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In der Türkei stehen ab Montag zahlreiche Journalisten vor Gericht.

© dpa

Verdacht auf Unterstützung der PKK: Massenprozess gegen Journalisten in der Türkei

In der Türkei beginnt am kommenden Montag der größte Massenprozess gegen Journalisten in der Geschichte des Landes. Kritiker werfen der Regierung ein systematisches Vorgehen gegen Kurden vor

Insgesamt sind 44 Reporter und Redakteure wegen des Verdachts auf Unterstützung der kurdischen PKK-Rebellen angeklagt, 36 von ihnen sitzen seit Monaten in Untersuchungshaft. Erst vor kurzem hatte ein ganz ähnliches Verfahrengegen 46 Anwälte von PKK-Chef Abdullah Öcalan begonnen. Während die Regierung die Prozesse als notwendigen Teil der Terrorbekämpfung verteidigt, sprechen Kritiker von einer Kampagne gegen Andersdenkende, bei der rechtsstaatliche Prinzipien auf der Strecke bleiben. Auch die EU zeigt sich besorgt.

Die Justiz wirft den Journalisten vor, mit ihrer Arbeit der PKK gedient zu haben. Der Prozess gehört zu den seit dem Jahr 2009 laufenden Ermittlungen gegen die so genannte Union der Gemeinschaften Kurdistans (KCK), einer eng mit der PKK verbundenen Gruppe. Die türkische Regierung sieht in der KCK, die von dem PKK-Kommandanten Murat Karayilan angeführt wird, eine Art zivile Vertretung der Kurdenrebellen, die unter anderem den Aufbau paralleler, von der PKK beherrschten Staatsstrukturen im türkischen Südosten vorantreiben soll.

Im Zuge der Ermittlungen sind in den vergangenen Jahren mehrere tausend kurdische Lokalpolitiker sowie Akademiker, Gewerkschafter und eben auch Juristen und Journalisten festgenommen worden. Über die Zahl der KCK-Untersuchungshäftlinge gibt es widersprüchliche Angaben: Das Justizministerium spricht von etwa 1000 Angeklagten, die im Gefängnis auf ihren Prozess warten, kurdische Aktivisten dagegen von 8000.

„Hinter den Prozessen steht eine politische Entscheidung“, sagt Oguz Ender Birinci, Politikchef der pro-kurdischen Zeitung „Özgür Politika“. Sieben Mitarbeiter des Blattes und Herausgeber Ziya Cicekci werden am Montag unter den Angeklagten sein. Die Regierung wolle die Kurdenbewegung mit Hilfe der Justiz schwächen, doch eine Lösung des Kurdenproblems werde durch die Verfahren weiter erschwert, sagt Birinci.

Regierungskritiker und Menschenrechtler halten die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft gegen die Journalisten für fadenscheinig und teilweise absurd. Eine Reporterin wird vorgeworfen, sie habe mit einem Bericht über angebliche sexuelle Übergriffe bei der Fluggesellschaft Turkish Airlines den türkischen Staat erniedrigen wollen. Selbst abgehörte Witze unter Kollegen seien von der Staatsanwaltschaft zu Beweisen für eine angebliche PKK-Unterstützung hochstilisiert worden, sagt Birinci.

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Die Öcalan-Anwälte stehen vor Gericht, weil sie bei Besuchen bei ihrem Mandanten die Befehle des PKK-Chefs an die Rebellen entgegen genommen und anschließend weitergeleitet haben sollen. Dabei ließ die Gefängnisverwaltung alle Gespräche der Anwälte aufzeichnen – der Staat wusste also, dass bei den Besuchen meist über die Forderungen Öcalans für ein Ende des Kurdenkonflikts gesprochen wurde. Auch führten türkische Geheimdienstler zur selben Zeit vertrauliche Gespräche mit der PKK über ein Ende des Kurdenkonflikts. Die Kurdenpolitikerin Aysel Tugluk forderte die Staatsanwaltschaft deshalb auf, bitteschön doch auch gegen die Geheimdienstler zu ermitteln.

Emma Sinclair-Webb, Türkei-Expertin der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW), sieht die Prozesse gegen die Journalisten und die Anwälte als Zeichen einer bedenklichen Tendenz. „Diese Kampagne wird mit dem ganz groben Knüppel des Strafrechts geführt“, sagt sie. „Das ist kontraproduktiv für den Kampf gegen die PKK-Gewalt.“ Zudem bedrohten die auf fragwürdigen Beweisen basierenden Verfahren die Meinungs- und Versammlungsfreiheit und damit den Rechtsstaat.

Auch die EU ließ die Türkei bereits wissen, dass sie die Verfahren mit großem Unwohlsein beobachtet. Die türkischen Terror-Gesetze ermöglichten immer wieder Eingriffe in Grundrechte, erklärte Erweiterungskommissar Stefan Füle schon im Juni. Er forderte Nachbesserungen, doch geschehen ist nichts.

Die Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan sieht keinen Grund für Reformen, die den KCK-Angeklagten helfen würden. In den Prozessen gehe es um jene, die sich am Terrorismus beteiligten oder Terroristen unterstützen, sagte Erdogan. Sein Innenminister Idris Naim Sahin, der nationalistische Hardliner im Kabinett, ging noch einen Schritt weiter und setzte Journalisten, die der Regierungslinie im Kurdenkonflikt nicht ohne weiteres folgen wollen, mit den PKK-Rebellen gleich: „Zwischen den Kugeln, die [von der PKK] abgefeuert werden, und den Sachen, die in Ankara geschrieben werden, besteht kein Unterschied.“

Angesichts der politischen Rückendeckung für die umstrittenen Strafverfahren sind die Unterstützer der angeklagten Journalisten und Anwälte pessimistisch, was den Ausgang der Prozesse angehen. „Das Urteil steht doch jetzt schon fest“, sagt Rezan Sarican, ein Verteidiger der Öcalan-Anwälte. „Hier wird nur noch Theater gespielt.“

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