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Venezuela: „Hugo Chavez ist kein Vorbild“

Der SPD-Außenpolitiker Niels Annen über die Lateinamerikapolitik der Sozialdemokraten und der Union.

Herr Annen, die Krisen im Nahen Osten, im Irak, im Iran, in Afghanistan fordern die Politik schon genug heraus. Warum beschäftigt sich die SPD an diesem Montag auf einer Konferenz mit Lateinamerika?

Wir würden einen schweren Fehler machen, wenn wir diesen Kontinent vernachlässigen würden, nur weil es dort keine Massenvernichtungswaffen und mit wenigen Ausnahmen keine Kriege mehr gibt. Wir können von Lateinamerika viel lernen.

An welche Lektionen denken Sie dabei genau?

Viele Regierungen dort haben jahrzehntelang marktliberale Politik betrieben. Heute wird der Kontinent fast ausschließlich links regiert. Wir können von der Entwicklung Lateinamerikas lernen, dass die neoliberale Phase an ihr Ende gelangt. Heute sind politische Modelle erfolgreich, die den Menschen mehr Mitsprache einräumen und auf eine stärkere Regulierung des weltweiten Kapitalismus setzen. Wir sollten diese interessanten Ansätze unterstützen.

Soll sich SPD-Parteichef Kurt Beck also an dem populistischen Venezolaner Hugo Chavez ein Vorbild nehmen?

Hugo Chavez ist für die SPD kein Vorbild. Aber wir plädieren in unserer neuen Strategie dafür, sich auch mit diesen linken Bewegungen auseinanderzusetzen. Wer auf Ausgrenzung setzt, treibt Politiker wie Hugo Chavez in die Arme von Irans Präsident Ahmadinedschad und seinem weißrussischen Kollegen Lukaschenko. Die vielen demokratischen Regierungen Lateinamerikas bieten sich an als Partner beim Ringen um einen gerechten Welthandel und um Klimaschutz.

Warum sehen nur wenige deutsche Politiker diese Herausforderung?

Wir pflegen ein romantisches Lateinamerikabild, das dominiert wird von Befreiungsbewegungen und malerischen Indios. Tatsächlich ist der Kontinent viel moderner. Chile etwa liegt laut internationalen Korruptionsstatistiken mit Deutschland fast gleichauf. Wir müssen die Scheuklappen ablegen. Das gilt auch für das Urteil über Länder wie Kuba.

Was sollte sich ändern im Umgang mit Fidel Castros Nachfolgern?

Eine Verteufelung Kubas hilft den Menschen dort überhaupt nicht. Die Bundeskanzlerin sollte endlich zur Kenntnis nehmen, dass sich Kuba in einer wichtigen Übergangsphase befindet. Leider hat Angela Merkel die Reise eines Wirtschaftsstaatssekretärs in das Land unterbunden. Es wäre ein fatales politisches Signal gegenüber den Menschen und der neuen Regierung in Kuba, wenn wir uns Gesprächen weiter verweigern würden.

Die Kanzlerin ist diese Woche auch Gast eines Lateinamerika-Kongresses, nämlich bei der Unionsfraktion. Worin unterscheidet sich der Ansatz der SPD von dem der Union?

Unsere Ansätze unterscheiden sich auch in der Wahl der Partner fundamental. Die Kanzlerin nimmt teil am Lateinamerika-Europa-Gipfel in Lima, was ich begrüße. Doch neben Brasilien besucht sie auf dieser Reise mit Kolumbien und Mexiko die einzigen noch konservativ regierten Länder des Kontinents. Die Kanzlerin sollte die neue politische Realität Lateinamerikas zur Kenntnis nehmen, die aus der Ablehnung von entfesselten kapitalistischen Märkten und dem Scheitern des neoliberalen Projektes entstanden ist. Die Union setzt sich mit diesem Phänomen nicht auseinander, sondern pflegt zuweilen ihre stark eingestaubten antikommunistischen Ressentiments. Das hilft weder in der Innenpolitik noch beim Umgang mit dem modernen Kontinent Lateinamerika.

Die Fragen stellte Hans Monath.

Niels Annen (35) ist SPD-Vorstandsmitglied und Lateinamerika-Experte seiner Fraktion im Bundestag. Von 2001 bis 2004 war er Bundesvorsitzender der Jusos.

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