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Im Fokus. Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) will die Gründung medizinischer Versorgungszentren beschränken.

© dapd

Versorgungsgesetz: Bahrs Gesetz verstößt gegen Grundgesetz und nützt seinem Bruder

Der Plan von Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) zum Versorgungsgesetz nützt großen Klinikbetreibern – einer davon ist sein Bruder Thomas Bahr. Außerdem verstößt er gegen das Grundgesetz, sagen Juristen.

Der Vorwurf muss Gesundheitsminister Daniel Bahr ins Mark treffen. Ausgerechnet ihm als Liberalem werfen Rechtswissenschaftler und Anwälte vor, die Berufsfreiheit einschränken zu wollen. Das geplante Versorgungsgesetz des FDP-Ministers verstoße gegen das Grundgesetz und gegen europäisches Recht, befinden der Verfassungsrechtler Rupert Scholz und der Medizinrechtsexperte Reimar Buchner in einem Rechtsgutachten – und zwar, weil in Bahrs Gesetz vorgesehen ist, Aktiengesellschaften die Gründung medizinischer Versorgungszentren (MVZ) zu untersagen. Der Deutsche Anwaltsverein sieht das ähnlich und gab bereits im Juni „erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken“ zu Protokoll.

Nur noch Vertragsärzte, Krankenhäuser und gemeinnützige Träger dürften fortan ein solches Zentrum errichten, heißt es im geänderten Paragrafen 95 des bereits vom Bundeskabinett beschlossenen Gesetzentwurfs. Zudem müsse der ärztliche Leiter dort selber als Mediziner angestellt sein. Politisch begründet wird dies mit dem Anliegen, die „Unabhängigkeit ärztlicher Entscheidungen von reinen Kapitalinteressen“ zu sichern.

Diese Zielsetzung stelle zwar „ein legitimes Allgemeinwohlziel“ dar, heißt es in dem 74-seitigen Gutachten, das dem Tagesspiegel vorliegt. Die Beschränkung der Gründungsberechtigten sei jedoch „nicht geeignet, diesem Gemeinwohlziel zu dienen“. Als Beleg verweisen die Autoren auf eine Regierungsauskunft zu einer kleinen Anfrage der SPD-Fraktion vom Oktober 2010. Darin heißt es: „Konkrete Hinweise auf die Einflussnahme von Kapitalgebern auf die Geschäftsführung und Patientenversorgung im MVZ liegen der Bundesregierung nicht vor.“ Ende 2010 befanden sich gut 46 Prozent aller 1654 medizinischen Versorgungszentren in der Hand von Vertragsärzten. 39 Prozent wurden von Krankenhäusern betrieben, der Rest von sonstigen Trägern. Besonders verbreitet sind MVZ in Bayern, Nordrhein-Westfalen und Berlin.

Die geplanten Beschränkungen seien nach den bisherigen Erfahrungen „nicht erforderlich“ und „hanebüchen“, sagt Buchner. Sie verstießen „eindeutig und zwingend begründet“ gleich gegen mehrere Rechtsgarantien. Betroffen sei die grundgesetzlich garantierte Gleichheit, Vereinigungs- und Berufsfreiheit (Artikel 3, 9 und 12) ebenso wie die europarechtlich garantierte Niederlassungsfreiheit und der Gleichheitssatz der EU-Grundrechtecharta (Artikel 20). Werde Bahrs Gesetz eins zu eins umgesetzt, sei von entsprechenden Klagen „fest auszugehen“, betont der Stuttgarter Jurist. Wichtig für die Kritiker ist auch der Blick auf die Krankenhäuser, bei denen der Minister offenbar nicht daran denkt, gleiche Maßstäbe anzulegen. Hier gelte weiter der „Grundsatz der Trägervielfalt“, der auch Kapital- und börsennotierte Gesellschaften zum Zuge kommen lässt, heißt es in dem Gutachten. Bei Rhön-Klinikum AG oder Helios Kliniken GmbH sehe der Gesetzgeber „offensichtlich keine Gefahr für die Unabhängigkeit der ärztlichen Entscheidungen“, wundert sich der Anwaltverein.

Aus den Klinikerfahrungen sei ersichtlich, schreibt der Medizinrechtsausschuss des Vereins, dass Rechtsform und Eigentümerstruktur des Unternehmens „kein sicheres Indiz dafür sind, ob angestellte Ärzte ihre Entscheidungen nur nach ärztlichen Kriterien treffen“. Zudem, so geben die Juristen zu bedenken, lasse sich die geplante Zulassungsbeschränkung leicht umgehen. Über den Besitz zugelassener Kliniken erlangten Kapitalanleger auch künftig problemlos die „Konzessionsfähigkeit“ für medizinische Versorgungszentren. Fazit des Anwaltvereins: Die Gründungsbeschränkung werde „in der Praxis nicht zu einer Stärkung der ärztlichen Unabhängigkeit, sondern zur Alleinstellung von Krankenhauskonzernen“ als MVZ-Betreiber führen. Der Ausschluss von Aktiengesellschaften bediene „eher populistisches Ressentiment, als dass er tatsächlich einen effizienten Schutz vor Abhängigkeiten herstellt“.

Lesen Sie auf Seite 2, warum Bahrs Entwurf zum Versorgungsgesetz Vertragsärzten schaden und seinem Bruder nützten würde.

Stellt sich die Frage, wem die gesetzliche Verschärfung wirklich nützt. Bei ärztlichen Standesorganisationen lasse sich damit zweifellos punkten, meinen nicht genannt werden wollende Juristen und sprechen von „Klientelpolitik“. Doch Insider wissen auch: In 13 von 16 Bundesländern ist es Vertragsärzten berufsrechtlich untersagt, ihre Praxis als GmbH zu führen. Bisher behalfen sie sich damit, die MVZ-Gründung über mitbeteiligte Physiotherapeuten oder Apotheker zu bewerkstelligen. Das geht nach Bahrs Plänen künftig nicht mehr. Zum Zuge kämen faktisch also vor allem kapitalkräftige Klinikbetreiber. Und sogenannte Ärztenetze, die mit ihnen kooperieren.

Eines der größten – mit mehr als 80 Medizinern, drei Kliniken und einem MVZ – betreibt der Bruder des Ministers, Thomas Bahr, in der Oberpfalz. Er ist auch Vorstandsmitglied der frisch gegründeten „Agentur deutscher Arztnetze“. Und einen politischen Erfolg hat er bereits verbuchen dürfen. Das Versorgungsgesetz ermöglicht Netzpraxen nun auch gesonderte Vergütungsregeln. Freilich: Gespräche unter den Brüdern, die das Gesetzgebungsverfahren in irgendeiner Weise hätten beeinflussen können, bestreitet das Ministerium aufs Energischste.

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