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Venezuela Chavez

© AFP

Venezuela: Schlappe für Chavez

Die Venezolaner lehnen die Verfassungsreform ihres Präsidenten Hugo Chavez ab. Das bedeutet: 2012 muss er aus dem Amt scheiden. Die Opposition feierte diesen Erfolg ausgelassen. Chavez verschanzte sich in einer Krisensitzung.

Ein Jahr nach seinem fulminanten Sieg bei der Präsidentschaftswahl hat Venezuelas Staatschef eine schwere Schlappe einstecken müssen: eine knappe Mehrheit der Venezolaner sagte am Sonntag Nein zu der Verfassungsreform, mit der Hugo Chavez seine Macht ausbauen wollte. 50,7 Prozent stimmten nach Angaben des Nationalen Wahlrats gegen die Reform, 49,3 Prozent dafür.

Bis das Ergebnis um halb zwei Uhr in der Früh endlich verkündet wurde, vergingen allerdings spannungsgeladene Stunden. Am Nachmittag hatten die meisten Wahllokale geschlossen, gegen Mitternacht drängte die Opposition den Wahlrat auf Bekanntgabe der Teilergebnisse, doch die Wahlbehörde wollte ein genaueres Ergebnis abwarten, um keinen Spekulationen, Manipulationen oder gewalttätigen Ausschreitungen Vorschub zu leisten. Erst als die Opposition drohte, ihre Ergebnisse zu veröffentlichen, und in der Hauptstadt Caracas ein Kochtopfdeckelkonzert aus Protest gegen die Verzögerung ertönte, trat die Wahlratspräsidentin vor die Presse.

Am Wahlkampfsitz der Opposition im Osten von Caracas herrschte den ganzen Abend über ausgelassene Feierstimmung. Der oppositionelle Bürgermeister des Stadtteils Chacao, Leopoldo Lopez, sprach von einem Sieg für Venezuela und für die Demokratie. Er rief die Regierung zu einem Dialog auf. Die Venezolaner hätten dem autoritären Sozialismus, dem Staatskapitalismus und der permanenten Konfrontation eine klare Absage erteilt, daher müssten sich jetzt beide Seiten zusammensetzen, um ein neues Projekt auszuarbeiten, sagte er.

Chavez, der sich mit seinem Generalstab und Mitarbeitern im Präsidentenpalast zu einer Krisensitzung verschanzt hatte und erst nach langem Tauziehen bereit war, seine Niederlage einzugestehen, trat schließlich vor die Presse und beglückwünschte die Opposition, die nun endlich auf den Weg der Demokratie gefunden habe. Gleichzeitig warnte er sie vor allzu großer Euphorie. „Vorerst sind wir gescheitert, aber wir werden weiter für den Sozialismus kämpfen, und dies ist eine lange Schlacht“, warnte Chavez. Auf das Dialogangebot der Opposition ging er nicht ein.

Der Wahltag war weitgehend ruhig verlaufen, allerdings lag die Beteiligung mit 55 Prozent niedriger als bei der Präsidentschaftswahl vor einem Jahr. Die Regierung mobilisierte in Kommandomanier ihre Anhänger, die vor allem aus Staatsbediensteten und Millionen von Sozialhilfeempfängern bestehen, so dass viele Wahllokale bis spät in die Nacht hinein geöffnet blieben, was die Auszählung verzögerte. „Ich unterstütze den Präsidenten und habe deshalb mit Ja gestimmt“, sagte Yelitza Rodriguez, Angestellte des Nationalen Statistikinstituts. „Wir wollen keine Diktatur, nach zehn Jahren Chavez verdient Venezuela eine bessere Zukunft“, argumentierte dagegen der Student Juan Bernardo Gomez aus einem wohlhabenden Viertel im Osten der Stadt.

Ausschlaggebend für Chavez’ Schlappe war dem Politikexperten Luis Vicente Leon zufolge die Zersplitterung des Präsidentenlagers. Die Partei Podemos sowie die Ex-Minister Raul Baduel und Luis Miquilena lehnten die Reform als „kalten Putsch“ und „diktatorisch“ ab und überzeugten offenbar auch zahlreiche Wähler, die bis dato immer für Chavez votiert hatten, mit Nein zu stimmen oder sich zu enthalten. Außerdem gelang es den Studenten, die seit einigen Monaten gegen die Regierung demonstrieren, der führungslosen Opposition neues Leben einzuhauchen.

Meinungsforscher Oscar Schemel interpretiert den Erfolg der Opposition als Zeichen dafür, dass langsam in dem einst apolitischen, klientelistisch strukturierten Erdölland eine neue, demokratische Kultur entstehe. Die Entwicklung habe unter Chavez begonnen, der der bis dahin ausgeschlossenen, verarmten Bevölkerungsmehrheit Selbstbewusstsein und Bürgersinn zurückgegeben habe, und sie finde ihre Fortsetzung in den kritischen Studenten, die sowohl den korrupten Klientelismus der Vergangenheit als auch die Polarisierung und autoritäre Militarisierung der Gesellschaft unter Chavez ablehnten.

Es ist die erste Wahlniederlage für Chavez in neun Jahren und ein herber Rückschlag für sein Projekt, obwohl er für weitere fünf Jahre an der Staatsspitze bleiben wird. Zwar hat er weiterhin die Möglichkeit, seine Vorhaben per Dekret durchzusetzen. Eine erneute Wiederwahl ist jedoch mit der aktuellen Verfassung nicht möglich. Auch dürfte die Opposition nun vermehrt Widerstand gegen Verstaatlichungen, die Gleichschaltung der Zentralbank oder die geplante sozialistische Bildungsreform leisten. Dem Land drohen gewaltsame Konflikte und Unregierbarkeit sowie Diadochenkämpfe innerhalb des chavistischen Lagers.

Sandra Weis

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