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Salat - ein Statussymbol? Vegetarier-sein ist mehr als nur eine Ernährungsweise, sagt unsere Kolumnistin Ursula Weidenfeld.

© Jens Büttner/dpa

Vegetarier gegen Fleischesser: Fleischverzicht ist das neue Statussymbol

Vegetarisch Essen ist das neue Auto, Fleischessen das neue Kevin, sagt unsere Kolumnistin und fordert: Bitte esst leiser!

Die einen mögen es, die anderen nicht. Fleisch. Doch anders als bei Tomaten und Milch gibt es bei Fleisch ein Problem. Wer es isst, muss sich rechtfertigen. Wer es nicht essen mag, will das auch erklären. Denn das Essen von Fleisch wird das, was früher der Vorname Kevin oder die Jogginghose waren: ein soziales Unterscheidungsmerkmal.

Es ist genau umgekehrt: Als ich vor 3 Jahren einmal versuchsweise für 3 Monate auf Fleisch verzichten wollte, ging das nicht still und heimlich. In jeder Runde musste ich mich erklären.

schreibt NutzerIn klaus14513

Es wäre naiv, sich darüber zu beschweren, dass Menschen sich unterscheiden wollen. Es ist ein Grundmerkmal menschlichen Verhaltens. Eine Sippe entwickelt gemeinsame Normen und einen einheitlichen Lebensstil. Dadurch verständigt sie sich über sich selbst und grenzt sich nach außen ab. Gerade in Großstädten ist das wichtig. Die Anonymität des Zusammenlebens wird durch die Erkennungszeichen sozialer Gruppen gemildert. So dokumentieren die Bewohner ihren sozialen Status durch ihr Wohnquartier, ihre Schulen, durch ihre Autos oder Fahrräder.

Alte Statussymbole wie das Auto verlieren an Bedeutung, das Vegetarier-Sein ist ein Ersatz

Doch in inklusiven Zeiten schleifen sich diese Unterschiede ab: Carsharing-Autos sieht man nicht an, ob ein Millionär darin sitzt oder ein Erzieher. In der Gesamtschule lernen Hochbegabte neben nicht so klugen Kindern. Das BVG-Ticket unterscheidet nicht zwischen der Professorin und dem Minijobber im Backwarenverkauf.

Nur das Bedürfnis, die Zugehörigkeit zu einer sozialen Schicht zu zeigen, verschwindet nicht. Das Nicht-Fleisch-Essen ist eines der neuen Statussymbole. Wer heute eloquent fleischlos lebt, versteht sich als Teil einer gutsituierten, gebildeten großstädtischen Oberschicht, die nachhaltig und moralisch gut leben will. Wer es nicht tut, sieht sich in die Gesellschaft der Zigarettenraucher, Limonadentrinker und Kinder-ohne-Pausenbrot-in-die-Schule-Schicker eingemeindet.

Liebe Vegetarier: Esst leiser

Das soziale Aufwerten von Verhaltensweisen und Lebensstilen schafft Identität. Aber es grenzt auch ab und aus. Das gilt für die Homogenisierung von Wohnquartieren genauso wie für die lautstarke Gentrifizierung des Speiseplans. Sich dessen bewusst zu werden und erste Schritte dagegen zu unternehmen, heißt nicht, dass man künftig anders essen muss. Aber sicher heißt es: Leiser essen.

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