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Politik: Verschleppt in Herat

Die afghanische Provinz gilt als stabil, doch Kriminalität ist weit verbreitet

Berlin - Der Polizeichef der afghanischen Provinz Herat zeigte sich am Montag relativ sicher, dass es bei dem am Wochenende verschleppten Deutschen keinen politischen Hintergrund gibt. Es handele sich eher um ein Familiendrama, sagte Juma Khan Adeel der Nachrichtenagentur AP. Andere Quellen in Afghanistan vermuten Ähnliches, Genaues aber konnte niemand sagen. Sicher ist nur, dass der 42-Jährige seit 2003 in Afghanistan gelebt hatte. Am Sonntagabend dann ist er offenbar auf dem Nachhauseweg aus seinem Wagen heraus von Unbekannten verschleppt worden.

Harald K., der zum Islam konvertiert ist und jetzt Abdul Rahman heißen soll, war 2003 nach Afghanistan gegangen. Zuvor hatte er für Bayerns Grüne für den Landtag kandidiert, dieses Vorhaben aber wegen eines laufenden Strafverfahrens offenbar zurückgezogen. In Afghanistan arbeitete er zunächst eineinhalb Jahre für die Hilfsorganisation Grünhelme in der westlichen Provinz Herat. Für die Organisation, die der frühere Cap-Anamur-Chef Rupert Neudeck 2003 gegründet hat, hatte K. beim Bau von 26 Schulen geholfen. „Danach hat er sich selbstständig gemacht“, sagte Neudeck. Außerdem habe K. eine Afghanin geheiratet und mit ihr ein Kind bekommen. Nach Informationen von „wdr.de“ wird K. in Deutschland per Haftbefehl gesucht – weil er im Verdacht steht, beim Aufbau einer Schule in Herat 87 000 Euro an Hilfsgeldern veruntreut zu haben. Einen internationalen Haftbefehl, der auch in Afghanistan vollstreckt werden könnte, gebe es aber nicht. Die „Grünhelme“ selbst hätten Strafanzeige gegen ihren ehemaligen Mitarbeiter gestellt.

K. soll in Herat eine Schreinerwerkstatt aufgemacht und Lehrlinge ausgebildet haben – dementsprechend gut sei er auch angesehen gewesen, heißt es in Afghanistan. Jedoch war K.s Heirat möglicherweise nicht unproblematisch, da seine Frau zuvor mit einem anderen Mann verheiratet gewesen sein soll. Der afghanische Handelsminister Amin Farhang wiederum sagte der „Neuen Osnabrücker Zeitung“, er habe K. im Zusammenhang mit einem Hilfsprojekt in Herat mehrfach getroffen und schätzen gelernt. Der Entführte sei „ein guter Muslim, ein großer Helfer und Freund der Afghanen“. Wichtige Stammesführer seien bereits in den Fall eingeschaltet.

Die Provinz Herat galt in Afghanistan lange Zeit als relativ sicher. Bis 2004 herrschte dort der Gouverneur Ismail Khan in einer autoritären Weise, die ihm den Spitznamen „Emir von Westafghanistan“ einbrachte. Khan pflegte gute Beziehungen zum Iran, von wo aus ihn immer wieder Waffenlieferungen erreichten. Zwar selbst kein Taliban, unterschied er sich in seiner politischen Ausrichtung wenig von den Gotteskriegern, was beispielsweise die Rechte von Frauen betraf. Um Khan nicht zu mächtig werden zu lassen, holte Präsident Hamid Karsai ihn 2004 ins Kabinett nach Kabul. Karsai gelang es aber im Gegenzug nicht, in Herat eine eigene Machtbasis aufzubauen. Das hat sich entsprechend auf die Sicherheitslage ausgewirkt.

Zwar gibt es in Herat im Vergleich wenige politische Aufständische, doch unter der Oberfläche gärt eine große Unzufriedenheit. Zudem hat sich die normale Kriminalität ausgesprochen weit verbreitet. Entführungen sind im Land offenbar generell zu einer gängigen Maßnahme auch bei Streitigkeiten unter Afghanen geworden. Als Folge der langen Kriegszeit und aus Geldgier werden immer wieder Afghanen entführt – viel häufiger, als Ausländer verschleppt werden. Bisher wurden solche Fälle vor allem aus dem Süden des Landes gemeldet, aber dass sich die Entwicklung auch auf den Westen ausdehnt, ist durchaus vorstellbar.

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