Präsident das Militär lobte oder bedingungslose Solidarität mit Israel versprach.

Nach Obamas Rede übertrugen die Sender wie stets die viel kürzere Antwort eines Republikaners. In diesem Jahr war das Mitch Daniels, der Gouverneur von Indiana. Er warf Obama vor, Amerika zu spalten. Er machte ihn für die hohe Verschuldung verantwortlich. Und er sagte, Obama habe die Folgen der Wirtschaftskrise durch seine falschen Rezepte verschärft. Dank Timing und Inhalt steht Obama am Tag danach als Sieger da. Wäre die Wahl jetzt, würde er gewinnen. Wenn diese Dynamik anhält, bleibt er bis 2016 im Weißen Haus. Neun Monate vor der Wahl ist das freilich ein großes Wenn.

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