zum Hauptinhalt

Politik: Verliert die Türkei die Lust auf Europa? Menschenrechte Thema beim Kanzler-Besuch

Ärger mit der Polizei kann im EUBewerberland Türkei noch immer tödliche Folgen haben. Der jüngste Fall: Der 20-jährige Gökhan Belgüzar starb, zwei Tage nachdem er wegen eines Raubdeliktes verhaftet worden war, in Polizeigewahrsam.

Ärger mit der Polizei kann im EUBewerberland Türkei noch immer tödliche Folgen haben. Der jüngste Fall: Der 20-jährige Gökhan Belgüzar starb, zwei Tage nachdem er wegen eines Raubdeliktes verhaftet worden war, in Polizeigewahrsam. Belgüzar habe sich in seiner Zelle erhängt, teilte die Polizei mit. Belgüzars Angehörige glauben jedoch an Folter. Laut Behördenangaben soll sich der 1,80 Meter große Mann an einem nur 90 Zentimeter hohen Haken erhängt haben.

Menschenrechtsverletzungen und die Reform des Justizwesens sind wichtige Themen beim Türkeibesuch von Kanzler Gerhard Schröder an diesem Dienstag und Mittwoch. Die in den vergangenen Jahren wegen ihrer Reformpolitik gefeierte Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan sieht sich dem Vorwurf ausgesetzt, ihr Reformeifer sei erlahmt. Probleme gibt es auch bei der Pressefreiheit und bei Verbesserungen für die christlichen Minderheiten. In Istanbul will Schröder mit dem griechisch-orthodoxen Patriarchen, Bartholomaios I., sprechen. In einem Interview rief der Kanzler die Türken auf, ihre Versprechen an die EU umzusetzen und noch vor dem Beginn der Beitrittsgespräche im Oktober entschlossene Schritte zur Reformumsetzung zu tun.

Vier Monate nach der Entscheidung der EU zur Aufnahme von Beitrittsgesprächen mit Ankara ist von europapolitischer Euphorie nichts mehr zu spüren. Europäische Politiker und türkische Intellektuelle beklagen, Erdogans Regierung lasse die Reformpolitik schleifen. Ganz so einfach ist es aber nicht. Erdogan muss auch mit Widerständen im türkischen Staatsapparat zurechtkommen – so annullierte das Verfassungsgericht ein Gesetz, das Ausländern den Kauf von Immobilien in der Türkei ermöglichte. Angebliche Versuche der Europäer, Sonderbedingungen für die Türkei ins Spiel zu bringen, verstärken die EU-Skepsis. Das gilt etwa für die Forderung, die Türkei solle die Ermordung hunderttausender Armenier in Anatolien im Ersten Weltkrieg als Völkermord anerkennen.

Während es im politischen Bereich zwischen Europäern und Türken hakt, sieht es in der Wirtschaft rosiger aus. Mit einem Wachstum von gut zehn Prozent 2004 und einer disziplinierten Finanzpolitik ist die Türkei zu einem attraktiven Ziel von Investoren geworden. Schröder will daher auch mit Erdogan an einer Konferenz türkischer und deutscher Unternehmer in Istanbul teilnehmen.

-

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false