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Politik: Vertrag und Vertrauen

Das Abkommen mit dem Zentralrat soll Grundlage für die Renaissance des Judentums in Deutschland werden

Drei Minuten. Viel mehr Zeit braucht man nicht, um sich mit dem Inhalt des Staatsvertrages zwischen der Bundesrepublik und dem Zentralrat der Juden vertraut zu machen. Gerade mal elf Seiten und neun Artikel hat das Dokument, das am Montag von Kanzler Schröder und Zentralratspräsident Paul Spiegel unterzeichnet wurde. Dennoch waren sich die beiden Männer einig: Die Vereinbarung ist ein historisches Ereignis. Erstmals seit 1945 gibt es ein verbindliches Abkommen, das das Verhältnis zwischen dem Staat und der jüdischen Glaubensgemeinschaft regelt – auf der rechtlichen und finanziellen Ebene, aber auch auf der symbolischen.

Kein Wunder, dass ein Wort von beiden Seiten im Laufe der zwölfminütigen Zeremonie mehrmals benutzt wurde: Vertrauen. Schröder sprach zum Beispiel von der ohnehin schon „vertrauensvollen Zusammenarbeit“, die nun auf eine neue Grundlage gestellt werde. Und Spiegel betonte, dass das Abkommen „ein großer Vertrauensbeweis“ der 100 000 in Deutschland lebenden Juden in die Gesellschaft und Demokratie sei.

Vielleicht ist dieses gegenseitige Vertrauen auch der Grund dafür gewesen, dass es keine drei Monate gedauert hat, die Einzelheiten des Vertrages auszuhandeln. Am 14. November hatten Spiegel und Schröder in Berlin verkündet, möglichst rasch einen Staatsvertrag schließen zu wollen. Damals war wegen einer großen Konferenz über die Entschädigung von NS-Opfern die halbe jüdische Welt in der deutschen Hauptstadt zu Gast. Am 27. Januar, dem Holocaust-Gedenktag, wurde dann das Dokument unterzeichnet. Dass der von beiden Seiten gewünschte Termin gehalten werden konnte, ist dem Vernehmen nach nicht zuletzt auf den Regierungschef zurückzuführen. Schröder soll aufs Tempo gedrückt haben. Manch einem seiner Kabinettsmitglieder ging das dann doch alles, so ist zu hören, etwas zu schnell. Schließlich geht es in dem Vertrag ja nicht nur um Symbolisches, sondern auch um Handfestes: Geld.

Künftig wird die Arbeit des Zentralrats vom Bund mit drei Millionen Euro pro Jahr gefördert. Bisher war es eine Million – eine Summe, die der Organisation bei weitem nicht ausreichte, um ihre Aufgaben zu erfüllen. Zum einen geht es darum, den 83 jüdischen Gemeinden in Deutschland erst einmal eine Struktur zu geben. Oft mangelt es schon am Personal. Lehrer und Erzieher fehlen, Kulturarbeit ist nur in sehr begrenztem Maße möglich. Und für 100 000 Juden stehen gerade mal 30 Rabbiner zur Verfügung – aus Sicht des Zentralrates ein unhaltbarer Zustand. Denn er hat sich vorgenommen, das Judentum in Deutschland wieder zu beleben.

Diese Renaissance ist allerdings nur möglich, wenn es gelingt, die Einwanderer in die Gemeinden zu integrieren. In den vergangenen 13 Jahren sind mehr als 70 000 Menschen jüdischer Herkunft vor allem aus Russland nach Deutschland gekommen. Doch sie einzugliedern, ist für die Verantwortlichen im Zentralrat alles andere als einfach. Die meisten Neuankömmlinge haben kaum eine Ahnung, was es heißt, Judentum zu leben. Kenntnisse über Riten und Gebräuche sind nur rudimentär vorhanden – wenn überhaupt. Deshalb wollen und müssen Paul Spiegel und seine beiden Stellvertreter Michel Friedman und Charlotte Knobloch einen großen Teil des Fördergeldes für die Integrationsarbeit einsetzen. Vielleicht wird es ja sogar mal mehr. In Artikel 2 des Staatsvertrages heißt es nämlich: Die Vertragschließenden sind sich darüber einig, dass „die Entwicklung der Zahl der vom Zentralrat repräsentierten Gemeindemitglieder ein wichtiges Kriterium bei der Berechnung der Leistungsanpassung darstellt“.

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