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Verkehrsdelikte: Polizeigewerkschaft droht "Kampfradlern"

Der Bundesverkehrsminister nennt es Verrohung, die Polizeigewerkschaft fordert härtere Strafen bei Verkehrsdelikten mit dem Rad. Wie sinnvoll ist dieses Vorgehen gegen Fahrradsünder?

Bislang wurden sie oft Rüpelradler genannt. Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) hat kürzlich einen neuen Namen für rücksichtslose Fahrradfahrer gefunden: Kampfradler. „Ich habe zum Beispiel beobachtet, wie Radler unter den Augen von Polizisten rote Ampeln und jede Verkehrsregel missachten“, sagte der CSU-Politiker in einem Interview mit der Neuen Osnabrücker Zeitung. „Manchmal ist die Polizei schlicht und einfach überfordert, der Verrohung dieser Kampf-Radler endlich Einhalt zu gebieten“. Von der Gewerkschaft der Polizei (GdP) erhält der CSU-Politiker jetzt Unterstützung: „Die Missachtung von Verkehrsregeln unter Radfahrern ist inflationär, an keine Altersgruppe oder soziale Schichtung gebunden“, teilte GdP-Bundesvorsitzender Bernhard Witthaut in einer Stellungnahme mit.

Er geht sogar noch weiter: „Die notorische Übertretung von Verkehrsregeln lediglich einer kleinen Gruppe von ,Kampfradlern’ zuzuschreiben, verniedlicht das Problem.“ Die GdP spricht sich deshalb für schärfere Strafen, eine niedrigere Promillegrenze für Radfahrer und eine Kennzeichnungspflicht für Fahrräder aus.

Sind Kennzeichen für Fahrräder sinnvoll?

Vor allem CDU-Politiker und der Bund der Fußgänger haben in den vergangenen Jahren immer wieder Kennzeichen für Räder gefordert. „Die Verkehrssicherheit würde steigen“, glaubt Bernd Irrgang vom Fußgänger-Verband. Bislang war die Schweiz das einzige Land weltweit, in dem für Räder eine Haftpflicht-Plakette vorgeschrieben war. Wegen der immensen Verwaltungskosten – 20 Prozent der Versicherungsprämien – hat die Schweiz ihre „Velovignette“ jedoch zu Jahresbeginn abgeschafft. Auch der Nutzen war begrenzt: Denn fast jeder Schweizer hat ohnehin eine private Haftpflichtversicherung. Fußgängern, die von Radlern angefahren wurden, nutzte das Kennzeichen nichts, da die Zahlenkombination nur aus der Nähe zu entziffern war. Der Polizei half es lediglich bei der Rückgabe von gestohlenen Rädern an ihre Besitzer. Experten schätzen die Kosten, die durch eine Kennzeichnungspflicht für Deutschland entstehen würden, bei 80 Millionen Rädern auf etwa 800 Millionen Euro.

Sollten Fahrradfahrer zukünftig nicht mehr auf der Straße fahren dürfen?

Das Ansinnen der GdP, Fahrradfahrer, die auf der Straße fahren, mit Bußgeldern zu bestrafen, löst Heiterkeit bei Experten aus. Seit 1997 sind Radwege auf Gehwegen nur noch in Ausnahmefällen benutzungspflichtig – wenn sie durch das blaue Fahrradzeichen gekennzeichnet sind. In Berlin sind das beispielsweise noch etwa zehn Prozent der Radwege. Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat in einem Grundsatzurteil kürzlich bestätigt, dass Radfahrer im Regelfall auf der Fahrbahn fahren dürfen und Städte und Gemeinden nur im Ausnahmefall Radwege als benutzungspflichtig kennzeichnen dürfen. Der ADFC hatte diese Klage gegen eine bayrische Gemeinde unterstützt und das Urteil begrüßt. Unfallexperten, der Berliner Senat und die Berliner Polizei fordern seit Jahren die Anlage von Radspuren auf der Fahrbahn, da Radler dort von Autofahrern besser gesehen werden als auf Radwegen.

Was sind die Hauptursachen für Fahrradunfälle?

Nach Polizeiangaben hat es in Berlin im Jahr 2011 54 Verkehrstote gegeben. 29 davon waren Fußgänger, je elf Radfahrer und Motorradfahrer. Also sind 51 der 54 Toten laut Polizei sogenannte „schwächere Verkehrsteilnehmer“. Zwei Pkw- und ein Lkw-Fahrer wurden getötet. Radfahrer hatten an diesen drei Unfalltoten keine Schuld. Von den elf getöteten Radlern wurden sechs durch abbiegende Kfz verursacht, einer war Polizist auf dem Weg in den Dienst. Die anderen starben an unterschiedlichen Ursachen: Zwei missachteten die Vorfahrt der Straßenbahn, zwei wurden von Autos angefahren. In einem Fall stürzte ein alkoholisierter Radfahrer ohne Fremdeinwirkung und starb. Alkoholeinfluss bei Radlerunfällen registrierte die Polizei genau 211 Mal, damit ist Alkohol die vierthäufigste Unfallursache von Radfahrern.

Dürfen Radfahrer mehr Alkohol trinken als Autofahrer?

Diese Meinung hält sich hartnäckig. Tatsächlich liegt die absolute Fahruntüchtigkeitsgrenze bei Radfahrern laut Bundesgerichtshof bei 1,7 Promille. Bei Kfz-Führern ist sie in der Straßenverkehrsordnung auf 1,1 festgesetzt. Aber Vorsicht: Eine Trunkenheitsfahrt nach dem Strafgesetzbuch kann auch mit dem Fahrrad begangen werden. Eine Trunkenheitsfahrt liegt immer dann vor, wenn das Rad nicht mehr sicher geführt werden kann. Hier gelten dann die Grenzen für Autofahrer, nämlich 0,5 Promille und 0,3 Promille, wenn ein Unfall verursacht wurde.

Wie stark werden Fahrradsünder bisher zur Kasse gebeten?

Radfahrer zahlen für viele Verkehrsverstöße weniger als Autofahrer. Das will die GdP ändern und schlägt vor, den Bußgeldkatalog an den für Autofahrer anzugleichen.  So liegt zum Beispiel das Bußgeld beim Telefonieren am Lenker bei 25 Euro, am Steuer bei 40 Euro plus ein Punkt in Flensburg. Für alle anderen Vergehen, die nicht ausdrücklich im Bußgeldkatalog aufgeführt sind, wird bei Radfahrern der halbe Regelsatz verhängt. Die unterschiedliche Höhe erklärt sich mit der größeren Gefährlichkeit von Verstößen durch Autofahrer. Das teuerste Delikt, das Radler begehen können, ist übrigens das Umfahren einer geschlossenen Bahnschranke: 350 Euro plus vier Punkte in Flensburg.

Wie argumentieren Kritiker der Ramsauer- These?

„Statt die Unfallursachen von schweren und tödlichen Fahrradunfällen zu beseitigen, treibt Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer Fahrradfahrer gerne vor sich her – und zwar auf Nebenschauplätzen“, kritisiert der Berliner Fahrradexperte Benno Koch. Kirsten Lühmann, die stellvertretende verkehrspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, sagte: „Die Kritik von Herrn Ramsauer geht völlig am Thema vorbei. Sie ist viel zu einseitig und lässt sich statistisch nicht belegen.“ Der Fahrradclub ADFC freut sich, dass Ramsauer mit seiner Kampfradler-Attacke in fast allen Medien und in der Politik „abgeblitzt“ sei. Vor einigen Jahren wäre das sicher noch anders gewesen, sagte Pressesprecherin Bettina Cibulski. Die Stimmung habe sich zugunsten der Radfahrer gewandelt.

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