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Politik: Vertreibung der bösen Geister

UMSTRITTENES GEDENKEN

Von Hermann Rudolph

Die Auseinandersetzung rührt an eine der großen Veränderungen im öffentlichen Bewusstsein der letzten Jahre. Denn es ist ja wirklich ein Fortschritt, dass die Vertreibungen kein Tabuthema mehr sind. Dass ins kollektive Gedächtnis der Deutschen die Erinnerung an vierzehn Millionen Flüchtlinge zurückgekehrt ist, die von Haus und Hof gejagt wurden, dazu an die Regionen – ein Viertel des historischen deutschen Staatsgebiets –, die das Dritte Reich durch Krieg und Terror verspielte. Es ist auch ein Gewinn, dass diese Erinnerung nicht nationalen Trotz oder die Aufrechnung mit deutscher Schuld schürte, sondern den Blick auf das schaurige Panorama der Zwangsumsiedlungen und Deportationen im vergangenen Jahrhundert lenkte – von den Armeniern bis zu den Bosniern. Der Plan, in Berlin ein „Zentrum gegen Vertreibungen“ ins Leben zu rufen, war eine wichtige Station im Prozess der Überwindung der blinden Stellen in unserem Bild der Geschichte.

Der Aufruf von bekannten Politikern und Intellektuellen aus Deutschland, Polen und Tschechien, dieses Vorhaben dürfe keinen nationalen, sondern müsse einen europäischen Charakter haben, ändert daran nichts, aber er zwingt zur Überprüfung des Debattenstands. Die Forderung rennt ja nicht nur – wie Erika Steinbach und Peter Glotz, die Protagonisten des Planes, versichern – offene Türen ein. Der Aufruf ist auch ein Zeichen des Misstrauens. Es gilt vermutlich weniger dem Standort als der Rolle der Vertriebenen bei diesem Vorhaben. Dieses Misstrauen wurzelt nicht nur in den Nachbarländern, sondern zumindest ebenso in Deutschland selbst – und die Vertriebenen haben es sich wahrlich verdient.

Natürlich kann man ein solches Zentrum nicht an den Vertriebenen und ihren Verbänden vorbei gründen. Aber aus dem Aufruf sprechen die Zweifel, ob und wie man es mit ihnen kann. Kann man wirklich sicher sein, dass sie mit der in langen Nachkriegsjahren gehärteten LobbyistenKraft ihrer Verbände das Unternehmen nicht doch vor allem in ihre Richtung lenken? Dass die gewünschte europäische Dimension nicht zum Rand-Thema wird, während das deutsche Vertreibungsschicksal in den Mittelpunkt rückt? Dass sie dem Unternehmen nicht die Forderungen ihrer Verbände aufladen? Vor die Vergangenheiten, die hier europäisch in Angriff genommen werden sollen, drängt sich die jüngste Vergangenheit – ein paar Jahrzehnte voller gegenseitiger Beschuldigungen, unterschwelliger Aufrechnungen, nationaler Animositäten, auf allen Seiten.

Andererseits: Wie soll das europäische Zentrum, für das der Aufruf plädiert, denn praktisch realisiert werden? Dass da europäische Partner gemeinsam nicht nur fordern und beraten, sondern auch gründen und eine organisatorische Form finden, ist ein schöner Gedanke, aber er taugt nicht für die Praxis. Legt man deren Maßstab an, so kann man kaum den Verdacht abwehren, die Initiative wolle mit dem Ausspielen des Europäischen gegen das Nationale das Projekt zumindest verzögern. Besser wäre es, sie stellte die Aufforderung dar, über Sinn und Zweck des Unternehmens nochmals nachzudenken. Und gegen die befürchtete nationale die europäische Dimension zu stärken.

Überhaupt wäre es am besten, wenn alle die engagierten Geister, die mit diesem Aufruf ihre Besorgnisse vor dem Projekt abgeladen haben – von Wolfgang Thierse bis zu Wladislaw Bartoszewski –, ihm ihre Kräfte zur Verfügung stellen. Die breite Anteilnahme aus allen politischen Richtungen und allen Ländern wäre – über die institutionellen Formen hinaus, die für das Zentrum zu finden sein werden – die verlässlichste Sicherung dagegen, dass es auf einen falschen Weg gerät. Es wäre auch wirksamer als der in einer früheren Phase in die Debatte geworfene Vorschlag, das Zentrum mit einem Sitz jenseits von Berlin – die Rede war von Breslau – gegen eine deutsch-nationale Verengung zu schützen. Nicht zuletzt muss das Zentrum selbst Zeichen für seinen Kurs setzen.

Es hat das übrigens getan, eben erst. Es hat seinen, nach dem Prager Juden Franz Werfel genannten Menschenrechtspreis an einen armenischen Genozidforscher und eine rührende kleine tschechische Gruppe verliehen. Sie hat in ihrem Dorf ein „Kreuz der Versöhnung“ errichtet – zur Erinnerung an Sudetendeutsche, die dort nach dem Krieg erschlagen wurden.

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