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Vergangenheitsbewältigung: Wird die DDR zu pauschal beurteilt?

Der Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern, Erwin Sellering, hat eine gerechtere Beurteilung der DDR gefordert – und sich mit dieser Forderung auch von eigenen Parteifreunden abgesetzt. Der Linken nimmt er eine Debatte ab. Und was denken Sie? Sagen Sie uns am Ende des Artikels Ihre Meinung.

Von Matthias Meisner

Der SPD-Politiker Sellering sagte in einem Zeitungsinterview: „Ich verwahre mich dagegen, die DDR als totalen Unrechtsstaat zu verdammen, in dem es nicht das kleinste bisschen Gutes gab.“ Kritisch merkte er an, dass es in der DDR keine Kontrolle durch unabhängige Gerichte gegeben habe. „Insofern hat zur DDR immer auch ein Schuss Willkür und Abhängigkeit gehört.“ Vor allem Politiker aus der Landes-CDU, die mit Sellering in einer Koalition regiert, nannten die Äußerungen des Ministerpräsidenten unerträglich und anmaßend.

Zum Vergleich von DDR und Bundesrepublik sagte Sellering: „Das eine war nicht völlig schwarz, das andere ist nicht völlig weiß.“ Weiter betonte er: „Es ist ja nicht so, dass ein idealer Staat auf einen verdammenswerten Unrechtsstaat stieß. Die alte Bundesrepublik hatte auch Schwächen, die DDR auch Stärken.“ Als positiv an der DDR erwähnte der Regierungschef unter anderem die Betreuung in den Kindertagesstätten. Auch Dinge, die jetzt zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung eingeführt würden, habe es schon in der DDR gegeben. Sellering stammt aus Nordrhein-Westfalen, in der DDR hat er nicht gelebt. Die SED-Vergangenheit der Linkspartei wollte er in dem Interview nicht zum Thema machen: „Ich habe mich stets davor gehütet, mit westlichem Blick Verurteilungen vorzunehmen.“

Vor einigen Wochen hatte der Vizechef der Linksfraktion im Bundestag, Bodo Ramelow, für Empörung gesorgt, weil er die DDR nicht als Unrechtsstaat bezeichnen wollte. Der Begriff sei politisch aufgeladen und „mit juristischen Definitionen nicht zu fassen“, sagte Ramelow, der auch Spitzenkandidat seiner Partei bei der Landtagswahl in Thüringen ist. Auch Linksparteichef Lothar Bisky lehnte die Bezeichnung „Unrechtsstaat“ damals als „Kampfbegriff aus dem Konrad-Adenauer-Haus“ ab. Die Bewertung der Frage, ob die DDR ein Unrechtsstaat gewesen sei, sei eher etwas für Rechtsgelehrte, fügte Biskys Ko-Chef Oskar Lafontaine hinzu. Der thüringische SPD-Chef Christoph Matschie sagte Anfang März auf einem SPD-Landesparteitag, Ramelow habe sich mit seinen Äußerungen zur DDR für das Amt des Ministerpräsidenten disqualifiziert. Wer den Begriff DDR-Unrechtsstaat nicht verwenden wolle, dem sei „die Verbeugung vor den Altkadern wichtiger als vor den DDR-Opfern“. Matschie schließt eine rot-rote Koalition nach der Thüringen-Wahl nicht aus, doch nur, wenn die SPD auch den Ministerpräsidenten stellen kann. Danach sieht es im Moment nicht aus. Vertreter der Linkspartei wollten Sellerings Äußerungen am Wochenende nicht kommentieren.

SPD-Chef Franz Müntefering wird in der neuen Ausgabe der Zeitschrift „Super Illu“ zitiert: „Die DDR war ein Unrechtsstaat.“ Da gebe es „nichts zu deuteln“. Müntefering fügte in dem Interview jedoch hinzu, es habe in der SED Menschen gegeben, „die mit Politik umgehen können, die sich kümmern und engagieren. Bei denen, die ohne Schuld seien, habe er Verständnis, dass sie ihr Leben im DDR-Staat „nicht einfach für vertan oder gescheitert erklären wollen“.

Der Schweriner CDU-Landtagsfraktionschef Harry Glawe warf Sellering eine „gefährliche Relativierung des Unrechtsstaats DDR“ vor. „Ich bin erschrocken, dass sich Sellering damit gerade im Jahr 20 des Mauerfalls in eine Reihe jüngster Rehabilitierungsversuche stellt.“ Wer die DDR nicht persönlich erlebt habe, sollte sich nach Ansicht Glawes gerade als Ministerpräsident mit beschönigenden Aussagen zurückhalten. Man habe in der DDR ein zufriedenes Privatleben haben können. Der Staat aber sei „auf einem System von Lügen“ gegründet gewesen.

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