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Politik: Vererbte Armut

Immer mehr Familien sind über Generationen auf Sozialhilfe angewiesen.

Berlin Die Kirchen schlagen Alarm: „Armut wird in Deutschland faktisch vererbt“, schreiben sie zum jüngsten Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung. Ist Armut inzwischen ein Generationenschicksal? Besiegelt die Armut der Eltern auch das Lebensschicksal ihrer Kinder?

Zum ersten Male steht dieses Thema in Deutschland auf der sozialpolitischen Tagesordnung. Und das Urteil der Kirchen ist eindeutig: „Dies widerspricht zutiefst unserem christlichen Menschenbild, ist sozialpolitisch ein Skandal und lässt auch ökonomische Potenziale brachliegen.“ Abhilfe schaffen kann aus ihrer Sicht vor allem das Bildungssystem: „Hier brauchen wir einen sofortigen und radikalen Wandel, der dazu führt, dass alle Kinder nach ihren Fähigkeiten gefördert werden, dass also auch in dieser Hinsicht mehr Befähigungs- und Beteiligungsgerechtigkeit verwirklicht wird“, erklärten der EKD-Vorsitzende Wolfgang Huber und der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Kardinal Karl Lehmann.

Die harsche Kritik der Kirchen stützt sich auf Untersuchungen, die am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin und am Zentrum für Sozialpolitik (ZeS) der Universität Bremen gemacht wurden. „Armut und Reichtum – beide sind vererbbar“, erläutert ZeS-Kodirektor Stephan Leibfried. „Wie Vermögen, kann auch Unvermögen an die nächste Generation weitergegeben werden.“ Es gebe in Deutschland inzwischen eine Gruppe von etwa fünf Prozent der Empfänger, die sehr lange in der Sozialhilfe bleiben.

Das bestätigen auch Untersuchungen des DIW. Jugendliche zwischen 13 und 16 Jahren, die in einer Sozialhilfefamilie aufgewachsen sind, haben eine um 10 und 25 Prozent höhere Wahrscheinlichkeit, als Erwachsene wieder sozialhilfeabhängig zu werden. Gerade bei vielen Zuwanderern ist Armut nach Erkenntnissen der Forscher inzwischen „nicht ein vorübergehendes Phänomen, sondern ein dauerhafter Zustand“. Mittlerweile existiere, so lautet ihr Fazit, ein „Armutskreislauf zwischen Eltern und Kindern“.

Bei den Ursachen jedoch deuten die DIW-Experten – anders als die Kirchen – in zwei Richtungen. Zwar sehen sie die Hauptursache für „vererbte Armut“ ebenfalls in dem Mangel an Bildungschancen. Allerdings scheitere der Aufstieg oft auch daran, „dass Eltern, die Sozialhilfe beziehen, offenbar ein schlechtes Vorbild abgeben“, erklärt DIW-Forschungsdirektor Gert G. Wagner – auch wenn nach seinen Worten das Verhaltensproblem der Eltern eine deutlich geringere Wirkung für die Zukunft der Kinder hat, als der mangelhafte Zugang zu Bildung.

Im internationalen Vergleich liegt Deutschland damit bei der „vererbten Armut“ sowie der Abwärtsmobilität zusammen mit Frankreich im Mittelfeld. Ganz oben rangieren die Vereinigten Staaten und Großbritannien: Hier gilt – allen Mythen vom Land der unbegrenzten Möglichkeiten zum Trotz – häufiger als in allen anderen Industrienationen der Welt die soziale Faustregel: Eltern arm – Kinder arm; Eltern reich – Kinder reich. Wer einmal oben ist, der bleibt auch oben. Und wer einmal unten ist, der bleibt auch unten. Am entgegengesetzten Ende der Skala dagegen liegen Kanada sowie die skandinavischen Staaten: Hier ist der Zusammenhang zwischen dem Schicksal der Eltern und den Aussichten der Kinder am geringsten ausgeprägt. Für die Zukunft der Kinder hat es zum Beispiel kaum einen negativen Effekt, wenn Vater oder Mutter arbeitslos werden oder gar von Sozialhilfe leben müssen. Umgekehrt tritt der Nachwuchs nicht automatisch in die beruflichen und sozialen Fußstapfen seiner Eltern, wenn diese gut situiert und gebildet sind. Diese Flexibilität jedoch hat ihre Schattenseiten: Denn in diesen Gesellschaften sind die Aufstiegschancen

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