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Herausforderer Mitt Romney wenige Tage vor der US-Präsidentschaftswahl.

© Reuters

US-Wahlkampf: In Ohio muss Romney Obamas Brandmauer einreißen

Es ist eine hundertjährige Regel: Wer in Ohio die Mehrheit gewinnt, der regiert das Land. Deshalb sind Präsident Obama und sein Herausforderer Mitt Romney in den letzten Tagen des Wahlkampfs in keinem Bundesstaat so präsent wie hier. Eine Reportage aus einem Landstrich, in dem es sich die Menschen gerne auch mal anders überlegen.

Für Glenyce Rodenbough, eine schlanke Frau mit schulterlangen grauen Haaren, hat das ganze Übel mit Barack Obama begonnen: die hohe Arbeitslosigkeit, die Verschuldung, Amerikas schleichender Abstieg in der Welt. „Unsere Verbündeten lieben uns nicht mehr, unsere Feinde fürchten uns nicht mehr“, schimpft sie. Aber nächsten Dienstag werde alles anders. Dann wähle Amerika einen neuen Präsidenten, Mitt Romney: Das steht für Glenyce fest. Und die Entscheidung werde hier in Ohio fallen.

Glenyce Rodenbough ist Ende 50 und wohnt am östlichen Stadtrand von Columbus, der Hauptstadt Ohios, in Etna. Die Vorortsiedlung mit kleinen Einfamilienhäusern und gepflegten Vorgärten ist der Inbegriff amerikanischen Lebens. Glenyce hat drei Kinder, von denen das Älteste die ersten Berufsjahre gemeistert hat. Keine einfache Sache in der Wirtschaftskrise.

Nur 45 Kilometer Richtung Nordwesten, auf der anderen Seite der Stadt, liegt Hilliard. Dort ist Sharon Harris zu Hause. Sie hat mit Glenyce vieles gemein. Auch sie ist Ende 50 und Mutter von drei Kindern, von denen die Jüngeren noch studieren oder bei der Armee sind. Auch sie sorgt sich um Amerikas Zukunft. Dennoch trennen die beiden Frauen Welten. Sobald die Sprache auf die Politik kommt, werden sie unversöhnlich.

Der Wahlkreis um Etna, wo Glenyce lebt, ist republikanisches Stammland. Hilliard dagegen hat 2008 zu 59 Prozent für die Demokraten gestimmt. Aber so ist das in Ohio. Auf engstem Raum in diesem riesigen Land verlaufen hier die parteipolitischen Trennlinien. Und weil es so eng ist, verschieben sie sich zuweilen. Keinem anderen Bundesstaat widmen der Präsident und sein Herausforderer deshalb vor der Wahl so viel Zeit und Energie. In Ohio schalten sie die meisten Fernsehanzeigen. Und viele Bürger nehmen das Telefon schon nicht mehr ab wegen der „Robocalls“, den automatischen Anrufen mit politischen Botschaften.

Nun steht Glenyce Rodenbough in der Montagehalle von Screen Machine Industries und freut sich auf Romneys Wahlkampfauftritt. Sie hat zwei Freundinnen im Schlepptau und trägt ein dunkelblaues T-Shirt mit der Aufschrift „Clean Coal“. Wer wie sie hierher kommt, ist bereits überzeugt und möchte in seiner Weltsicht bestätigt werden. Obama treibe die amerikanische Kohleindustrie mit überzogenen Umweltauflagen in den Ruin, ärgert sie sich nun. Screen Machine Industries stellt Fördermaschinen für den Bergbau her, einige davon stehen im Hintergrund der für Romneys Rede errichteten Tribüne. Sie tragen markige Namen wie „Scalper 77“.

Für Mitt Romney ist es eine Rückkehr. Am selben Ort hatte er vor 464 Tagen seinen ersten Wahlkampfauftritt in Ohio. Zum Dank für die Unterstützung durfte Firmenchef Steven Cohen zu bester Fernsehzeit auf dem Republikanischen Parteitag in Tampa sprechen. Als Blickfang für die Fernsehkameras haben die Wahlkampfregisseure jetzt eine Fahne im XXL-Format an die Hallenwand gehängt. Davor baumeln vier goldene Großbuchstaben von der Decke: J-O-B-S. Der populäre Disc-Jockey des Lokalradios bringt die 2800 Republikaner in der Halle mit Romneys Kampagnensong in Stimmung: „Born Free“ von Kid Rock.

Romney tritt auf im weißen Hemd und mit gestreifter Krawatte. Das Jacket hat er zuvor abgelegt, die Hemdsärmel hochgekrempelt. Die Inszenierung zeigt den Manager als zupackenden Macher, und der rechnet vor allem mit vier Jahren Obama ab. Versöhnung sei versprochen worden, aber das Land sei nur noch tiefer gespalten. Obama wollte Jobs schaffen, aber die Arbeitslosenrate ist heute höher als bei seinem Amtsantritt. Das größte Übel sei die Gesundheitsreform, ein wahrer „Jobkiller“. Die Schulden habe er nicht halbiert, sondern dramatisch gesteigert. Das Benzin sei heute auch teurer als früher. „Herr Präsident, Erfolg erreicht man nicht durch Reden, sondern durch Taten.“

"Wenn Romney Präsident ist, wird die Welt uns wieder lieben!"

Glenyce klatscht begeistert. Sie johlt zustimmend. Sie schaut ihre Freundinnen triumphierend an und ruft: „Wenn Romney Präsident ist, wird die Welt uns wieder lieben!“

Aber Romney ist noch nicht fertig. Er habe gezeigt, sagt er, wie man es richtig macht. Als Investmentmanager habe er kriselnde Firmen gerettet; als Chef der Olympischen Winterspiele von Salt Lake City 2002 aus einem drohenden Minus im Millionenbereich noch einen Gewinn gemacht; und als Gouverneur von Massachusetts mit den oppositionellen Demokraten zusammengearbeitet, die Steuern gesenkt und dennoch einen Haushaltsüberschuss erzielt.

Romney wendet sich in Etna nicht an die Millionäre, die laut demokratischer Propaganda den Kern der Romney-Anhänger ausmachen. Luxusautos parken nicht vor der Halle, sondern bejahrte Pickups und Familienwagen. Die Jubelstimmung in der Halle hat untergründig einen aggressiven Ton. Man sieht es an den verhärteten Gesichtszügen vieler Männer. Man hört es an den drohenden Zwischenrufen „Geh da weg!“ und „Rübe runter!“, sobald Fotografen die Sicht versperren. Und man merkt es an den Reaktionen auf die unterschiedlichen Passagen der Rede. Am lautesten ist der Applaus, wenn Romney etwas Negatives über Obama sagt. Mitunter schwillt er zu einem höhnischen Gröhlen an. Wenn Romney davon spricht, was er als Präsident anders machen möchte, bleibt der Beifall höflich und verhalten. Das gilt auch, als er alle dazu aufruft, am Tag nach der Wahl auch jenen Nachbarn die Hand zur Versöhnung zu reichen, die ein Obama-Werbeschild im Vorgarten haben.

Die Menschen in Etna würden es nicht so offen sagen, aber sie haben Abstiegsängste, für sich ganz persönlich. Ihre gewohnte Welt ist aus den Fugen geraten. Die Jobs sind nicht mehr sicher. Die Gehälter steigen nicht mehr Jahr für Jahr. Der Glaube, dass der Wohlstand mit jeder neuen Generation wächst, schwindet. Der Globus ist im Umbruch, andere Nationen steigen auf, und in den USA haben die Weißen längst keinen automatischen Anspruch mehr auf die Führungsposten – nicht einmal mehr auf das Weiße Haus.

Romney muss Ohio gewinnen. Ohne diesen Staat kann er die Mehrheit der Wahlmänner, die er für die Präsidentschaft benötigt, kaum erreichen. So machen sich Glenyce und die anderen Romney-Anhänger mit ihrer auftrumpfenden Siegeszuversicht vor allem Mut. Die Umfragen für Ohio zeigen eine knappe, aber konstante Führung für Obama.

Die Demokraten nennen Ohio deshalb „Obamas Firewall“. Wenn sie diese Brandmauer verteidigen, wenn sie diesen „Battleground“ halten, dieses Schlachtfeld, dann bleibt ihr Mann für eine zweite Amtszeit Präsident.

„As Ohio goes, so goes the nation“, lautet die seit hundert Jahren gültige Regel – Wer hier gewinnt, siegt landesweit. Der Staat ist eine Miniaturausgabe der USA. Im Norden stehen an den Ufern des Eriesees Autofabriken und Stahlwerke. Die Region gehört zum „Rust Belt“, dem Rostgürtel, der unter der veralteten Industriestruktur leidet. Dort haben die Demokraten die Oberhand. Der Osten ist armes Farmland. Seine Bewohner stimmen überwiegend republikanisch. Ebenso im Süden, der in den frommen „Bible Belt“ überleitet. In der Mitte dieser Einflusszonen liegt Columbus, eine Dienstleistungsmetropole mit vielen Wechselwählern.

Am selben Tag, an dem Glenyce in Etna Romney zujubelt, wartet Sharon Harris auf Obama. Auch er spricht in einer großen Halle mit frei liegenden Stahlträgern, dem Franklin County Fairground in Hilliard. Im Sommer werden hier Rinder prämiert. Der Hallenboden ist aus Erde, Staub wirbelt auf, am Bühnenrand sind Strohballen drapiert. Es ist dann auch nicht so gut geheizt wie in der Maschinenfabrik. Aber das passt zu Sharons Stimmungslage: verhaltener Optimismus mit Anflügen von Zweifeln. Sie kennt die Umfragen, die für Obama sprechen. Aber vielleicht irren sich die Demoskopen. Und was ist, wenn der Präsident zwar im Prinzip mehr Anhänger hat, aber diese nicht wählen gehen, während die Republikaner in hoher Zahl ihre Stimmen abgeben? Selbst wenn Obama gewinnt - werden die Republikaner den Mehrheitsentscheid respektieren oder seine Politik im Kongress weiter blockieren?

"Wir müssen die Spaltung überwinden."

„Wir müssen die Spaltung überwinden, wir müssen zu Kompromissen fähig sein.“ Das ist Sharons wichtigster Wunsch für die nächsten vier Jahre. Ihre Tochter Sarah, eine Krankenschwester, die sie begleitet, nickt zustimmend. Amerika muss sich eingestehen, dass es auf vielen Gebieten nicht mehr führend ist, sagt Sharon. Für sie hat der Abstieg nicht mit Obama begonnen, sondern acht Jahre zuvor mit George W. Bush. Obama hat einen Schlamassel geerbt und sich an die Reparatur gemacht, von der Bankenkrise bis zur strapaziösen militärischen Präsenz in der Welt. Die Verschuldung muss sinken, sagt sie, aber bitte mit Vernunft. Kein falsches Sparen an der Bildung. Sie ist Lehrerin für behinderte Kinder. Kein Sparen an der Energiewende und keine Rückabwicklung der Gesundheitsreform. Ganz wichtig für sie ist der Abzug aus Afghanistan. Ein Sohn ist beim Militär, er soll nicht auch noch dorthin müssen.

Jetzt aber erst mal Hand aufs Herz. Die Nationalhymne ertönt, Sharon und Sarah singen mit, genau wie die anderen rund 2000 Menschen in der Halle. Dann sprechen sie gemeinsam den Fahneneid. Eine Pfarrerin erbittet Gottes Beistand für die Versammelten und für das Land. Die Demokraten sind offenbar doch nicht allesamt gottlose Gesellen ohne Vaterlandsliebe, wie konservative Propagandisten gerne behaupten.

Obama nimmt die Stufen auf das Podest mit dem Mikrofon im federnden Jogging-Schritt. Er trägt eine dunkelblaue Windjacke mit dem Präsidentenwappen, so wie zu Wochenbeginn, als er sich um die Katastrophenhilfe an der Atlantikküste kümmern und seine Wahlkampftermine in Ohio absagen musste. „O-“ ruft er in den Saal - und die Menge ergänzt sofort „-hio“. Vier Mal geht das hin und her, unter lautem Gelächter.

Obamas Stimme klingt heiser. Wie Romney hat auch er seine übliche Rede deutlich gekürzt, von über einer Stunde auf jetzt noch 32 Minuten. In denen spricht er vor allem darüber, was Amerika angeblich droht, wenn die anderen gewinnen, und verrät wenig, was er mit einer zweiten Amtszeit anfangen würde.

„Ihr wisst nach vier Jahren, wer ich bin. Ich setze auf euch. Ich kämpfe für Euch.“ Zustimmende Rufe ertönen in der Halle: „That’s right!“ Die Republikaner wollten zurück zu den Rezepten der Bush-Zeit, sagt er, obwohl die doch zu der Krise geführt habe. „Ohio, ich bitte um eure Stimmen!“

Draußen stehen Busse bereit, um die Bürger zum „Early Voting“ zu bringen, zu Wahllokalen, in denen man bereits mehrere Tage vor dem Wahltermin die Stimme abgeben kann. Sharon hat das längst getan. Jetzt will sie von Haustür zu Haustür gehen, damit jeder Obama-Wähler auch wirklich seine Stimme abgibt.

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