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Die Charta der Vertriebenen vom 5. August 1950 ist wenig versöhnlich.

© ddp

Vertriebene: Erinnerung ohne Versöhnung

Historiker, die polnische Regierung und die deutsche Opposition sind gegen einen Gedenktag für Vertriebene am 5. August.

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Der von der schwarz-gelben Koalition geplante Gedenktag für Vertriebene gefährdet den von Außenminister Guido Westerwelle (FDP) vorangetriebenen Aussöhnungskurs gegenüber Polen. Das polnische Außenministerium und polnische Kommentatoren reagierten kritisch auf die Absicht der Bundestagsmehrheit von Union und FDP, den 5. August zum Gedenktag für Vertriebene zu machen. Der gegen den Widerstand aller drei Oppositionsfraktionen am vergangenen Donnerstag beschlossene Antrag bezieht sich ausdrücklich auf die Charta der deutschen Heimatvertriebenen vom 5. August 1950 und bezeichnet diese als Meilenstein auf dem Weg zu Integration und Aussöhnung.

Massive Kritik an dem Vorhaben üben 50 renommierte Historiker aus Deutschland und anderen Ländern. Die Zustimmung zu dem Antrag setze „ein falsches geschichtspolitisches Signal“, heißt es in ihrer Erklärung. Die Vertriebenen- Charta sei „kein Dokument der Versöhnung“, monieren sie. In dem Dokument finde sich „kein Wort zu den Ursachen des Krieges“ oder zu NS-Verbrechen. Die Charta zur Grundlage eines nationalen Gedenktages zu erheben, widerspreche dem Bemühen aller Menschen, die sich „um ein würdiges europäisches Gedenken an Vertreibung bemühen“.

Zu den Erstunterzeichnern gehören neben Heinrich-August Winkler und Antisemitismus-Forscher Wolfgang Benz mit Eckart Conze und Norbert Frei zwei Wissenschaftler, die der Historikerkommission zur Aufarbeitung der NS-Geschichte des Auswärtigen Amtes angehören. Auch Mitglieder des wissenschaftlichen Beirates der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung aus dem Ausland sind darunter.

Bei seiner ersten Reise als Außenminister hatte Westerwelle Warschau besucht und neue Aufmerksamkeit für den Nachbarn versprochen. Mit Rücksicht auf polnische Empfindlichkeiten verhinderte er die Berufung der Vertriebenen-Funktionärin Erika Steinbach (CDU) in den Beirat der Stiftung gegen Vertreibung.

Grünen-Chefin Claudia Roth warf den Liberalen nun vor, sie ließen sich „bedingungslos vor den Karren Frau Steinbachs spannen“. Westerwelle verabschiede sich damit von einer Politik der Verständigung mit unseren östlichen Nachbarn. Historiker Eckart Conze sagte dem Tagesspiegel, Westerwelle habe sich in der Vergangenheit gegenüber Polen eindeutig positioniert. „Der Antrag widerspricht seiner bisherigen Linie“, meinte Conze. SPD-Fraktionsvize Gernot Erler forderte die Bundesregierung auf, das Konsensprinzip zu wahren und nicht gegen die gesamte Opposition und gegen namhafte Vertreter der Geschichtswissenschaft einen nationalen Gedenktag einzuführen.

Über das kritische Echo scheint man im Außenministerium wenig erbaut. Man respektiere die Entscheidung des Bundestags, der Regierung einen informellen Prüfauftrag zu einem neuen Gedenktag zu erteilen und gehe davon aus, dass das federführende Innenministerium damit „verantwortungsvoll umgehen“ werde. Wichtig sei, dass der Antrag die deutsche Kriegsschuld in keiner Weise relativiere.

Das polnische Außenministerium erklärte, der Gedenktag-Beschluss des Bundestages sei „kontraproduktiv und enttäuschend“. Er enthalte „viele aus polnischer Perspektive beunruhigende Elemente“, die darauf zurückzuführen seien, dass der historische Kontext des Zweiten Weltkrieges unberücksichtigt bleibe. Der Beschluss trage so nicht zur deutsch-polnischen Verständigung bei.

Die linksliberale „Gazeta Wyborcza“ kommentierte, es bleibe ein unangenehmer Nachgeschmack. Man habe eigentlich vereinbart, die schmerzhafte gemeinsame Geschichte den Historikern zu überlassen, nun aber würden CDU/CSU und FDP damit wieder Politik machen. Der Grund dafür allerdings sei rein innenpolitisch, denn die regierende Koalition müsse unbedingt die Landtagswahlen in Baden-Württemberg gewinnen.

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