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Politik: Vertrauen unter Kontrolle

Von Robert Birnbaum

Manchmal erlaubt sich die Geschichte kleine Ironien. Ausgerechnet in diesen Tagen, in denen die Todesanzeigen und die Nachrufe auf Friedrich Karl Flick die Zeitungen füllen, verhandelt das Bundesverfassungsgericht die Klage von neun Bundestagsabgeordneten gegen neue Regeln zur Offenlegung von Nebentätigkeiten. „Die gekaufte Republik“ hieß die Überschrift über jener „Spiegel“-Geschichte, die Flick zu zweifelhaftem zeithistorischem Ruhm verhalf. Sie prägt bis heute die Wahrnehmung, wenn die Rede darauf kommt, ob, wie viel, von wem und unter welchen Bedingungen unsere Politiker Geld annehmen dürfen. Spätestens seit der Flick-Affäre steht unter Generalverdacht, wer als Abgeordneter nicht vom Mandat allein lebt.

Das macht die Debatte ein bisschen schwierig. Als die seinerzeitige Opposition Einwände gegen das Gesetz erhob, mit dem die rot-grüne Regierung eine Pflicht zur Veröffentlichung von Nebeneinkünften in einem groben Drei-Stufen-Schema einführte, gerieten die Kritiker prompt in den Ruch, dass sie etwas zu verbergen hätten. Den neun Klägern von Karlsruhe, vom SPD-Mann Peter Danckert bis zum CDU-Mann Friedrich Merz, geht es nicht anders. Und in der Tat hat ja eine Haltung allemal die Moral auf ihrer Seite, die da sagt: Politiker sind uns Wählern nicht nur Rechenschaft darüber schuldig, was sie sagen und wie sie abstimmen, sondern auch, ob und mit wessen Interessen sie finanziell verflochten sind. Punktum, basta.

Moralisch, wie gesagt, eine unangreifbare Haltung. An deren Wucht gemessen wirken die kleinen Einwände der Praktiker kleinlich und die Einwände der Kläger als bloße Schutzbehauptung, sie würden durch die – immer noch begrenzte – Transparenz der neuen Regeln in nichts weniger als ihren Grund- und Menschenrechten auf Berufsfreiheit und Entfaltung der Persönlichkeit verletzt.

Aber die Karlsruher Richter werden diese Einwände schon sehr ernsthaft prüfen müssen. Es ist schlimm, wenn ein Abgeordneter seine politischen Entscheidungen davon abhängig macht, wes Brot er isst. Es wäre für unsere Form der Demokratie aber auch nicht gut, würde ein Mandat im Bundestag faktisch bestimmte Berufe ausschließen. Und schlimm nicht nur von Verfassungs wegen. Manches Gesetz und viele politische Debatten kranken daran, dass sie von Leuten gemacht und geführt werden, die vom wirklichen Leben zu wenig Ahnung haben. So wünschenswert auf den ersten Blick das Ideal des Nur-noch-Abgeordneten scheint, der sich ganz und gar der Verantwortung für seine Wähler hingibt, so blutleer kann das in der Praxis werden. Und ist ein Abgeordneter, der von seinem Brotberuf auch ohne Politik leben könnte, wirklich weniger unabhängig als einer, dem, auf unsicherem Listenplatz der Wahl entgegenbibbernd, ein Lobbyist schon mal die weiche Notlandung in Aussicht stellt – je nach Parteibuch im Industrie- oder im Umweltverband?

Ohnehin soll man ruhig noch einmal die Frage stellen, ob die Debatte über Nebeneinkünfte, deren Höhe und Veröffentlichung dem Problem überhaupt angemessen ist. Die Kunst der politischen Einflussnahme hat seit Flicks Tagen ja gewisse Fortschritte gemacht. Die Republik wird nur noch selten grobschlächtig mit Geld gekauft. Viel häufiger ist, nur ein Beispiel, die „Argumentationshilfe“ des XY-Verbands, die es unserem Abgeordneten erlaubt, im Fachausschuss karrierefördernd mit (leider leicht einseitigen) Detailkenntnissen zu glänzen.

Das ist kein Plädoyer gegen eine Pflicht, Nebenberufe und Nebengeldquellen offenzulegen. Es ist aber eine leise Warnung vor dem deutschen Hang zur Gründlichkeit. Das Vertrauen der Bürger in die Politik steigt nicht unbedingt mit dem Umfang der formalen Kontrolle. Man kann sogar ketzerisch fragen, ob nicht ein in Gesetze gegossener Generalverdacht letztlich mehr Vertrauen kostet als er schafft. In welchem Maße einer seine Aufgabe als Volksvertreter Ernst nimmt, errechnet sich eben nicht aus der Nebengehaltsliste. Die ist Indiz, kann Anlass sein, um näher nachzufragen. Diese kleine Mühe der Demokratie nimmt sie uns allen aber niemals ab.

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