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Eine griechische und eine deutsche Flagge hängen am Balkon einer Wohnung im sogenannten Sozialpalast in Berlin - Schöneberg.

© Archivfoto: dapd

Verschuldung: Wie viel Griechenland zeigt sich in Berlin?

"Berlin ist fast wie Griechenland", sagt der Ökonom Bernd Raffelhüschen. Unpassend als Vergleich? Spree-Athen und Hellas sind hoch verschuldet, beide aus eigener Schuld. Beide erwarten Hilfe vom Bund, dem sie angehören.

1. Wie drastisch ist die Notlage?

Berlin: Berlin sei noch nicht in einer Haushaltsnotlage, betont Finanzsenator Ulrich Nußbaum. Auch das Verfassungsgericht hat eine echte Notlage verneint. Die Schulden aber sind seit 1990 exorbitant gewachsen: Von etwa 10 auf mittlerweile über 60 Milliarden Euro. Etwa 17.600 Euro an reinen Landesschulden lasten auf jedem Berliner, mit einer Schuldenquote von 66 Prozent, gemessen an der Wirtschaftskraft, ist Berlin am schlechtesten dran unter den Ländern. Nimmt man den Anteil an der Bundesschuld hinzu, liegt die Pro-Kopf-Verschuldung bei 30.700 Euro. Bei einer Wirtschaftskraft von 27.500 Euro liegt die Schuldenquote Berlins also bei 112 Prozent des eigenen Bruttoinlandsprodukts (60 Prozent ist die Euro-Stabilitätsgrenze). Darin sind aber die kumulierten Pensionslasten noch nicht eingerechnet.

Griechenland: Griechenland hat horrende Staatsschulden: Insgesamt beträgt die Staatsverschuldung 354,5 Milliarden Euro. Das entspricht 153 Prozent der voraussichtlichen diesjährigen Wirtschaftsleistung (BIP). Nach Berechnungen der Commerzbank lastet auf jedem Griechen eine Pro-Kopf-Verschuldung von etwa 29.000 Euro. Bisher hat Griechenland keinen Weg aus dem Schuldensumpf gefunden, das Budget läuft weiter aus dem Ruder. Wie das Athener Finanzministerium am Montag mitteilte, sind die Steuereinnahmen in den ersten vier Monaten um 9,1 Prozent zurückgegangen. Daraus ergab sich Ende April eine Deckungslücke im Haushalt von fast zwei Milliarden Euro, bis Ende des Jahres könnten es sechs Milliarden werden.

2. Welche Hilfen erhält das Land?

Berlin: Berlin liegt bei den Steuereinnahmen zwar nur auf Platz 11 aller Bundesländer und kommt dabei nur auf 75 Prozent des Durchschnitts. Doch nach allen Stufen des Finanzausgleichs liegt die Hauptstadt auf Platz eins bei den Einnahmen und bei einem Schnitt von 139 Prozent (Zahlen von 2009). Mit 4148 Euro je Einwohner steht man dank der bundesstaatlichen Hilfe fein da – Bayern kommt auf 2887 Euro, Brandenburg auf 3370 Euro je Einwohner. Auch wenn ein Stadtstaat noch kommunale Aufgaben zu erledigen hat, die teuer sind und die in den Etats der Flächenstaaten nicht berücksichtigt sind – ein Armenhaus ist Berlin nicht. Fast ein Drittel des Berliner Etats – gut 4,6 Milliarden Euro – werden aus dem Finanzausgleich finanziert. Was den Griechen ihre Nordeuropäer, sind dem Berliner seine Süddeutschen.

Griechenland: Der Internationale Währungsfonds (IWF) und die EU haben Griechenland im vergangenen Jahr Hilfskredite über 110 Milliarden Euro zugesagt. Allerdings ist momentan noch unklar, ob im Juni eine weitere Rate der Hilfskredite im Wert von 12 Milliarden Euro ausgezahlt wird. Das ist abhängig von einem Inspektionsbericht von EU-Finanzexperten, die den Griechen in die Bücher schauen. Wenn die weiteren Hilfen nicht fließen, droht Griechenland die Zahlungsunfähigkeit. Das aber wollen die Euro-Partner auch nicht. Da es in der EU keinen fein ziselierten Finanzausgleich deutscher Prägung gibt (abgesehen von Strukturhilfen etc.), behilft man sich vorerst mit befristeten Ad-hoc-Maßnahmen. Und vor einer institutionalisierten Transferunion EU schreckt man zurück. Anders gesagt: Griechenland soll nicht Berlin werden.

3. Wird über die eigenen Verhältnisse gelebt?

Berlin: Für die Geberländer ist vor allem das Bestreben des Senats, die Bildungsangebote vom Kindergarten bis zum Studium gebührenfrei zu gestalten, ein Indiz für die Verschwendungssucht. Für Rot-Rot hingegen ist es eine Frage der politischen Prioritäten. Im öffentlichen Dienst hat der Senat sein Ziel des Gesundschrumpfens auf jetzt 100.000 Stellen um 6000 Stellen verfehlt. Die Zielmarke soll 2013 erreicht werden. Teile der Opposition fordern einen Abbau von weiteren 7000 Stellen. In der Kritik ist der „Öffentliche Beschäftigungssektor“, ein Prestigeprojekt der Linken, mit dem für vergleichsweise wenige Arbeitslose relativ gut bezahlte, öffentliche Jobs gefördert werden. Fraglich ist auch, ob die Planungen einer Kunsthalle und der Neubau einer zentralen Landesbibliothek zeitgemäß und finanzierbar sind.

Griechenland: Schon seit Jahrzehnten pumpt der griechische Staat Milliarden in den aufgeblähten Staats- und Verwaltungsapparat. Fast jeder vierte Grieche wird vom Staat, also vom Steuerzahler bezahlt. Viele Staatsbetriebe sind chronisch defizitär – auch wegen der hohen Gehälter, die mitunter doppelt so hoch sind wie in der Privatwirtschaft. Beamte erhielten zum Beispiel eine Prämie, wenn sie pünktlich zum Dienst erschienen, bekamen Urlaub im Luxushotel bezahlt. Allein die staatseigenen Athener Verkehrsbetriebe fahren pro Tag rund eine Million Euro Verlust ein, die Staatsbahnen sogar fast drei Millionen. Staatsbedienstete waren in Griechenland jahrelang stark privilegiert. Bei Staatsbetrieben wie dem Mineralölkonzern Hellenic Petroleum wurde die Loyalität der Beschäftigten mit 18 Monatslöhnen im Jahr erkauft. Bei der Stadtbahngesellschaft ISAP besteht für Triebwagenführer die Hälfte der Achtstundenschicht aus Pausen. Bei den Staatsbahnen OSE haben die freien Tage der Lokführer nicht 24, sondern 28 Stunden.Der Rest der Griechen hingegen arbeitet hart: Die durchschnittliche Wochenarbeitszeit liegt mit 41,6 Stunden deutlich über dem EU-Durchschnitt von 37,4 Stunden. Das Lohnniveau liegt dabei nur bei 73 Prozent, die Renten bei nur 55 Prozent des EU-Durchschnitts.

4. Welche Sparmaßnahmen gibt es bereits?

Berlin: „Sparen, bis es quietscht“ – diese Devise hatte der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit als Devise ausgegeben, als die Altlasten der Neunziger die Stadt zu ersticken drohten. Er holte Thilo Sarrazin als knallharten Finanzsenator. Die öffentlich Beschäftigten bekamen dies schnell zu spüren. Zwischen 2003 und 2010 mussten Angestellte auf bis zu zwölf Prozent Gehalt verzichten, bundesweite Lohnrunden wurden nicht mitgemacht. Das Bundesniveau werden sie erst Ende 2017 wieder erreichen. Für Beamte ist dies noch nicht in Sicht; ihre Besoldung liegt zwölf Prozent unter dem Bundesdurchschnitt. Verkauft sind die Energieversorger Bewag – heute Vattenfall – und Gasag, teilprivatisiert die Wasserbetriebe, und zwei städtische Wohnungsbaugesellschaften wurden veräußert.

Griechenland: Griechenland hat im vergangenen Jahr die größte Konsolidierungsleistung der EU erbracht und sein Haushaltsdefizit um fünf Prozentpunkte gesenkt. Allerdings rutscht das Land zeitgleich immer tiefer in die Rezession, die Einsparungen gehen auf Kosten der Realwirtschaft. Der Finanzminister stimmte kürzlich auf weitere schmerzhafte Einschnitte ein: „Wir müssen alles machen und wir müssen es jetzt machen“, sagte Giorgos Papakonstantinou in einer Rede vor dem griechischen Parlament. Bei der Opposition allerdings blitzt er mit diesen Plänen ab, sie wollen dem Sparpaket nicht zustimmen. Auch die griechischen Gewerkschaften machen nicht mit: Sie wollen voraussichtlich am 21. Juni mit einem Generalstreik gegen die Spar- und Privatisierungspläne der Regierung protestieren.

5. Wie kann der Weg aus der Krise aussehen?

Berlin: Der frühere hessische Ministerpräsident Roland Koch hat einmal unter der Hand gesagt, an einer Teilentschuldung Berlins führe kein Weg vorbei. Bis es dazu kommt, wird es aber noch eine Weile dauern, und bis dahin will die bundesstaatliche Gemeinschaft Berliner Eigenbeiträge sehen. Da die Länder keine Steuerhoheit haben (außer bei Marginalien wie der Grunderwerbsteuer), kann Berlin auf der Einnahmenseite wenig bewegen. Zudem werden die Solidarpaktmittel bis 2019 auf null abgeschmolzen. Natürlich könnte der Bund immer mehr Einrichtungen in Berlin übernehmen, aber das hat auch verfassungsrechtliche Grenzen. Bleiben Ausgaben und Verkäufe: Bis Oktober hat Nußbaum jetzt Zeit, um Ideen für das Sanierungsprogramm zusammenzutragen, das Bund und Länder von der Hauptstadt verlangen. Denn auch Berlin muss 2020 so weit sein, ohne neue Schulden auszukommen.

Griechenland: Um das Budget wieder ins Lot zu bringen, erwäge die Regierung jetzt rückwirkend Sondersteuern auf Immobilien, berichten griechische Medien. Auch Grundfreibeträge bei der Einkommensteuer sollen gestrichen oder gekürzt werden, heißt es. Außerdem will Griechenland im großen Stil Staatsfirmen privatisieren: Häfen und Wasserwerke, Banken und Spielkasinos, Gas- und Stromversorger sowie der Fernmeldekonzern OTE stehen zum Verkauf. Bereits bis Ende des Jahres hofft das Finanzministerium, so 3,5 bis 5,5 Milliarden Euro einzunehmen, im kommenden Jahr sollen es vier bis sechs Milliarden sein. Insgesamt hofft Griechenland bis 2015 auf 50 Milliarden Euro. Diskutiert wird auf EU-Seite zusätzlich eine sanfte Umschuldung, bei der Griechenland länger Zeit hat, seine Schulden zu tilgen.

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