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Vor dem Bundestag protestieren "Die Jungen Unternehmer" gegen die Erweiterung des Eurorettungsschirms ESFS

© dapd

Verfassungsurteil um Eurorettung: Berlin verschärft Ton gegen Euro-Sünder

Merkel muss weiter um eine Koalitionsmehrheit für die Reform des Eurorettungsschirms bangen. Am Mittwochvormittag urteilt das Verfassungsgericht über die Rettungsbeschlüsse von 2010. Für die Regierung steht viel auf dem Spiel.

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Die wachsenden Probleme der Euro-Schuldenstaaten gefährden den Rettungskurs der Bundesregierung. Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) drohte Griechenland am Dienstag im Bundestag mit dem Stopp weiterer Hilfen, wenn das Land zugesagte Reformen nicht umsetzt. Massive Verärgerung in den Koalitionsfraktionen lösten der Wackelkurs der italienischen Regierung und vor allem die Situation in Griechenland aus. Zugleich gerieten die Regierungen in Rom und Madrid unter steigenden Druck der eigenen Bevölkerung.

Schäuble sagte in der Haushaltsdebatte des Bundestages, Griechenland müsse seine Reformbemühungen verstärken. Die Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank und Weltwährungsfonds müsse feststellen, dass das Land bei der Umsetzung der Sparbeschlüsse „auf Kurs“ sei. Erst dann könne weiteres Geld fließen. „Da gibt es keinen Entscheidungsspielraum“, betonte der Minister. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte sich am Montagabend in der Unionsfraktion massiv verärgert darüber gezeigt, dass Italien zunächst angekündigte Reformen wieder zurücknehmen wollte. Sie bezeichnete die Situation nach Angaben von Teilnehmern als „extrem fragil“.

In Italien gingen Zehntausende gegen Regierungschef Silvio Berlusconi auf die Straße. In mehr als 100 Städten protestierten Bürger am Dienstag gegen das von der Regierung geplante milliardenschwere Programm zur Haushaltskonsolidierung. Auch in Spanien demonstrierten Tausende gegen die Einführung einer Schuldenbremse. Durch den Ausstand wurde auch der Flugverkehr zwischen Deutschland und Italien beeinträchtigt. Unter dem Druck der Finanzmärkte kündigte die italienische Regierung weitere Veränderungen des Sparpaketes an. Dabei soll die Mehrwertsteuer um einen Punkt auf 21 Prozent angehoben werden. Auch eine Schuldenbremse ist geplant.

Im Bundestag muss die Kanzlerin vor der Abstimmung über die Stärkung des Euro-Rettungsschirms EFSF Ende des Monats um eine eigene Mehrheit bangen. Nachdem es bei zwei Probeabstimmungen bei der CDU/CSU und bei der FDP am Montag insgesamt 25 Neinstimmen und Enthaltungen gegen den deutschen Beitrag zum Rettungsfonds gegeben hatte, bemühten sich führende Unionspolitiker am Dienstag um Schadensbegrenzung. „Das alles ist ganz im normalen und üblichen Bereich“, sagte Unionsfraktionsführer Peter Altmaier (CDU). Andererseits wächst aber die Sorge, dass die Unsicherheiten vor allem um Griechenland die Stimmung umschlagen lassen könnten. In der CSU- Landesgruppe sprach sich der frühere Wirtschaftsminister Michael Glos für einen radikalen Kurswechsel aus. Er glaube nicht mehr, dass Griechenland im Euro- Raum bleiben könne. Bliebe es am 29. September bei den 25 Abweichlern im Regierungslager, wäre die sogenannte Kanzlermehrheit verfehlt. Die Opposition bekräftigte, dass Merkels Regierung in diesem Fall am Ende sei.

Welche Mitspracherechte der Bundestag künftig bei Hilfszahlungen an Krisenstaaten haben wird, dürfte auch von dem an diesem Mittwoch erwarteten Urteil des Bundesverfassungsgerichts über die Rechtmäßigkeit früherer Rettungsmaßnahmen abhängen. In Karlsruhe wird entschieden, ob die Beschlüsse von 2010 im Einklang mit dem Haushaltsrecht sind.

"Das ist der wichtigste Prozess, den das Bundesverfassungsgericht jemals führen musste."Lesen Sie weiter auf Seite zwei.

Mit dem Urteil des Verfassungsgerichts steht für die Bundesregierung viel auf dem Spiel. Die Kläger sind optimistisch. Sie sind nicht die einzigen, die zumindest auf einen Teilerfolg hoffen. Der CSU-Bundestagsabgeordnete Peter Gauweiler sieht gute Chancen für seine Verfassungsbeschwerde gegen den Euro-Rettungsschirm. Alle zwischenzeitlich gewonnenen Erkenntnisse über die Euro-Krise bestätigten seine Position, sagte Gauweiler am Mittwoch in der „Leipziger Volkszeitung“. Der Stabilisierungsmechanismus verstoße eindeutig das Verbot der gegenseitigen Schuldenübernahme und erschüttere die Stabilität der Währung. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe entscheidet am Mittwoch um 10.00 Uhr über die Rechtmäßigkeit der Milliardenhilfen für Griechenland und andere verschuldete Eurostaaten. Die Kläger um Gauweiler sehen in den 2010 beschlossenen Hilfen einen Verstoß gegen den EU-Vertrag. Zudem sehen sie die Rechte der deutschen Parlamentarier durch die Griechenlandhilfe beschnitten. Der Tübinger Wirtschaftsprofessor Joachim Starbatty rechnet damit, dass die Richter die Pläne zur Euro-Rettung zwar nicht grundsätzlich zurückweisen, dem Bundestag aber mehr Mitspracherecht einräumen und konkrete Vorgaben machen. „Das ist der wichtigste Prozess, den das Bundesverfassungsgericht jemals führen musste. Wenn die Richter jetzt den Kopf in den Sand steckten, dann hätten sie vor einer historischen Aufgaben versagt“, sagte Starbatty, einer der Mitstreiter Gauweilers. FDP-Chef Philipp Rösler wies erneut Forderungen von Parteifreunden nach einem Ausschluss Griechenlands aus der Euro-Zone zurück. Ein solcher Schritt wäre nicht nur politisch, sondern auch rechtlich nicht möglich, sagte der Bundeswirtschaftsminister der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung“ am Mittwoch. Die Krise im europäischen Währungsverbund lasse sich nur gemeinsam lösen.

Die deutschen Familienunternehmer und der Verband „Die Jungen Unternehmer“ hoffen nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts auf Korrekturen am Rettungsschirm. Der Rettungsschirm müsse „erheblich nachgebessert werden“, sagte der Präsident des Verbandes „Die Familienunternehmer“, Lutz Goebel, der Nachrichtenagentur dpa. Die Vorsitzende der „Jungen Unternehmer“, Marie-Christine Ostermann, sagte der dpa: „Ich hoffe, dass das Verfassungsgericht der Bundesregierung einen Schuss vor den Bug gibt.“ Die Regierung brauche ein starkes Signal, um in Brüssel nachverhandeln zu können. (mit dpa)

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