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In Minsk macht die Polizei Jagd auf Demonstranten, hier am 7. November 2011.

© Reuters

Verbotener Protest: In Weißrussland müssen selbst Flashmobs genehmigt werden

Weißrusslands Präsident Lukaschenko hat die Pause der politischen Proteste genutzt - und alle Versammlungen untersagt. Das führt zu absurden Situationen.

Die Demonstranten hatten keine Plakate dabei und hielten keine Reden. Sie versammelten sich Woche für Woche auf den Straßen und schwiegen. Ab und zu klatschten sie in die Hände. In ganz Weißrussland gab es im vergangenen Sommer solche Proteste, organisiert wurden sie über das Internet, vor allem mit Hilfe des sozialen Netzwerks „Vkontakte“, dem russischen Pendant zu Facebook. Doch jetzt hat Präsident Alexander Lukaschenko ein Gesetz unterzeichnet, das Versammlungen ohne staatliche Erlaubnis verbietet. Von nun an gelten alle Formen des friedlichen Protests in Weißrussland als illegal.

Die Änderung am Gesetz über Massenveranstaltungen bezeichnete Amnesty International als „drakonisch“. Der Gesetzentwurf wurde am 4. Oktober von der weißrussischen Nationalversammlung im Schnelldurchgang an einem Abend hinter verschlossenen Türen angenommen - ungeachtet der Empörung der Bürger des Landes und der Proteste der internationalen Gemeinschaft verabschiedet.

Die Taktik des schweigenden Protests sollte die Teilnehmer vor Gewalt schützen. Der Staat hatte rechtlich keinen Grund, gegen sie vorzugehen, weil sie sich nicht politisch äußerten. Die Demonstranten sahen wie einfache Passanten aus, man konnte sie nur dann erkennen, wenn sie klatschten. Doch auch das Fehlen einer rechtlichen Grundlage hinderte die Milizionäre nicht daran, hunderte Menschen festzunehmen. Und auf die Unauffälligkeit der Demonstranten reagierten sie auf ihre Art – indem sie zivil zur „Arbeit“ erschienen.

Die Organisatoren des Internet-Projekts „Revolution durch soziale Netzwerke“, die die Proteste koordinierten, legten Anfang August nach insgesamt neun Demonstrationen eine Pause ein, nachdem sich die Zahl der Teilnehmer deutlich verringert hatte. Vjatscheslav Dianov, einer der Organisatoren, sagte damals, man müsse eine neue Form der Protestbewegung zusammen mit Oppositionspolitikern und Experten erarbeiten. Doch während dieser Pause arbeitete auch der Staatsapparat ziemlich angestrengt daran, über Gesetzesänderungen faktisch alle Formen des Protests illegal zu machen.

Unerlaubte Versammlungen, die mit Hilfe des Internets organisiert werden, gelten jetzt in Weißrussland automatisch als Streik. Das neue Gesetz verbietet, zu Versammlungen im Internet, in sozialen Netzwerken oder sonstigen Medien aufzurufen, solange die Erlaubnis von der örtlichen Behörde nicht erteilt wurde. Das heißt, dass in Weißrussland auch Flashmobs eine offizielle Genehmigung brauchen. Die Organisatoren des ersten Tanzflashmobs, der in Minsk vor kurzem stattfand und zu dem sich mehr als hundert Teilnehmer versammelten, hatten eine Erlaubnis dafür vorher beantragt und erhalten.

Seit Sommer sind unangekündigte Versammlungen in Minsk so unerwünscht, dass es manchmal absurde Züge annimmt. Beispiele dafür braucht man nicht lange zu suchen. Die sportlich-gesellschaftliche Vereinigung „Nüchternheit ist leicht“, bei der sich jeden Sonntag Menschen zum gemeinsamen Joggen im Gorki-Park in Minsk versammeln, musste eines Tages ihre gewohnten Pfade verlassen. Der Grund dafür waren zwei Milizionäre, die drohten, die Sportler wegen „Teilnehme an unerlaubten Veranstaltungen“ festzunehmen, falls sie „jedwede Aktionen“ durchführen sollten.

Zwei Wochen zuvor hatten die Organisatoren versucht, ihre sportliche Veranstaltung bei der Stadt zu registrieren, aber das gemeinsame Joggen im Park bekam keine Genehmigung. Nachdem die weißrussischen Medien über den Fall landesweit berichteten, gibt es aber nun laut dem Veranstalter, Gregori Kubeko, zwar weiterhin keine offizielle Genehmigung, aber auch keine Probleme mit den Milizionären mehr.

Die politische Situation in Weißrussland hat sich nach der Präsidentschaftswahl 2010 drastisch verschärft. Die Protestdemonstration gegen die Wahlfälschungen, die am 19. Dezember im Zentrum von Minsk stattfand, wurde von Sicherheitskräften brutal niedergeschlagen.

Hunderte Menschen wurden in der Nacht festgenommen, in den Wochen nach der Wahl begann eine Welle von Verhaftungen und Repressionen. 42 Personen, darunter 5 Präsidentschaftskandidaten, wurden wegen der Organisation von Massenunruhen zu Haftstrafen verurteilt. Sechs von ihnen, darunter die Präsidentschaftskandidaten Andrei Sannikov und Nikolaj Statkevitsch, sitzen noch im Gefängnis, weil sie ablehnen, beim Präsidenten ein Gnadengesuch einzureichen.

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