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© dpa

Verhandlungsmarathon: Schwarz-Gelb lässt AKWs länger laufen und einigt sich bei Online-Sicherheit

Bei der Inneren Sicherheit lagen sie weit auseinander, am Abend die Überraschung: Union und FDP haben sich geeinigt. Auch die Laufzeiten von Kernkraftwerken sind durch.

Die Einigung am Abend kam überraschend. Den Tag über sah es so aus, als ob Union und FDP beim Thema Sicherheit noch weit auseinanderlägen. Doch nach der Sitzung der Arbeitsgemeinschaft Sicherheit/Justiz in Berlin sagten Verhandlungsteilnehmer, man sei sich einig geworden. Zuletzt hatten sich die künftigen Regierungspartner vor allem über Themen wie das BKA-Gesetz samt Online-Durchsuchungen, die Vorratsdatenspeicherung und die Internetsperren gegen Kinderpornografie im Netz gestritten.

Bei der Vorratsdatenspeicherung solle die Nutzung der Daten auf schwere Gefahrensituationen beschränkt werden, sagte Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU). Bei den Internetsperren verständigten sich die Verhandlungspartner darauf, dass das Bundeskriminalamt (BKA) zunächst versuchen soll, kinderpornografische Seiten zu löschen statt zu sperren. Nach einem Jahr sollen die Erfahrungen mit der Löschung ausgewertet werden.

Für heimliche Online-Durchsuchungen von Computern Verdächtiger ist künftig eine Anordnung der Bundesanwaltschaft nötig. Zudem werden Online-Durchsuchungen nicht auf weitere Sicherheitsbehörden wie den Verfassungsschutz ausgeweitet.

Auf eine Reihe von kleineren Themen hatten sich die beiden Seiten bereits zu Anfang der Sitzung verständigt. Dazu zählt die Einrichtung einer Visa-Warndatei, um den Missbrauch bei der Visa-Erteilung stärker zu bekämpfen und viele rechtspolitische Themen.

Abschied vom Atomausstieg: Ungeachtet des wachsenden Widerstandes in der Bevölkerung hat sich die schwarz-gelbe Koalition auf längere Abhängigkeit von der Atomenergie verständigt. Die zuvor zerstrittenen Arbeitsgruppen für Umwelt und Wirtschaft konnten sich aber nur auf Grundsätze einer Laufzeitverlängerung für "sichere" Anlagen einigen. Offen bleibt damit nach den einwöchigen Beratungen, wie lange die Atomkraftwerke (AKW) über 2022 hinaus – gegebenenfalls auch durch Sicherheitsnachrüstungen – am Netz bleiben sollen. Damit ist in der Atomfrage zunächst der Kurs abgesteckt, von dem erwartet wird, dass ihn die Koalitionsspitzen in ihrer am Freitag beginnenden Klausur bestätigen. Mehr Aufschluss soll ein Energiekonzept geben, das weit ins Jahr 2010 hinein erarbeitet werden soll.

Unklarheit herrscht weiter über die Sicherheitskriterien und die Summe, die die vier Atomkonzerne E.on, RWE, EnBW und Vattenfall aus ihren Zusatzerlösen abführen sollen. "Die Rede ist weiterhin von mehr als 50 Prozent von X", sagte ein Teilnehmer der Beratungen. Solche Erlöse bei Laufzeitverlängerung der abgeschriebenen und günstig arbeitenden AKWs werden zurzeit zwischen zwei und 60 Milliarden Euro geschätzt. Bei den hohen Beträgen bleibt scheinbar unbeachtet, dass die Laufzeitverlängerungen der neueren Anlagen erst in späteren Jahren zum Zuge kommen. Die abgeschöpften Milliarden-Beträge sollen vor allem in die Erforschung der Batterien- und Speichertechnologien gesteckt werden.

Damit sollen vor allem die Erneuerbaren Energien bei der Speicherung des Wind- und Sonnenstroms vorangebracht werden. Fernziel ist, dass die Öko-Energien künftig zum vorherrschenden Element der Energieversorgung werden. Der Bundesverband Erneuerbare Energien (BEE) teilte mit, dass die Branche in der Lage sei, bis 2020 den Öko-Anteil an der Gesamtenergie auf 28 Prozent zu verdreifachen. Beim Strom solle es sogar einen Zuwachs von 15 auf 45 Prozent geben.

Auch der Bund für Umwelt und Naturschutz und der Naturschutzbund warnten vor verlängerten AKW-Laufzeiten. Damit werde eine große Zahl künftiger Arbeitsplätze in der Branche der erneuerbaren Energien gefährdet, die jetzt 280.000 Menschen beschäftige, sagte der BUND-Vorsitzende Hubert Weiger. Die These von Union und FDP, die Atomkraft sei als "Brückentechnologie" unverzichtbar, wies der Wissenschaftler Uwe Leprich vom Saarbrücker Institut für Zukunftsenergiesysteme (IZES) als "Märchen" zurück. Auch beim geplanten Ausstieg aus der Atomenergie gebe es keinerlei Versorgungsprobleme. Leprich forderte verstärkte Investitionsanreize zum Bau klimaschonender Kraft-Wärme-gekoppelter Energieanlagen und den Ausbau der Stromnetze.

Während die Beratungen der künftigen Koalitionäre von Atomgegnern mit lauten Protesten begleitet wurden, berieten Globalisierungskritiker im niedersächsischen Hitzacker über die Friedens- und Umweltpolitik. Damit soll der Widerstand gegen die Erkundung des Salzstocks Gorleben als Endlager für AKW-Müll verstärkt werden, auf die sich Schwarz-Gelb bei den Koalitionsbeschlüssen ebenfalls festlegt. Der CDU/CSU-Bundesverband Christliche Demokraten gegen Atomkraft forderte, die "nukleare Geisterfahrt" mit länger betriebenen Atomkraftwerken zu beenden. "Deren Weiterbetrieb bedeutet, mit unseren Lebens- und Zukunftschancen russisches Roulette zu spielen." Grünen-Chefin Claudia Roth erklärte: "Schwarz-Gelb facht einen der größten gesellschaftlichen Konflikte in Deutschland wieder an, der mit dem Atomkonsens (von 2000) befriedet war."

Unterdessen regte sich in der CDU deutlicher Unmut gegen Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer. Mehrere CDU-Agrarminister und weitere Fachpolitiker kritisierten, dass Seehofer in den Koalitionsverhandlungen von Union und FDP bei den Themen Gentechnik und Milchhilfen eine Außenseiterposition einnehme. Nach Ansicht der CDU-Politiker müssten bei den Koalitionsgesprächen aber die Interessen für ganz Deutschland im Vordergrund stehen und nicht nur die der bayerischen Schwesterpartei.

Der CSU-Chef fordert, dass die Bundesländer letztlich für ein Anbauverbot von Gen-Pflanzen zuständig sein können. In Bayern ist der Widerstand gegen Gentechnik groß. Seehofer strebt auch eine nationale Steuerung der Milchmenge an, damit die niedrigen Milchpreise für Bauern steigen. Er will die Verrechnung von zu viel und zu wenig gelieferter Milch ("Saldierung") aussetzen. Dies lehnen CDU und FDP ab. Deshalb entscheidet darüber die Koalitions-Spitzenrunde.

Quelle: ZEIT ONLINE

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