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Mit der Visumspflicht für Türken in der EU soll demnächst Schluss sein - wenn Ankara alle Kriterien einhält.

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Türkei: Die Folgen der Visafreiheit

Brüssel schlägt die Visafreiheit für die Türkei vor, aber unter Auflagen. Was hat das für Folgen?

Die EU-Kommission hat die Aufhebung des Visazwangs für türkische Bürger bis Ende Juni vorgeschlagen. Auch wenn die türkische Regierung dies als Durchbruch betrachtet, ist Ankara noch nicht am Ziel. Das Land muss noch mehrere Bedingungen erfüllen, bevor die Europäer den Türken visumfreies Reisen ermöglichen.

Worum geht es bei der Erteilung der Visafreiheit?

Bisher müssen Türken, die als Geschäftsleute, beim Verwandtenbesuch oder als Touristen in die EU einreisen wollen, einen Visumsantrag stellen. Die umständliche Prozedur soll künftig wegfallen. Mit der Visafreiheit haben Türken die Möglichkeit, sich pro Halbjahr maximal 90 Tage im Schengen-Raum aufzuhalten, dem neben Deutschland auch die meisten anderen EU-Staaten angehören.

Erfüllt die Türkei alle Bedingungen?

Nein. Insgesamt muss die Türkei 72 Kriterien zur Erteilung der Visafreiheit erfüllen. Inzwischen hat Ankara laut einer Auflistung der EU-Kommission vom Mittwoch 67 dieser Bedingungen erfüllt. So hat sich die Türkei verpflichtet, dass Zyprer künftig kein Visum mehr für die Einreise in die Türkei benötigen. Dieser Schritt war für den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan keine Selbstverständlichkeit, weil Ankara das EU-Mitglied Zypern eigentlich gar nicht anerkennt. Wie EU-Kommissionsvizepräsident Frans Timmermans am Mittwoch in Brüssel erläuterte, muss die Türkei noch die fünf offenen Punkte erfüllen, damit die EU die Visafreiheit bis Ende Juni erteilen kann.

Diese fünf Punkte haben es allerdings in sich: So muss der Staat am Bosporus erstens entschiedener gegen die Korruption vorgehen und zweitens mit den EU-Staaten enger in Justizfragen zusammenarbeiten – insbesondere bei der Strafverfolgung von Verdächtigen, die nicht ausgeliefert werden können. Darüber hinaus muss Ankara eine Vereinbarung mit der europäischen Polizeibehörde Europol abschließen und, viertens, die Unabhängigkeit der Datenschutzbeauftragten garantieren. Am heikelsten ist Punkt fünf: Die Forderung der EU, dass Ankara die Gesetzgebung zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität und des Terrorismus überarbeitet. Demnach muss die Definition des Terrorismus enger gefasst werden.

Die Willkür des türkischen Staates im Anti-Terror-Kampf zeigte sich Ende April im Fall von Hamza Aktan, Chefredakteur des pro-kurdischen Fernsehsenders IMC TV. Nachdem Aktan wegen unliebsamer Twitter-Botschaften festgenommen worden war, wurde ihm der Vorwurf gemacht, Propaganda für eine Terrororganisation betrieben zu haben.

 

Ändert dies etwas für die Türken bei den Reisedokumenten?

Ja. Nach den Worten von EU-Innenkommissar Dimitris Avramopoulos ist die Visafreiheit nicht gleichzusetzen mit einem unkontrollierten Zugang zur EU. Wie Avramopoulos erläuterte, können Türken künftig nur dann in die EU einreisen, wenn sie über biometrische Pässe verfügen. Weil die Türkei biometrische Pässe nach EU-Standards bis Juni nicht mehr rechtzeitig einführen kann, akzeptiert die EU vorübergehend bis Oktober Ersatzdokumente mit kurzer Gültigkeit, auf denen Bilder des Besitzers und seine Fingerabdrücke gespeichert sein sollen.

Wie wird die Visafreiheit in den EU-Staaten und im Europaparlament gesehen?

Ob die Türkei nach der geforderten Erfüllung sämtlicher Kriterien grünes Licht von den Europäern erhält, hängt nicht allein von der EU-Kommission ab. Auch die EU-Mitgliedstaaten und das Europaparlament müssen zustimmen. Bei den bevorstehenden Beratungen der EU-Innenminister über die Visafreiheit dürften vor allem die Ressortchefs aus Österreich und Frankreich ihre Bedenken gegen das Ende des Visumszwangs äußern: In beiden Ländern wird dessen Aufhebung kritisch gesehen.

In Deutschland steht indes für Angela Merkel in der Visa-Frage viel auf dem Spiel. Kommt es nicht bis Ende Juni zur gewünschten Regelung, dann läuft die Kanzlerin Gefahr, dass der türkische Staatschef Erdogan die Vereinbarung mit der EU über die Rücknahme der Migranten von den griechischen Inseln wieder platzen lässt und die Flüchtlingskrise damit in Deutschland erneut die Schlagzeilen beherrscht. Dass sich Erdogan gegenüber den Europäern am längeren Hebel wähnt, hat er jüngst mit einer Bemerkung deutlich gemacht: „Mehr noch als die Türkei die Europäische Union benötigt, braucht die Europäische Union die Türkei.“ Merkel ist einerseits zuversichtlich, dass Ankara demnächst sämtliche Kriterien zu Erteilung der Visafreiheit einhält. Es gebe eine „realistische Chance“, dass auch noch die restlichen Bedingungen erfüllt würden, sagte sie, nachdem die EU-Kommission den Vorschlag zum Ende des Visumszwangs gemacht hatte.

Andererseits will man auch in Berlin sicherstellen, dass Erdogan keinen Freifahrtschein erhält, wenn der Visazwang entfällt. Deshalb haben Berlin und Paris eine Suspendierungsklausel vorgeschlagen, mit der die Visumsfreiheit wieder aufgehoben werden kann, falls sich Ankara nicht mehr an die Kriterien halten sollte. Diesem Vorschlag ist die EU-Kommission inzwischen gefolgt.

Im Europaparlament zeichnet sich derweil eine kontroverse Debatte über die Türkei ab. Viele EU-Abgeordnete sehen die Visafreiheit kritisch – beispielsweise der CSU-Mann Markus Ferber. Es gibt aber auch Befürworter. Zu ihnen zählt der Chef des Auswärtigen Ausschusses im Parlament, Elmar Brok. „Durch die Verpflichtung, dass türkische Bürger künftig einen biometrischen Pass vorzeigen müssen, haben wir ein erhöhtes Maß an Sicherheit“, sagte der CDU-Politiker dem Tagesspiegel. Allerdings fügte er auch hinzu, dass das EU-Parlament sehr genau prüfen werde, ob die Türkei alle Bedingungen erfüllt.

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