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Der neue Premierminister Enrico Letta (links) mit seinem Vorgänger Mario Monti

© dpa

Vereidigung der Regierung in Italien: Der Neue setzt Signale - nach allen Seiten

63 Tage nach der Parlamentswahl hat Italien wieder eine Regierung. Alle Beteiligten sind erleichtert - auch wenn am Rande der Zeremonie Schüsse fallen. Welche Zeichen setzt Regierungschef Enrico Letta?

Ein heller, hoher, festlicher Barocksaal. Fröhliche, entspannte Gesichter, wie man sie in diesen Kreisen lange nicht mehr gesehen hat. Scherzhafte Bemerkungen. Die 21 Minister der neuen italienischen Regierung und Premier Enrico Letta legen im Palast des Staatspräsidenten ihren Amtseid ab. Doch kaum haben sie damit angefangen, herrscht draußen Großalarm: Schüsse vor dem Amtssitz des Ministerpräsidenten. Anschlag auf die Carabinieri. Italiens Nachrichtensender teilen den Bildschirm: links das Fest, rechts das Blut. Die neuen Minister bekommen nicht einen Hauch davon mit.

Was ist über den Attentäter bekannt?

Er war ein Einzeltäter, ein 49-jähriger kalabrischer Maurer, wohnhaft in Piemont. Bei seinem Anschlag verletzte er zwei Beamte sowie eine Passantin. Er habe keine politischen Motive gehabt, heißt es. Die Aufregung am Rande der Vereidigung der neuen italienischen Regierung will dennoch nach Stunden nicht abklingen. Zwar spazieren die neuen Minister für Äußeres und für Europafragen, Emma Bonino und Enzo Moavero, zu Fuß und ohne Leibwächter vom Sitz des Staatspräsidenten den Quirinalshügel hinab zum Regierungssitz; sie wollen zeigen, dass ins frühlingshafte Rom – jedenfalls derzeit – keine bleiernen, terroristischen Zeiten zurückgekehrt sind. Die Frage aber ist für alle unabweisbar: Wenn Luigi P. nach dem Scheitern seiner Ehe und dem Verlust seines Jobs aus Verzweiflung die sechs Schüsse abgefeuert hat, hat dann nicht die Krise des Landes ihre Blutspur bis vors Büro des Regierungschefs gezogen? Er ist nicht der Erste, schon viele Italiener haben sich, von den Medien ausführlich registriert, aufgrund einer ausweglos erscheinenden Wirtschaftslage selbst das Leben genommen.

Mit welchem Anspruch übernimmt Enrico Letta die Regierung?

Der erst 46-jährige Ministerpräsident betonte, er wolle mit der Zusammensetzung seiner Regierung und der sie tragenden Koalition dem Land ein Zeichen für den Aufbruch geben. Erstmals seit neunzehn Jahren, seit Silvio Berlusconi „auf das Spielfeld der Politik herabgestiegen“ ist – wie er selbst zu sagen beliebte –, finden sich sein Mitte-rechts-Lager und die „Feinde“ von Mitte-links zu einem Regierungsbündnis zusammen. Diese Kombination ist für Italien so neuartig, dass die Zeitungen nicht mal eine Bezeichnung dafür haben. Sie nehmen Anleihe beim Deutschen und nennen alles eine „grosse koalition“.

Und Letta will einen Generationswechsel einleiten: Dem neuen Kabinett gehören neun Politiker – für Italien auffallend viele – zwischen 37 und 50 Jahren an, Neulinge auch, die erst vor zwei Monaten überhaupt ins Parlament gewählt worden sind; das Durchschnittsalter ist gegenüber der scheidenden Regierung Monti von 64 auf 53 Jahre gesunken. Dem Drängeln der Altparteien, „die Erfahrung“ und „die Schwergewichte“ nicht aus seinem Kabinett auszuschließen, hat sich Enrico Letta in recht nervigen Marathon-Verhandlungen erfolgreich widersetzt.

Aus den Reihen der Altparteien ist kein früherer Minister im Kabinett übrig geblieben – mit einer gut begründeten Ausnahme: Das Innenressort führt Silvio Berlusconis Vertrauter, Angelino Alfano, der zwischen 2008 und 2011 bereits Justizminister war. Nominell ist der Sizilianer Alfano auch „Sekretär“, also Vorsitzender von Berlusconis „Volk der Freiheit“. In dem erst 42-Jährigen kann, wer will, auch den im Konflikt der Generationen aufstrebenden, künftigen Führer einer erst noch zu formierenden, neuen Rechten sehen – faktisch gibt Berlusconi aber die Führung nicht aus der Hand. Alfano wird unter dem Sozialdemokraten Letta und unter Berlusconis Überwachung auch Vize-Premier.

Regierung hat Chance, langfristig zu halten

Der neue Premierminister Enrico Letta (links) mit seinem Vorgänger Mario Monti
Der neue Premierminister Enrico Letta (links) mit seinem Vorgänger Mario Monti

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Was sagt die Zusammensetzung des Kabinetts über Lettas Absichten aus?

Letta hat sich nicht nur bemüht, alle Strömungen seiner Koalitionsparteien zu berücksichtigen – deswegen ist die Ministerliste auch so lang geworden –, er wollte auch ein starkes Zeichen an die Adresse Europas senden: Finanz- und Wirtschaftsminister wird nicht einer von jenen Parteipolitikern, die gegen Mario Montis „mörderische Strenge“ Wahlkampf getrieben haben und nun die Staatsausgaben wieder erhöhen wollen, sondern wieder ein „Technokrat“: der unabhängige Generaldirektor der Nationalbank Fabrizio Saccomanni, ein enger Vertrauter von EZB-Chef Mario Draghi und von Mario Monti.

Von Lettas 21 Ministern – um die Posten der Stellvertreter, der Staatssekretäre, der „Aufpasser“ rangeln die Parteien und die enttäuschten Altpolitiker erst noch – sind ein Drittel Frauen. Auch das gab es in der politischen Geschichte Italiens noch nicht. Und sie wurden nicht nur mit dem Landwirtschafts- oder dem Gesundheitsressort abgefunden. Eine der sensibelsten Spitzenpositionen nimmt die parteifreie Anna Maria Cancellieri (69) ein, eine frühere Spitzenbeamtin, die erst als Innenministerin unter Mario Monti in die Politik eingetreten ist und nun das Justizressort führt. Dieses galt – wegen Berlusconis ausdrücklicher, unablässig wiederholter Forderung, dass seine privaten Rechte „garantiert“ bleiben sollten und dass kein ihm „feindlich gesinnter“ Politiker dort installiert werden dürfe, als das heikelste Ressort der Koalitionsregierung.

Als zweite Spitzenfrau wird überraschend Emma Bonino (65) Chefin des Außenministeriums. Die frühere EU-Kommissarin für Menschenrechte und Verbraucherschutz (1995–1999) gehört keiner der Koalitionskräfte, sondern der kleinen Radikalen Partei an und hat sich als Kämpferin für Frauen- und Minderheitenrechte einen Namen gemacht.

Integrationsministerin wird die Augenärztin und gebürtige Kongolesin Cécile Kyenge (48), die erste – vor zwei Monaten für die Sozialdemokraten ins Parlament gewählte – schwarze Abgeordnete und Ministerin Italiens. Insgesamt kommen die Sozialdemokraten damit auf neun Kabinettsmitglieder, das „Volk der Freiheit“ auf fünf, Montis „Bürgerwahl“ auf drei; die anderen sind parteiunabhängige „Technokraten“. Und Letta, da sind sich alle italienischen Kommentatoren einig, hat seine Regierung auf Dauer angelegt. Sie soll stehen – was immer in den kommenden Monaten passiert.

Die erste Regierungserklärung Enrico Lettas ist für den heutigen Montag im Abgeordnetenhaus vorgesehen; dort und am Dienstag im Senat, der zweiten Parlamentskammer, muss sich sein Kabinett auch der Vertrauensabstimmung stellen. Theoretisch besteht keinerlei Risiko: Die Große Koalition stützt sich auf etwa 68 Prozent der Wählerstimmen. Außen vor bleibt, auf ausdrücklichen Wunsch, praktisch nur die fundamentaloppositionelle „Fünf-Sterne-Bewegung“ von Beppe Grillo, die bei der Parlamentswahl im Februar aus dem Stand heraus auf etwa 25 Prozent der Wählerstimmen gekommen war.

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