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Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (links) und US-Außenminister Rex Tillerson.

© Bernd von Jutrczenka/dpa

USA-Reise des Außenministers: Gabriel sucht Europas Freunde in Washington

Der neue Bundesaußenminister spricht mit den "Internationalisten" im Trump-Team. Sein früher Besuch ist ein Ausdruck von Wertschätzung - die Wirkung jedoch ungewiss.

Sigmar Gabriel greift zum vorbereiteten Redetext. Bisher hat der neue Bundesaußenminister ohne schriftliche Hilfe gute zehn Minuten über seinen Antrittsbesuch in Washington gesprochen, doch als er noch etwas auf Englisch hinzufügen soll für die amerikanischen Journalisten, verlässt er sich doch lieber nicht auf sein Schul-Englisch.

„Ich war ein fauler Schüler“, entschuldigt sich der Vizekanzler und liest bei dem Termin in der Residenz des deutschen Botschafters in der US-Hauptstadt vom Blatt ab. Dass das mit der deutsch-amerikanischen Verständigung klappt, ist ihm wichtig bei diesem Besuch. Schließlich hat Donald Trump in seinen ersten Amtswochen schon genug Unverständliches von sich gegeben.

Gabriel ist nach wenigen Tagen im Außenamt nach Washington gekommen, um möglichst schnell einen direkten Draht zur neuen US-Regierung zu bekommen. In seinem Amtskollegen Rex Tillerson und in Vizepräsident Mike Pence glaubt der Minister potenzielle Verbündete gefunden zu haben, um das Verhältnis zwischen Europäern und Amerikanern in Schuss zu halten. „New kids on the block“ nennt er sich selbst und die beiden neu ins Amt gekommenen US-Politiker. Pence hat im Gespräch mit Gabriel seine Teilnahme an der Münchner Sicherheitskonferenz in zwei Wochen zugesagt – es wird vermutlich die erste Auslandsreise von Pence als Vizepräsident werden. Auch Tillerson will sich überlegen, nach München zu kommen.

Gabriel habe mit dem „internationalistischen Flügel“ der Trump-Regierung geredet, sagt einer aus seiner Delegation. Ob die Internationalisten aber auch das Ohr des Präsidenten haben, ist nicht gesagt. Zumindest bisher waren die Protektionisten im Weißen Haus – Chefstratege Stephen Bannon und Berater Steve Miller – in der außenpolitischen Schwerpunktsetzung tonangebend: Muslim-Bann, Mexiko-Mauer, die Drohung mit Strafzöllen.

Welche Kräfte setzen sich in Washington durch?

Die Antrittsrede von Trump hatte Gabriel als nationalistisch kritisiert. Die abfälligen Bemerkungen des neuen Präsidenten über NATO und EU sind in Berlin und anderen europäischen Hauptstädten ebenfalls mit Kopfschütteln aufgenommen worden. Jetzt lässt Pence nach seinem Treffen mit Gabriel erklären, er habe mit dem deutschen Außenminister im Weißen Haus die zentrale Rolle der NATO besprochen. Deshalb stellt Gabriel mit Genugtuung fest, „dass es auch in der neuen Administration Kräfte gibt“, die am Ausbau der transatlantischen Beziehungen interessiert sind.

Aber diese Kräfte sind nicht die einzigen: Trump hatte die NATO für obsolet erklärt. „Wir sollten nicht so tun, als ob es nicht Differenzen gebe“, gibt Gabriel zu. Das kann man dem Vizekanzler auch nicht vorwerfen. Trumps Drohung mit Strafzöllen gegen die deutsche Kfz-Industrie hatte er mit der Bemerkung quittiert, wenn die Amerikaner in Europa mehr Autos verkaufen wollten, dann müssten sie eben bessere Autos bauen.

Welches Lager sich in der Regierung Trump durchsetzen wird, ist für den Gast aus Berlin schwer einzuschätzen, zumal in der neuen Mannschaft in Washington viele Posten noch nicht besetzt sind. Bei der Vorbereitung von Gabriels Besuch gingen deutsche Diplomaten auf die Suche nach Ansprechpartnern im US-Außenministerium, wo eine Revolte gegen Trumps Migrationspolitik im Gang ist und mehr als tausend Mitarbeiter ein Protestschreiben unterzeichnet haben.

Trotz der Turbulenzen ist Gabriel nach dem jordanischen König Abdullah der zweite ausländische Gast beim neuen US-Außenminister. Der Grund für die Wertschätzung, die aus dem schnellen und ranghohen Empfang für den Minister aus Berlin spricht, liegt vor allem im Respekt der „Internationalisten“ für die Wirtschaftsmacht Deutschland. Aber auch Tillerson macht gegenüber Gabriel klar, dass die neue Regierung versuchen wird, im internationalen Handel mehr Vorteile für das eigene Land herauszuschlagen. Die Forderung nach höheren Rüstungsausgaben der Europäer steht ebenfalls im Raum.

Europa muss sich auf einiges gefasst machen

Im amerikanisch-europäischen Verhältnis bahnen sich grundlegende Veränderungen an, vom „etwas verspäteten Ende der Nachkriegsordnung“ ist auf deutscher Seite die Rede. Europa muss sich auf einiges gefasst machen in den nächsten Jahren, da ist sich Gabriel nach seinen Gesprächen in Washington sicher. Und das bringt ihn zu einem seiner Hauptthema - der Neuentdeckung des europäischen Gedankens: Nur wenn die Europäer zusammenstehen, können sie Trump etwas entgegensetzen. „Rette sich wer kann“, sei keine Strategie.

Deutschland habe ein großes Interesse daran, Europa in diesen turbulenten Zeiten zusammenzuhalten, betont Gabriel. Nicht diejenigen, die Europa Schwäche vorwerfen und die EU nicht ernst nehmen, seien zu kritisieren, sondern die Europäer selbst: „Wir selbst haben es in der Hand, Europa zu stärken.“ Kleinliches Gezänk über Haushaltsregeln ist aus Gabriels Sicht reine Zeitverschwendung, wenn es um globale Neuausrichtungen geht.

Aus Gabriels Beobachtungen am Potomac spricht auch eine gewisse Wehmut. Als junger Mann hat der heute 57-jährige gegen die amerikanische Politik in Nicaragua, Chile und sonstwo demonstriert, aber selbst damals bewunderte er Amerika. Die Attraktivität der USA als Land der Freiheit ist aus seiner Sicht eine der größten Stärken des Landes – doch die sieht er jetzt in Frage gestellt. Der Trump-Spruch „Amerika wieder groß machen“ habe ihn verwundert, sagt der Bundesaußenminister, der sich am Ende seiner kleinen Ansprache auf Englisch doch noch vom Redetext löst. „Ich habe schon immer geglaubt, dass Amerika ein großartiges Land ist.“

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