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Seit Monaten explodieren jeden Tag Bomben in Syrien. Nun will Russland dem Assad-Regime ein Luftwaffenabwehrsystem verkaufen.

© dpa

Update

Verkauf von Luftabwehrraketen geplant: Israel und USA warnen Russland vor Waffendeal mit Syrien

Die USA und Russland bewegen sich in der Syrienfrage. Offenbar aus Angst vor einem Islamistenstaat. Doch nun will Russland ein modernes Flugabwehrsystem an das Assad-Regime verkaufen.

Letzte Woche wollte Syrien-Vermittler Lakhdar Brahimi noch die Brocken hinwerfen. Nun spricht er von „der ersten hoffnungsvollen Nachricht für dieses unglückliche Land seit langer Zeit“ und von „einem wichtigsten Schritt nach vorne“. Zum ersten Mal seit gut zwei Jahren Krieg und Zerstörung in Syrien, zum ersten Mal seit der Totalblockade im UN-Sicherheitsrat haben sich die beiden globalen Gegenspieler USA und Russland deutlich aufeinander zubewegt. Bei seinem Besuch in Moskau einigte sich US-Außenminister John Kerry nach einem nervenaufreibenden Gesprächmarathon mit seinen Gegenspielern Wladimir Putin und Sergej Lawrow darauf, möglichst bis Ende Mai eine internationale Syrien-Konferenz einzuberufen, um Assad-Regime und Aufständische endlich zu Verhandlungen über ein Ende des Bürgerkriegs zu zwingen. Selbst beim heiklen Thema Bashar al-Assad scheint es eine Annäherung zu geben. „Wir sind nicht interessiert an dem Schicksal bestimmter Leute, uns geht es um das Schicksal des syrisches Volkes“, erklärte Russland Außenminister Lawrow, während Kerry am Donnerstag erneut klarstellte, Assad könne auf keinen Fall Mitglied einer künftigen Übergangsregierung sein. Trotzdem schickt Moskau unbeirrt weiter Sprit, Munition und Lebensmittel nach Damaskus. Und nun plant Russland einem Bericht zufolge den Verkauf eines modernen Flugabwehrsystems an das Bürgerkriegsland. Auch hat Weiße Haus offenbar Hinweise, dass der Kreml nach den jüngsten Luftangriffen Israels erwägt, der Assad-Armee modernste Luftabwehrraketen vom Typ SS 300 zu liefern. Israel hat Russland aufgefordert, von einem Verkauf eines Flugabwehrsystems an Syrien Abstand zu nehmen. Auch die USA hätten in Moskau Bedenken angemeldet, sagten israelische Regierungsvertreter am Donnerstag der Nachrichtenagentur Reuters.

Das “Wall Street Journal“ hatte zuvor über die geplante erste Lieferung des russischen S-300-Systems an die Regierung von Präsident Baschar al-Assad in drei Monaten berichtet. US-Außenminister John Kerry sprach sich allgemein gegen russische Waffenverkäufe an Syrien aus, ohne direkt auf den Bericht über die Verkaufspläne einzugehen. Der Zeitung zufolge hat Israel die USA über das bevorstehende Waffengeschäft informiert. Demnach hat Syrien damit begonnen, Russland die geforderten 900 Millionen Dollar für das System zu zahlen. Es kann sowohl zur Bekämpfung von feindlichen Flugzeugen als auch von Raketen eingesetzt werden und hat eine Reichweite von 200 Kilometern. Die israelische Luftwaffe hatte am Freitag und Samstag vergangener Woche Ziele in der Umgebung von Damaskus angegriffen. Dabei soll es sich nach Angaben aus Sicherheitskreisen um Raketenlieferungen aus dem Iran gehandelt haben, die für die radikal-islamische Hisbollah-Miliz im Libanon gedacht waren.

Russland hatte sich besorgt über die Einsätze gezeigt, die in Moskau als Vorboten von Luftangriffen westlicher Staaten gesehen werden. Die russische Regierung ist einer der wenigen verbliebenen Verbündeten von Assad und hat zusammen mit China Resolutionen des UN-Sicherheitsrats zu Syrien verhindert. Kerry sagte während eines Besuchs in Rom, die USA hätten sich bereits in der Vergangenheit gegen den Verkauf von Raketen an Syrien ausgesprochen, weil diese als Bedrohung für Israel gesehen werden könnten.

Weder die Regierungen in Moskau noch in Damaskus nahmen zunächst zu den Berichten über das Raketensystem Stellung.

Experten gehen davon aus, dass es nach der Lieferung mehrere Monate dauern wird, bis das Abwehrsystem einsatzbereit ist. Ohnehin dürfte die S-300 keine große Herausforderung für die israelische Luftwaffe darstellen, sagte Robert Hewson von IHS Jane's. Das System sei bereits länger im Einsatz. “Besonders Israels Freunde verfügen daher über eine Menge Informationen darüber, wie man mit dem System umgeht.“ “Es ist keine Wunderwaffe“, sagte Hewson.

Mehr als 70.000 Menschen haben in dem bestialischen Morden bisher ihr Leben verloren, weite Teile des Landes liegen in Trümmern, ein Drittel der 22 Millionen Syrer sind auf der Flucht – im Inneren oder in den Nachbarstaaten. Den globalen Kontrahenten USA und Russland scheint inzwischen klar, dass am Ende ein völlig verwüstetes und von islamistischen Warlords kontrolliertes Syrien stehen könnte, sozusagen ein zweites Afghanistan, diesmal im Herzen der arabischen Welt.

Ein zweites Afghanistan im Herzen Arabiens?

Seit Monaten tobt in Syrien ein Bürgerkrieg. Ein Ende ist nicht in Sicht.
Seit Monaten tobt in Syrien ein Bürgerkrieg. Ein Ende ist nicht in Sicht.

© Reuters

Denn in dem Mittelmeerstaat kreuzen sich nicht nur die Interessen der Großmächte USA, Russland und China, sondern auch der arabischen Nachbarn, der arabischen Golfstaaten sowie der nicht-arabischen Regionalmächte Iran, Türkei und Israel. Längst werden auf syrischem Boden erbitterte regionale Stellvertreterkriege ausgefochten zwischen der schiitischen Vormacht Iran und seinen sunnitischen Kontrahenten Türkei und Saudi-Arabien, nach den jüngsten Luftangriffen auch zwischen Israel und seinen Erzfeinden Hisbollah und Teheran. Und jede weitere Eskalation könnte die ganze Region in Flammen setzen.

Die Islamische Republik will unter keinen Umständen seinen treuesten Verbündeten in der arabischen Welt verlieren. Frachtflugzeuge schaffen unablässig Waffen und Munition heran. Revolutionäre Garden bilden einheimische Regime-Milizen im Häuserkampf aus. Flüchtlinge berichten, dass Iraner immer häufiger auch an Straßensperren präsent seien. Hisbollah-Kämpfer operieren zu hunderten, wenn nicht zu tausendem auf syrischem Boden. Jede Woche werden getötete „Märtyrer“ über die Grenze zurück in den Libanon gebracht. Assads „wahre Freunde“ würden seinen Sturz nicht zulassen, trompetete Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah.

Die Golfmächte Saudi-Arabien und Qatar dagegen rüsten die sunnitischen Gotteskrieger-Brigaden auf, die mittlerweile die Hauptlast des Kampfes tragen und sich teilweise offen zu Al Qaida bekennen. Auch die mit der schiitischen Zentralregierung in Bagdad unzufriedenen Sunniten des Irak hoffen auf ein Ende Assads. Sie träumen von einer eigenen autonomen Region, angrenzend an Jordanien und Syrien - ähnlich wie die Kurden im Norden. Eine Machtübernahme der sunnitischen Rebellen in Damaskus, so das Kalkül, werde ihrem Anliegen regionalpolitischen Aufwind geben. Im Libanon hält das nationale Trauma des eigenen, vor gut zwanzig Jahren zu Ende gegangenen Bürgerkriegs die verschiedenen Lager bisher davon ab, wieder offen aufeinander loszugehen. Trotz aller Spannungen, der fragile Konsens der libanesischen Eliten funktioniert, auch wenn sich in der Hafenstadt Tripoli Pro-Assad-Leute und Anhänger der Rebellen von Zeit zu Zeit beschießen.

Zu den schärfsten Kritikern Syriens auf der internationalen Bühne gehört der türkische Regierungschef Recep Tayyip Erdogan. Sein Land trägt neben Jordanien die Hauptlast bei der Aufnahme von Flüchtlingen. Über sein Territorium läuft ein Großteil der golfarabischen Waffenlieferungen an die Rebellen, die mittlerweile weite Gebiete im Norden Syriens kontrollieren. Regelmäßig liefert sich Erdogan Wortgefechte per Interview mit Assad, zuletzt bezeichnete er den Diktator als „einen Schlächter, der seine gerechte Strafe auf Erden bekommen wird“. Assad titulierte Erdogan, mit dem er früher gemeinsam in Ferien gefahren ist, als chronischen Lügner.

Israel dagegen hat kein Interesse, sich in den Bürgerkrieg vor seiner Haustüre verwickeln zu lassen oder gar mit Luftangriffen auf Seiten der Rebellen einzugreifen. Seine Führung hat in erster Linie den Konflikt mit dem Iran im Auge und ist entschlossen, eine Aufrüstung der Hisbollah durch iranische Waffen zu verhindern. So galten die Luftschläge letzte Woche angeblich einer Ladung iranischer Fateh-110-Raketen, die vom Südlibanon aus Tel Aviv erreichen können. Premierminister Benjamin Netanjahu kalkuliert, dass momentan weder Syrien, noch der Iran oder Hisbollah zu Vergeltungsangriffen in der Lage sind, weil das Bürgerkriegschaos ihre Kräfte zu stark bindet. Ob diese Rechnung am Ende aufgeht, davon sind längst nicht alle überzeugt. „Bisher ist Israel nicht in einem Krieg in Syrien verwickelt“, urteilt Eyal Zisser, einer der besten israelischen Kenner Syriens. „Aber der Krieg kommt näher.“ (mit Reuters)

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