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Verteidigungspolitik: Wehrpflicht vor der Musterung

Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg will die Wehrpflicht aussetzen und die Kanzlerin zumindest darüber reden. Welche Zukunft hat die Wehrpflicht?

Die Wehrpflicht steht 42 Jahre nach ihrer Einführung zur Disposition. Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) hatte die Verpflichtung zum Dienst an der Waffe im Zusammenhang mit den Sparplänen der Bundesregierung Ende Mai zur „Gretchenfrage“ erklärt. Das Kabinett hatte auf seiner Sparklausur eine Reduzierung der Bundeswehr um bis zu 40 000 Zeit- und Berufssoldaten beschlossen. Guttenberg meint, dass unter diesen Umständen die Wehrpflicht in ihrer jetzigen Form nicht mehr aufrecht zu erhalten ist. Bis Anfang September will er ein Konzept für eine Strukturreform der Bundeswehr vorlegen. Am Freitag bezeichnete er die Wehrpflicht im Bundestag als Erfolgsmodell und betonte, grundsätzlich hinter ihr zu stehen. Allerdings könne das Bemühen um nennenswerte kurzfristige Einsparungen, die nur im Personalbereich möglich seien, dazu führen, dass der Grundwehrdienst nicht in bisheriger Form aufrecht zu erhalten sei. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) stärkte Guttenberg den Rücken. Es müsse in der Bundeswehr „einen zukunftsweisenden Strukturwandel“ geben, wobei auch über ein Aussetzen der Wehrpflicht nachgedacht werden dürfe, sagte Merkel.

Nicht nur in der Truppe ist die Verunsicherung groß. Bleibt die Wehrpflicht, oder wird sie „ausgesetzt“, was einer Abschaffung gleichkäme? Die Debatte ist in vollem Gang. Die einen loben den Minister für seine forsche Ansage, es dürfe keine „Denkverbote“ geben. Die anderen halten nicht nur den Zeitpunkt seines Vorpreschens für verfehlt. Denn eigentlich will Schwarz-Gelb die Wehrpflicht bereits zum 1. Juli von neun auf sechs Monate verkürzen und dies in der kommenden Woche im Eilverfahren beschließen. Die Opposition forderte am Freitag, die Wehrdienstverkürzung zu stoppen. „Sie irritieren die Öffentlichkeit, das Parlament und vor allen Dingen auch die Soldaten, die in diesen Zeiten Orientierung statt Irritation bräuchten“, sagte SPD-Verteidigungsexperte Rainer Arnold.

Was könnte die Bundeswehr mit der Abschaffung der Wehrpflicht einsparen?

Ein internes Papier im Verteidigungsministerium beziffert die Einsparungen nach Informationen des Tagesspiegels auf 412 Millionen Euro pro Jahr. Aber um das Wehrressort zu entlasten, müsste vor allem bei den großen Rüstungsvorhaben gespart werden. Zwar gibt es dort gültige Verträge mit der Industrie; es könnte sich aber lohnen, diese nicht einzuhalten, Konventionalstrafen zu zahlen und sich so kostspieliger Projekte zu entledigen.

Was würde die Abschaffung für die Soldaten und den Alltag der Bundeswehr bedeuten?

Derzeit rekrutieren die Streitkräfte ihre Zeit- und Berufssoldaten vor allem aus dem großen Pool der Wehrpflichtigen. Würde die Pflicht zum Dienst an der Waffe abgeschafft, müsste die Bundeswehr ihr Personal auf dem zivilen Arbeitsmarkt beschaffen – mithin ein teures Vergnügen. Die Bundeswehr, die dann eine Berufsarmee wäre, müsste laut Brigadegeneral a.D. Klaus Wittmann zudem sehr viel mehr Geld für die Qualifizierung und Weiterbildung dieser Kräfte ausgeben, als zur Verfügung steht. Zudem fürchtet man bei den Streitkräften, dass durch die Abschaffung der Wehrpflicht nicht mehr genügend untere Dienstgrade rekrutiert werden können. Zudem könne die Bundeswehr ohne Wehrpflicht nicht mehr genügend flexibel auf eventuelle Krisen reagieren, sagt Wittmann.

Was hieße das für die gesellschaftliche Einbindung der Bundeswehr?

Das Interesse der Gesellschaft für die Bundeswehr würde nachlassen“, sagt Wittmann. Auch der Reservist Andreas Ahammer, der gerade zusammen mit Stephan Nachtigall das Buch „Wehrpflicht – Legitimes Kind der Demokratie“ herausgegeben hat, prognostiziert, dass sich „das Volk durch die Abschaffung der Wehrpflicht immer weiter von seinen Soldaten entfernt“. Schon jetzt habe die Bevölkerung eine mentale Distanz zu ihren Streitkräften. „Soldaten in Uniform sind auf Deutschlands Straßen nicht gern gesehen“, sagt Ahammer. „Die Bundeswehr ist zwar im Bewusstsein des Volkes, aber nur durch Skandale und die Toten des Afghanistaneinsatzes“, ist er überzeugt. Das „freundliche Desinteresse“ gegenüber der Bundeswehr, wie es Ex-Bundespräsident Horst Köhler genannt habe, gehe mit Standortschließungen und der stetig wachsenden Zahl an Auslandseinsätzen einher.

„Die Wehrpflicht ist eine gute Brücke zwischen den Soldaten und der Zivilgesellschaft“, sagt der Politikprofessor Sven Gareis von der Universität Münster. „Sie bewahrt die Bundeswehr davor, sich zu einem reinen Machtinstrument zu entwickeln.“

Wie wahrscheinlich ist es, dass die Wehrpflicht nach ihrer Aussetzung oder Abschaffung wieder eingeführt wird?

Die Experten sind sich einig: Ist die Wehrpflicht erst einmal ausgesetzt, bleibt es ein für alle Mal dabei. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir die Wehrpflicht beispielsweise zur Landesverteidigung kurzfristig wieder einführen“, sagt Gareis. „Das wäre für den Gegner das verheerende Signal der Mobilmachung.“

Aber auch aus logistischen Gründen ist eine Wiedereinführung unrealistisch. Im Verteidigungsfall oder während einer internationalen Krise müssen die Streitkräfte sofort handlungsfähig sein und auf ihr Personal zurückgreifen können. Schließlich spricht ein Blick auf die militärpolitischen Entwicklungen im Ausland für Gareis’ These: Bislang hat keine Nation, die die Wehrpflicht ausgesetzt hat, diese wieder eingeführt.

Was bedeutet die Abschaffung der Wehrpflicht für den Zivildienst?

Der Zivildienst ist eine Ersatzleistung für den Dienst in der Bundeswehr und müsste daher gemeinsam mit der Wehrpflicht abgeschafft werden. Damit müssten rund 110 000 Stellen in Bereichen wie der Krankenpflege oder im Umweltschutz, die bisher für Zivildienstleistende vorgesehen sind, anderweitig abgedeckt werden. Ohne einen Gegenentwurf drohen Probleme im Sozialsektor. Das Bundesfamilienministerium prüft derzeit, welche Auswirkungen der Wegfall des Zivildienstes auf den Sozialsektor hätte und welche Alternativmodelle es dazu gibt. Ergebnisse dazu werden jedoch frühestens im September erwartet.

Eine schon öfter diskutierte Möglichkeit ist die Einführung eines verpflichtenden sozialen Jahres im Anschluss an die Schulzeit, das dann auch für Mädchen gelten würde. Vollzeitkräfte für diese Arbeitsplätze einzustellen, dürfte für die Sozialverbände und Pflegedienste kaum bezahlbar sein. Schon die Verkürzung der Wehrpflicht, und damit auch des Zivildienstes, war auf heftige Kritik gestoßen. Sowohl Zivildienstleistende als auch Einsatzstellen-Leitungen bezeichneten die sechsmonatige Dienstzeit als zu kurz. Dass der Zivildienst nun komplett auf der Kippe steht, bringt die Verbände zusätzlich in Bedrängnis. Denn sie müssen bei der Personalplanung frühzeitig wissen, ob mit den Jugendlichen zu rechnen ist.

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