zum Hauptinhalt

Politik: Verbissen, verbohrt, verloren

IG METALL BRAUCHT HILFE

Von Alfons Frese

Etwas muss schief gelaufen sein. Anders ist ja wohl gar nicht zu erklären, dass sich der beste Mann aus dem Staub macht. Insgesamt 23 Stunden hat der Vorstand der IG Metall inzwischen über Schlussfolgerungen aus dem verlorenen Arbeitskampf im Osten diskutiert. Einziges Ergebnis: Der IGMetall-Chef von Baden-Württemberg, Berthold Huber, bleibt im Ländle und steht für die Spitze der Gewerkschaft nicht mehr zur Verfügung. Ausgerechnet Huber, der mit dem Desaster um die 35-Stunden-Woche überhaupt nichts zu tun hat. Ausgerechnet Huber, der unter den Funktionären der IG Metall zu den Gescheitesten zählt.

Nun hat das in diesen Zeiten nicht viel zu bedeuten. Jedenfalls kann bei näherem Betrachten niemand auf die Idee kommen, dem 40 Personen umfassenden Vorstand der IG Metall Klugheit und Weitsicht zu bescheinigen. Denn dieser Vorstand gönnt sich eine derart penetrante Dauerbeschäftigung mit Personalfragen, dass die Strafe auf dem Fuß folgt. Im ersten Halbjahr 2003 hat die IG Metall bereits so viele Mitglieder verloren wie im gesamten vergangenen Jahr. Und dieser Trend wird sich jetzt beschleunigen, weil immer mehr Mitglieder nicht länger von einer Gurkentruppe an der Spitze geführt werden wollen.

Ob diesem Vorstand überhaupt noch zu helfen ist, darf bezweifelt werden. Das Gremium teilt sich auf in zwei feindliche Lager, die sich argwöhnisch belauern. Hinter jedem Argument der anderen Seite könnte eine Intrige stecken, jedes Zugeständnis des Gegners ist womöglich eine Finte, die Motive des Feindes sind grundsätzlich unlauter. Wie soll in dieser Atmosphäre ein kompliziertes Problem diskutiert werden? Nein, ein offener Disput ist nicht möglich. Den Paranoikern kann nur ein Psychiater helfen.

Aber wer hilft der IG Metall? Klaus Zwickels Vorschlag – er und sein Vize Jürgen Peters übernehmen Verantwortung für den Murks und treten zurück – war nicht schlecht, aber aussichtslos; der unberührbare Peters denkt nicht dran. Besser war die Idee des VW-Betriebsratschefs Klaus Volkert, der für den Rücktritt des gesamten Vorstands plädierte. Der IG Metall wäre viel erspart geblieben, wenn dieser Vorstand bereits vor zwei Wochen abgedankt hätte. Dass auch der Volkert-Vorschlag im Gremium keine Mehrheit fand, ist kein Wunder: Viele Vorstandsmitglieder fühlen sich wichtig und auf der richtigen Seite. Sozusagen unverzichtbar. Die böse Politik würde vermutlich noch tiefer den Arbeitnehmern in die Tasche packen und den Sozialstaat rasieren, wenn die IG Metall ihren Kopf verlöre.

Das ist die Argumentation von Jürgen Peters, an dem bisher alle Versuche zur Lösung der IG-Metall-Krise scheitern. Peters ist ein Kämpfer. Gegen den Willen Zwickels hat er sich auf den zweiten Stuhl der Gewerkschaft gekämpft, gegen den Willen Zwickels und der Hälfte des Vorstands wurde er für den ersten Platz nominiert und gegen große Teile der gesamten IG Metall will er jetzt durchhalten und sich den 600 Delegierten des Gewerkschaftstages im Oktober zur Wahl stellen. Trotz der Niederlage im Osten, von der sich die IG Metall in absehbarer Zeit nicht erholen wird und für die Peters als zuständiges Vorstandsmitglied die Verantwortung trägt.

Die Verbissenheit und Verbohrtheit, mit der Peters und seine Truppen sich eingegraben haben, ist erschütternd. Es geht ihnen ums Durchhalten, Kämpfen, Macht erhalten. Dahinter verbirgt sich ein schlichtes Welt- und Menschenbild: Es gibt Gute und Böse, Täter und Opfer, Schuldige und Unschuldige. Da draußen, im Raubtierkapitalismus, und hier drinnen, in der IG Metall. Und da er, Jürgen Peters der Aufrechte, auf der richtigen Seite steht, muss er also kämpfen für die gute Sache. Kämpfen, bis die IG Metall kaputtgekämpft ist.

Vielleicht geben die Verantwortungsvollen jetzt auf; so wie Berthold Huber. Sie sagen sich vielleicht, besser den Peters ranlassen, als die IG Metall im dauerhaften Lagerkampf pulverisieren. Vielleicht hoffen sie aber auch, dass in den Reihen von Peters der eine oder andere zur Besinnung kommt. Vielleicht. Darauf verlassen sollte sich niemand. Die IG Metall ist vielmehr so weit, dass sie Hilfe von außen braucht, einen Tarifschlichter und Therapeuten in einem. Doch selbst wenn der Schlichter erfolgreich ist: Die alte Größe und Durchschlagskraft wird die IG Metall nie wieder erreichen.

-

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false