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US-Wahlkampf: Mitt Romney: Den Samthandschuh hingeworfen

Amerika weiß jetzt, woran es bei Mitt Romney ist. Wieder hat der Republikaner kaum Begeisterung ausgelöst auf dem Parteitag. Mit Angriffen gegen Obama hielt er sich in Florida zurück. Zum Kandidaten haben die Delegierten ihn trotzdem ernannt.

Am Ende ist Kindergeburtstag, Konfetti, Luftballons, und die Republikaner gleichen einer großen und ziemlich erleichterten Familie. Auf dem Podium laufen der Präsidentschaftskandidat Mitt Romney und sein Vize Paul Ryan von einem Bühnenrand zum anderen, ihre Frauen stets an ihrer Seite, um beglückt mal dem einen, mal dem anderen Teil des großen Saals zuzuwinken. Minutenlang applaudieren die Delegierten stürmisch. Ein Dutzend Romney-Enkel und drei Ryan-Kinder jagen derweil den Luftballons hinterher, blau, rot und weiß sind diese und zu Hunderten zuvor aus dem Hallendach herabgeregnet. Nun boxen oder kicken die Kinder sie ins Publikum.

Von ausgelassener Freude ist freilich wenig zu spüren. Wenn von Tampa aus ein Aufbruchssignal ausgehen sollte, dann bleibt die Frage, wie weit es gekommen sein kann. Parlamentspräsident John Boehner hat keinerlei Mühe, den Saal bald wieder zur Ordnung zu rufen, um den katholischen Erzbischof von New York, Kardinal Timothy Dolan, den Schlusssegen sprechen zu lassen. Danach leert sich die Mehrzweckhalle erstaunlich rasch. Die Delegierten vermitteln nicht den Eindruck, einem erhebenden Augenblick von historischer Tragweite beizuwohnen. Da ist offenkundig wenig, das sie so lange wie möglich auskosten möchten.

Seit Beginn der Romney-Kür in Tampa diskutieren Amerikas Medien, ob sich die Institution des Nominierungsparteitages überlebt habe. Das Land weiß seit April, dass Mitt Romney als Präsidentschaftskandidat gegen Barack Obama antreten wird. Seit Mai hat er auch formal die dafür verlangte Zahl an Delegiertenstimmen zusammen. Warum dann noch diese teure und aufwendige Zusammenkunft Ende August, mitten in der Hurrikan-Saison? Wie schon vor vier Jahren hat auch dieses Mal ein Wirbelsturm das Programm durcheinandergeschüttelt.

Wie sehr die Sonderparteitage in einer Krise stecken, weil sich im Zeitalter der elektronischen Medien ihr Sinn nicht mehr erschließt, das wird aber wohl erst die kommende Woche zeigen. Dann treffen sich die Demokraten in Charlotte, North Carolina. Sollte deren „Convention“ anders verlaufen, könnte das Land zu dem Schluss kommen, es liege am Zustand der Republikanischen Partei und an der Person ihres Spitzenkandidaten, dass der Funke in Tampa nicht so recht überspringen wollte.

Video: Clint Eastwoods rüder Anti-Obama-Auftritt

Mitt Romney hat keine überraschende Rede gehalten. Weder war es ein denkwürdiger Auftritt noch hatten seine Worte programmatische Kraft. Wer erfahren wollte, wie der Herausforderer zum Beispiel sein Versprechen in die Tat umsetzen möchte, Amerikas Haushalt auszugleichen und den astronomischen Schuldenberg abzubauen, war hinterher nicht klüger. Er gab auch nicht den unbedingten Angreifer gegen den Amtsinhaber. Die Begründung, warum er ihn ablösen wolle und warum das besser für das Land sei, floss eher beiläufig ein.

Video: Mitt Romneys großer Auftritt

Mit seiner Rede versuchte Romney drei Ziele parallel zu verfolgen: erstens, sich der Nation als Mensch aus Fleisch und Blut mit großen Gefühlen darzustellen; zweitens um Stimmen von Frauen zu werben; und drittens wenigstens ein paar der erwarteten Breitseiten gegen Barack Obama abzuliefern. Bisweilen drängte sich der Verdacht auf, seinen Beratern gehe es mehr darum, an seinen Schwachstellen zu arbeiten, als seine Stärken hervorzuheben.

Die Dramaturgie des Abends ist akribisch geplant. Nichts soll dem Zufall überlassen bleiben – bis auf eine Episode. Und die geht prompt schief. 50 Minuten vor Romney tritt Hollywood-Star Clint Eastwood als Überraschungsgast auf. Er unterhält sich mit einem leeren Stuhl, auf dem ein imaginärer Barack Obama sitzt, und macht ihm bittere Vorwürfe. Auch er habe Tränen der Rührung vergossen, als Amerika erstmals einen Schwarzen wählte. Heute sei ihm nach Heulen zumute beim Blick auf 23 Millionen Arbeitslose. Eastwood, die 82-jährige Legende, lässt sich nicht in eine Parteitagsstrategie pressen. Stur ignoriert er den Teleprompter, brabbelt vor sich hin, ist passagenweise nicht zu verstehen. Das Urteil der US-Medien ist vernichtend: „bizarr“, „peinlich“, „der Verlierer des Abends“.

Mitt Romney hält sich an sein Skript

Romney hält sich an sein Skript. Und versucht mehr zu liefern, als von einem, auf den sich alle bereits verständigt haben, erwartet wird. Nominierungsparteitage wie dieser sind zum Jubeln da. Sie sollen Kampfgeist und Siegeszuversicht wecken und die Reihen fester schließen. Es ist nicht ihre Aufgabe, die Lage der Nation zu erörtern und ein Regierungsprogramm zu entwerfen. Doch die Republikaner waren mit Selbstzweifeln in ihr Treffen gegangen. Eigentlich müsste die Wahl eine klare Angelegenheit für sie sein. Die Wirtschaft stottert, die Arbeitslosigkeit ist hoch. Da müssten die Bürger den Amtsinhaber abwählen wollen.

So klar ist die Sache freilich nicht. Das liegt an den Republikanern selbst. Die Partei ist gespalten zwischen rechten Ideologen und dem pragmatischen Wirtschaftsflügel. Und der Spitzenkandidat steht im Ruf, hölzern und abgehoben zu sein. Das muss sich ändern. Deshalb soll er locker und leutselig wirken, am besten schon auf dem Weg ans Mikrofon.

Bildergalerie vom Republikaner-Parteitag

Vor Romney waren die Redner aus den Kulissen hinter der Bühne an das Pult getreten. Seit Tagen ging das so. Auch der junge kubanischstämmige Senator von Florida Marco Rubio, der nach Eastwood auftritt und die Ehre hat, Romney mit einer feurigen Rede über Diktatur und Freiheit am Donnerstagabend anzukündigen, hält sich an diese Choreografie. Kaum hat er um 22 Uhr 33 die acht Worte gesprochen, die seit drei Tagen in jeder Rede den unausweichlichen Schlusssatz markieren – „Mitt Romney, der künftige Präsident der Vereinigten Staaten“ –, bricht der Saal in „Mitt, Mitt“-Sprechchöre aus.

Auf riesigen Videowänden sieht man Romney über einen roten Teppich schreiten und rechts und links Hände schütteln. Es dauert einen Augenblick, bis die Delegierten begreifen: Er ist bereits mitten unter ihnen. Nun wenden sich Tausende dorthin, wo sich eine Menschentraube langsam zur Bühne vorschiebt, begleitet von rhythmischem Klatschen.

Als er schließlich am Mikrofon steht, muss Romney drei Mal zur Begrüßung anheben. Erst dann lassen sie ihn zu Wort kommen. Der erste Satz ist nüchtern: „Ich nehme die Nominierung als Präsident der Vereinigten Staaten an.“ Dann beginnt das Werben um die Millionen Bürger, die via Fernsehen zuschauen. „Ich bitte euch, mit mir zu gehen auf dem Weg in eine bessere Zukunft!“

Romney spricht ruhig und fest. Bei seinen Wahlkampfreden hat er sich manchmal zu einem schnelleren Tempo hinreißen lassen. Dann haben seine Sätze keine Melodie mehr, werden von Ähs unterbrochen, klingen nach Stakkato. Jetzt lässt er sich Zeit und legt Pausen ein, wenn der Beifall anschwillt. Dabei legt er den Kopf auf die Seite und lächelt gütig.

Die Passage über die Krise Amerikas, die einen Wechsel an der Spitze verlange, leitet er mit scheinbar verständnisvollen Worten über Obama ein. „Ich hätte mir gewünscht, dass er mehr Erfolg hat. Denn dann ginge es Amerika besser.“

Aber jetzt, erstmals in der Geschichte, glaube eine Mehrheit der Amerikaner, dass es ihren Kindern schlechter gehen werde als ihnen selbst. Galant geht er darüber hinweg, dass das Jahrzehnt, in dem der Republikaner George W. Bush acht Jahre regierte, das erste seit langem war, in dessen Verlauf das durchschnittliche Haushaltseinkommen gesunken ist.

Da ertönen laute Zwischenrufe. Man kann die Worte nicht verstehen. Aber die Republikaner haben Übung mit solchen Situationen. Sie skandieren „USA, USA“ und übertönen so die Störer – allerdings nicht nur die, sondern auch Romneys Rede. Der schwankt einen Moment, ob er innehalten oder weitersprechen soll, versucht beides abwechselnd. Dann haben Ordner die Störer oben auf dem Rang überwältigt und bringen sie hinaus.

"Obama hat keine Erfahrung im Wirtschaftsleben"

Es folgt der Teil von Romneys Rede, die ihn der Nation als ganz normalen Amerikaner, als einen von ihnen nahebringen soll, obwohl er viel Geld hat und ein privilegiertes Leben führt. Er sei „in der Mitte des Landes geboren, ein typischer Babyboomer“, sagt er. Und die Eltern hielten es nicht anders als andere, als sie mit ihm in den Ferien in die großartigen Nationalparks fuhren. So wurde „meine Liebe zu Amerika geweckt“.

Überhaupt schien damals alles erreichbar, auch wenn das von ihm verlangt, einen demokratischen Präsidenten zu loben: „Als John F. Kennedy uns aufforderte, zum Mond zu fliegen, war es keine Frage, ob wir dort landen würden, sondern nur, wann.“ Er spricht vom kürzlich verstorbenen Neil Armstrong, der als Erster seinen Fuß auf den Mond setzte, und bekennt: „Ich bin sicher, dass er hier bei uns ist.“ Dann bedient er die unter Republikanern verbreitete These vom „Exceptionalism“, der Einzigartigkeit Amerikas. „Wenn wirklich Großartiges auf der Welt getan werden muss, dann braucht man einen Amerikaner.“

Bildergalerie vom Republikaner-Parteitag

Wo er schon bei den Bekenntnissen ist, will er seine Religion nicht verschweigen, die bei vielen rechten Christen auf Misstrauen stößt. „Ich bin als Mormone aufgewachsen“, sagt er in einem Ton, als müsse er dafür um Entschuldigung bitten. Unter seinen Kindheitsfreunden sei das aber nicht wichtig gewesen. Die interessierten sich viel mehr dafür, welche Sport-Teams er unterstütze, als in welche Kirche er gehe.

Seine wahren Helden jedoch sind die Frauen. Solche wie seine Mutter Eleonore, die sich um einen Senatssitz bewarb, leider erfolglos. „Ich habe noch immer im Ohr, wie sie mit ihrer bezaubernden Stimme sagt: Warum sollen Frauen weniger Mitspracherecht haben, wenn es um die Schicksalsfragen der Nation geht?“

Die Kameraregie fängt nun ergriffene Gesichter von Delegierten im Saal ein, wirft sie auf die Videowände. Nahtlos folgt der Hinweis, dass Romney als Wirtschaftsmanager und als Gouverneur von Massachusetts ganz, ganz viele kluge und erfolgreiche Frauen eingestellt habe. Was nur noch überboten werden kann durch die Liebeserklärung, die er Ann macht, seiner Ehefrau und der Mutter seiner fünf Söhne. „Ihr Job war viel wichtiger als meiner.“

Es ist der Moment, da tatsächlich Begeisterung für eine Leistung aufbrandet. Ann Romney erhebt sich von ihrem Logensitz, um die Standing Ovations der Delegierten entgegenzunehmen.

Die Fernsehkommentatoren werden in ihren Analysen später vermerken, dass Romney unter weiblichen Wählern derzeit rund 14 Prozentpunkte hinter Obama liegt. Er muss den Abstand verringern, sonst kann er die Wahl nicht gewinnen.

Video: Obama: "Romney ist wie Schwarz-Weiß-TV"

Mitt Romney geht nun zur Schilderung seiner Erfolge als Investmentmanager über. Er habe Firmen vor dem Bankrott bewahrt, bei denen heute unzählige Amerikaner einen Arbeitsplatz haben. Firmen wie der Büroausstatter Staples, bei dem sich übrigens „zu meiner Freude auch das Wahlkampfteam Obamas eindeckt“, oder der Stahlkonzern Steel Dynamics. Erneut leitet er den Angriff auf den Präsidenten mit einer scheinbaren Inschutznahme ein. „Obama hat euch nicht enttäuscht, weil er euch enttäuschen wollte. Sondern weil ihm die entscheidende Qualifikation fehlt. Er hat keine Erfahrung im Wirtschaftsleben.“

Im Saal jedoch ist keine Bereitschaft zu spüren, Obama mit Verständnis zu begegnen. Amerika ist tief gespalten. Im Gespräch mit Delegierten ist blanker Hass herauszuhören, sobald sein Name fällt. Romney mag seine Kritik noch so sanft verpacken, die Delegierten quittieren fast jede Nennung des Namens Obama mit lauten -Buhrufen. In denen steckt mehr Energie als im Applaus für Romney, wenn der von seinen Erfolgen spricht.

Seine Rede neigt sich dem Schluss zu. Das ist an Familie Romney zu erkennen. Sie hat inzwischen die Loge im Zuschauerraum verlassen. Ehefrau, Söhne und Enkel sollen ganz schnell an der Seite des Kandidaten erscheinen, wenn er geendet hat. Aber noch ist es nicht soweit. Romney bleibt noch zu sagen, wie er und sein Vize Ryan Amerika voranbringen wollen. „Ich stehe für eine Zukunft, wo jeder, der arbeiten will, auch einen Job findet.“ Anders als Obama habe er einen Plan, wie man zwölf Millionen neue Jobs schaffe. Es ist Romneys großes Versprechen. In Amerika suchen derzeit 23 Millionen Bürger einen Vollzeitjob. Das sagt Romney selbst. Wie passt das zusammen: die Zusage, dass unter ihm jeder einen Arbeitsplatz finden werde, und der Plan, zwölf Millionen neue Jobs zu schaffen?

Obama habe bei seinem Amtsantritt auch ein Versprechen gegeben, sagt Romney, „den Anstieg des Meeresspiegels zu begrenzen und den Planeten zu heilen“. Er verdreht dazu ungläubig die Augen. Da lachen viele im Saal höhnisch. „Ich verspreche, euch und euren Familien zu helfen.“

Der letzte Satz geht schon unter im donnernden Schlussbeifall. Die Regie projiziert Feuerwerk auf die Videowände.

Auch als die Delegierten den Ausgängen zustreben, knallt es immer wieder laut. Die Luftballons zerplatzen unter ihren Absätzen, kaum dass der Parteitag vorüber ist.

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