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Eine Trümmerlandschaft: Viele Städte wie Homs sind inzwischen teilweise völlig zerstört.

© Imago/Xinhua

Vier Jahre Krieg in Syrien: Ein schier endloses Gemetzel

Seit genau vier Jahren herrscht ein verheerender Krieg in Syrien. Mehr als 210.000 Menschen sind ums Leben gekommen, Millionen haben ihr Zuhause verloren. Doch ein Ende des Konflikts ist nicht in Sicht.

Die syrische Tragödie scheint in Horrorziffern erstarrt. Mindestens 210.000 Menschen haben bisher ihr Leben verloren. 450.000 sitzen nach Angaben der „Syrischen Menschenrechtsliga“ in den Kerkern des Regimes. Tag für Tag foltern Baschar al Assads Schergen Dutzende Gefangene zu Tode, berichtet der bekannte Menschenrechtler Abdulkarim Rihawi, der in Kairo Zuflucht gefunden hat. Mehr als 20.000 Opfer sind spurlos verschwunden. Was vor vier Jahren, am 15. März 2011, als friedliche Demonstration für mehr Bürgerrechte und Demokratie gegen die jahrzehntelange Willkürherrschaft des Assad-Clans begann, ist heute ein bestialischer Krieg aller gegen alle.

Das zurückliegende Jahr war mit 76.000 Toten das bisher blutigste in dem schier endlosen Gemetzel. Wohnviertel und Fabriken, Krankenhäuser und Schulen, Straßen und Brücken sowie weite Teile des kulturellen Erbes in Syrien liegen in Trümmern. Armut, Hunger und Kälte herrschen im gesamten Land, das wohl niemals wieder zu einer gemeinsamen Nation zusammenfinden wird. „Die Zahl der Todesopfer und das Leid der Zivilisten haben untragbare Ausmaße erreicht“, beklagt Joanne Liu, die internationale Präsidentin von „Ärzte ohne Grenzen“ und bezeichnet die derzeit geleistete humanitäre Hilfe als „völlig unzureichend“.

Der IS - eine universale Bedrohung

Im internationalen Bewusstsein scheinen die unsagbaren Verbrechen des Baath-Regimes inzwischen zu verblassen, seit die Online-Videos aus der Region dominiert werden von der teuflisch inszenierten Barbarei des „Islamischen Staates“. Die „Gotteskrieger“ schneiden vor laufender Kamera Gefangenen in orangen Guantanamo-Overalls die Köpfe ab, kreuzigen Menschen auf öffentlichen Plätzen, versklaven Frauen, stoßen Homosexuelle gefesselt von Dächern, verbrennen einen jordanischen Piloten bei lebendigem Leib und filmen – wie Anfang dieser Woche – einen Minderjährigen, wie er einen angeblichen Spion per Kopfschuss ermordet. In Europa, Asien, Australien und Amerika gilt die Terrormiliz, die mittlerweile Kämpfer aus mehr als 80 Staaten in ihren Reihen hat, als eine universale Bedrohung ganz neuen Typs.

Damaskus dagegen inszeniert sich genüsslich als das angeblich kleinere Übel – eine Rechnung, die aufzugehen scheint. Von Anfang an hatte Assad das Aufbegehren seines Volkes als Revolte von Terroristen gegen sein säkulares Regime denunziert, eine PR-Strategie, an der er bis heute unbeirrt festhält. Um dieses Narrativ zu untermauern, schonten Armee und Luftwaffe bewusst die Stellungen des „Islamischen Staates“. Nach einer Studie des IHS Jane’s Terrorism and Insurgency Center sparte Damaskus bei 94 Prozent seiner Angriffe die Dschihadisten aus und quälte stattdessen die eigene Bevölkerung mit seinen verheerenden Fässerbomben.

Gegen die Zivilisten

Im Gegenzug richtete der „Islamische Staat“ lediglich 13 Prozent seiner Attacken gegen syrische Soldaten, dafür aber 87 Prozent gegen andere Rebellengruppen und die Zivilbevölkerung. Die meisten Verbände der moderaten Regimegegner sind dezimiert oder aufgerieben. Als einer der letzten streckten jetzt die Hazm-Brigaden von Aleppo nach einer Offensive der Al-Nusra-Front die Waffen. Mehr als hundert moderne US-Panzerabwehrraketen fielen den Extremisten in die Hände, die zu Al Qaida gehören und jetzt neben dem „Islamischen Staat“ die Rebellenszene in Syrien dominieren.

Baschar al Assad hält sich seit Jahren an der Macht.
Baschar al Assad hält sich seit Jahren an der Macht.

© AFP

Baschar al Assad in Damaskus dagegen triumphiert. 40 Prozent der Staatsfläche mit 60 Prozent der Bevölkerung sowie fast alle größeren Städte stehen unter seiner Kontrolle. Kürzlich brüstete er sich in einem Fernsehinterview, die vom Ausland inszenierte Revolte gegen seine Herrschaft endgültig niedergeschlagen zu haben. „Mal unterstellt, ich sei ein Diktator, der seine rechtschaffenen Landsleute tötet, warum habe ich dann diesen Erfolg, wo doch angeblich alle Syrer gegen mich sind?“, fragte er ironisch.

In Europa und den Vereinigten Staaten jedenfalls sind die Rufe nach seinem Sturz seit dem IS-Aufmarsch leiser geworden, auch wenn US-Außenminister John Kerry den syrischen Tyrannen am Freitag über seine Sprecherin erneut zum Rücktritt aufforderte. „Jeder Tag bringt neuen Horror“, beklagte auch UN-Generalsekretär Ban Ki Moon und drohte dem Regime an, seine schweren Verbrechen würden nicht ungestraft bleiben. Ein militärisches Eingreifen des Westens gegen Assad scheint aber endgültig vom Tisch, seit das Regime im September 2013 nach einem Giftgasangriff seiner Artillerie auf Vororte von Damaskus überraschend zustimmte, sein Chemiewaffenarsenal internationalen Inspektoren auszuhändigen.

Hisbollah an Assads Seite

Stattdessen operieren alliierte Kampfflugzeuge jetzt am syrischen Himmel gegen die Anhänger des selbst ernannten „Kalifen Ibrahim“, alias Abu Bakr al Baghdadi. Zudem kursieren erste Strategiepapiere, nach denen Assads Truppen gemeinsam mit Hisbollah-Kommandos und kurdischen Einheiten einen Großangriff auf die syrische IS-Hochburg Raqqa planen, de facto unterstützt von westlichen Jets.

Militärische Voraussetzung wäre ein regionaler Waffenstillstand in Aleppo, um den sich der UN-Sondergesandte Staffan de Mistura bemüht und Assad dabei ausdrücklich als „Teil einer Lösung“ des Syrienkonflikts bezeichnete.

Der von Rebellen besetzte Ostteil von Aleppo ist seit mehr als einem Jahr ohne fließend Wasser und Strom. Von den mehr als eine Million Einwohnern sind noch 40 000 übrig. Die verbliebenen Familien haben in städtischen Parks sämtliche Bäume abgeholzt, ja sogar Schulbänke und Möbel verfeuert, um nicht zu erfrieren. Satellitenbilder zeigen, dass die berühmte Handelsmetropole, die zu den ältesten Siedlungsplätzen der Menschheit gehört, inzwischen nachts praktisch komplett dunkel ist. Von den ehemals 2500 Ärzten, die vor Ausbruch des Konflikts hier tätig waren, sind nicht einmal 100 übrig. Die anderen sind ins Ausland oder in andere Gebiete Syriens geflohen, wurden entführt oder getötet.

Richtung Europa

Ihre zerstörte Heimat Syrien aber ist zu einem Konfliktherd geworden, der die gesamte Region in den Abgrund zieht und längst auch auf Europa ausstrahlt. Die Hälfte der 23 Millionen Syrer ist auf der Flucht. Fast vier Millionen haben sich in die Nachbarländer Libanon, Türkei, Irak und Jordanien gerettet. Zehntausende leben in Ägypten. 800.000 bis eine Million Menschen warten in Libyen, wo der „Islamische Staat“ momentan seine zweite Machtbasis im Nahen Osten errichtet, auf eine Bootsflucht nach Italien.

Und so scheint Saudi-Arabien unter dem neuen König Salman zusammen mit der Türkei und Katar einen neuen Anlauf zu nehmen, um Assad doch noch mit Militärgewalt zu stürzen. Das dann folgende Chaos will die kürzlich reaktivierte arabisch-türkische Koalition offenbar in Kauf nehmen, Hauptsache, man kann das Hegemoniestreben des schiitischen Erzfeindes Iran und seiner verhassten Hisbollah-Helfershelfer zurückdrängen.

Moskau ist durch Ukraine-Krise, Rubeleinbruch und Ölpreisverfall absorbiert. In Washington könnte das Anti-Assad-Klima im Zuge des 2016 beginnenden Präsidentenwahlkampfes wieder deutlich aggressiver werden. Saudi-Arabien und Katar wollen darum in nächster Zeit mit amerikanischer Hilfe frische syrische Rebellenverbände aufstellen und auf eigenem Territorium trainieren. Ende des Monats berät die Arabische Liga bei ihrem Gipfeltreffen in Ägypten über eine panarabische Armee.

Sie könnte zusammen mit türkischen Verbänden den „Islamischen Staat“ in Syrien angreifen und gleichzeitig das Assad-Regime aus den Angeln heben, so das Kalkül. Die meisten Soldaten allerdings müsste Kairo stellen – als Gegenleistung für die bisher 25 Milliarden Dollar Finanzhilfen vom Golf.

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