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Multikulti ist für viel kein Konzept oder Ansatz, sondern bereits Realität.

© dapd

Vielvölkerrepublik: Multikulti ist auch nur ein Wort

Wenn es galt, konservatives Tafelsilber zu putzen, dann funktionierte der Satz sehr gut: "Multikulti ist tot". Doch jetzt macht er anscheinend Ärger im eigenen Lager.

Berlin - Die Kanzlerin sah sich vor einigen Tagen genötigt, ihre Behauptung, dieser Ansatz sei „absolut gescheitert“, etwas zu präzisieren – Vizekanzler Guido Westerwelle hatte sich nämlich über diesen Satz Angela Merkels nicht amüsiert gezeigt. Die Kanzlerin habe lediglich ein „unkoordiniertes und unorganisiertes, ungeleitetes Nebeneinander von Kulturen“ gemeint, das „so nicht zielführend sei“, wo es doch um „aktive Integration“ gehe, erläuterte die stellvertretende Regierungssprecherin.

Das Dauergerangel um den Begriff entsteht dadurch, dass er – gelegentlich absichtsvoll – als Antwort auf eine Frage missverstanden wird: Ist das Miteinander der Kulturen nun gut oder schlecht? Seine Erfinder antworten: Es ist einfach da – ob es einem passt oder nicht. Multikulturalismus sei kein Konzept oder ein Ansatz, wie Merkel behaupte, sagte kürzlich Grünen-Chefin Claudia Roth, sondern schon lange Realität in Deutschland. Oder wie es die CDU-Politikern Rita Süssmuth formuliert: „Wir sind ein multikulturelles Land.“

So hieß auch das Buch „Multikulti“ des Gießener Politikwissenschaftlers Claus Leggewie im Untertitel „Spielregeln für die Vielvölkerrepublik“. Dass diese Republik längst Wirklichkeit war, setzte er voraus. Leggewie, der sich selbst nicht als Erfinder des Begriffs sieht – er habe ihn nur aus den USA importiert – machte Multikulti vor 20 Jahren erst zu einem Teil des gesprochenen Deutsch. Ein Jahr zuvor, 1989, hatte die Stadt Frankfurt am Main als erste in Deutschland ein „Dezernat für multikulturelle Angelegenheiten“ eingerichtet. Ehrenamtlicher erster Dezernent wurde der Grüne Daniel Cohn-Bendit, als Deutscher und Franzose selbst lebendiges Multikulti. Cohn-Bendit fasste die Erfahrungen im Amt später in „Heimat Babylon“ zusammen und deutete schon im Untertitel an, dass er kein perfektes Paradies ausrief: „Das Wagnis der multikulturellen Demokratie“.

Kenner des alten Streits wie der Migrationshistoriker Klaus J. Bade haben daher nur Spott dafür, dass Multikulti stets erneut der Totenschein ausgestellt wird. Wenn Bayerns Ministerpräsident wie kürzlich vor der Jungen Union „als bayerischer Siegfried“ auftrete, „um den Tod des Drachen Multikulti zu beschwören“, dann sei das eine „besonders vordergründige Neuauflage des von Vertretern der Unionsparteien in schönster Regelmäßigkeit vorgeführten Versuchs der Flucht aus der Verantwortung“. Die Union selbst habe in den 1980er und noch in den 1990er Jahren in Integrationsfragen „versagt“. Die Grünen hätten sie am Anfang zwar „mit einem bunten Traum verwechselt“, aber als Oppositionspartei schließlich auch nichts zu melden gehabt. „Die Macht hatte die Union – und die hat seinerzeit das Thema Integration glatt verschlafen“, sagte Bade dem Tagesspiegel. Das würden heute selbst führende Unionspolitiker „ unisono in selbstkritischer Schlafmetaphorik bekennen“.

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