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Politik: Verweigerer in der Mehrheit

Jeder zweite Afghane blieb den Wahlen fern / Ergebnisse erst Mitte Oktober

Mit Eseln oder Kamelen mussten die Urnen aus den abgelegenen Bergdörfern Afghanistans zu Sammelpunkten gebracht werden. Dort wurden sie in Hubschrauber verfrachtet, die die Behälter nach Kabul flogen – und so konnte erst am Dienstag mit der Auszählung der Wahlen begonnen werden. Frühestens Mitte Oktober sind deshalb verlässliche Ergebnisse aus Afghanistan zu erwarten. Dort wurden am Sonntag die 249 Sitze im Unterhaus und die 420 Mandate für die Parlamente der 34 Provinzen vergeben. Auf die Zähler wartet indes weniger Arbeit als angenommen: Gut 50 Prozent der Wahlberechtigten blieb dem Urnengang fern.

Zwar versuchen westliche Diplomaten jetzt, das Debakel mit logistischen Problemen zu begründen. In der Tat kamen viele Wähler mit der Zuordnung von Bildern und Symbolen auf den Stimmzetteln nicht klar. Diese Gestaltung sollte Analphabeten – gut die Hälfte aller Afghanen – helfen, mit Stimmzetteln zurechtzukommen, die wegen der Vielzahl der Kandidaten bis zu sieben Seiten hatten. Offenbar wurde damit das Gegenteil bewirkt.

Doch der eigentliche Grund für die Wahlverdrossenheit ist ein anderer: Die Mehrheit der Verweigerer hatte offenbar keine Lust, für Strohmänner von Drogenbaronen oder Warlords zu votieren. Schon im Vorfeld der Wahl hatten Menschenrechtsorganisationen moniert, dass die Wahlkommission Gesetze, die Kriegsverbrechern und anderen Kriminellen eine Kandidatur untersagen, eher großzügig auslegte: Von den über 6000 Bewerbern wurden ganze 25 gestrichen.

Nicht nur die Wahlbeteiligung, auch der Ausgang der Wahlen stimmt Experten sorgenvoll. Präsident Hamid Karsai verhandelt derzeit mit den aus seiner Sicht „gemäßigten“ Taliban über eine Regierungsbeteiligung, im Sinne nationaler Aussöhnung. Die Mehrheit seiner Landsleute legt ihm das jedoch als Schwäche aus und dürfte daher, wie Afghanistanexperten fürchten, aus Protest für die Kandidaten der Opposition gestimmt haben. Legislative und Exekutive, warnt Ahmad Raschid, Bestsellerautor und profunder Kenner des Landes, könnten sich nun gegenseitig blockieren und die gestiegene Spannung sich mittelfristig erneut in einem Bürgerkrieg entladen.

Dabei waren ausgerechnet die Parlamentswahlen als krönender Abschluss einer vierjährigen Übergangsperiode vorgesehen, mit der das Land zu Stabilität und Normalität zurückkehren sollte. So jedenfalls der Friedensfahrplan der Bonner Konferenz, auf den sich die wichtigsten politischen, ethnischen und religiösen Gruppierungen Afghanistans nach dem militärischen Ende der Taliban im Dezember 2001 unter UN-Ägide einigten.

Nach eben dieser Übergangszeit soll auch das Engagement der internationalen Gemeinschaft schrittweise zurückgefahren werden. Darauf drängt vor allem Washington. US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld will schon 2006 ein Fünftel seiner Soldaten abziehen. Deren Aufgaben soll die Nato-geführte Schutztruppe Isaf übernehmen, die für aktive Kampfhandlungen bisher weder das Mandat hat, noch entsprechend bewaffnet und ausgebildet ist.

Egal, wer bei den Wahlen siegt, warnt jetzt Raschid: Auf Afghanistan warten enorme Unsicherheiten. Ohne langfristige internationale Beobachtung und Hilfe habe das verordnete neue politische System „keine Erfolgschancen“.

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