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Armenier demonstrieren vor dem Reichstag.

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Update

Völkermord an den Armeniern: Regierung der Türkei verärgert über Joachim Gauck

Die türkische Regierung ist sehr verärgert über das deutsche Gedenken. „Das türkische Volk wird dem deutschen Präsidenten Gauck seine Aussagen nicht vergessen und nicht verzeihen“, teilte das Außenministerium in Ankara am späten Freitagabend mit.

Die Aussagen von Bundespräsident Joachim Gauck zum „Völkermord“ an den Armeniern haben einen Streit mit der Türkei ausgelöst. „Das türkische Volk wird dem deutschen Präsidenten Gauck seine Aussagen nicht vergessen und nicht verzeihen“, teilte das Außenministerium in Ankara am späten Freitagabend mit. In der Mitteilung des Außenministeriums hieß es weiter, Gauck habe keine Befugnis, der türkischen Nation eine Schuld anzulasten, die den rechtlichen und historischen Fakten widerspreche. Das Ministerium warnte vor „langfristigen negativen Auswirkungen“ auf das deutsch-türkische Verhältnis.

Gauck hatte in seiner Rede im Berliner Dom die Massaker als Völkermord bezeichnet. Auch Bundestagspräsident Norbert Lammert benutzte am Freitag den Begriff.

Anders als bei den kürzlichen Äußerungen des Papstes und der Entschließung Österreichs zum Thema Armenien hatte Ankaras Regierung auf die Gauck-Rede und die Bundestags-Resolution zunächst mit Schweigen reagiert. Der Grund könnte in einem Ereignis gelegen haben, das Erdogan am Armenier-Gedenktag organisiert hatte: ein Treffen mit mehreren Dutzend Staatsgästen zur Erinnerung an die Schlacht von Gallipoli im Ersten Weltkrieg. Erdogan konnte unter anderem den britischen Thronfolger Prinz Charles begrüßen. Die Schlacht von Gallipoli hatte mehr als 100 000 Soldaten das Leben gekostet und endete mit einer Niederlage der Entente-Mächte, die mit dem Angriff die Meerenge der Dardanellen westlich von Istanbul erobern wollten.

Erdogans Gallipoli-Treffen war ein Versuch der türkischen Führung, die Aufmerksamkeit im eigenen Land vom Armenier-Gedenktag und dem offiziellen Genozid-Gedenken in der armenischen Hauptstadt Eriwan abzulenken. Türkische Nationalisten bezeichneten den Völkermord-Vorwurf bei einem Protestmarsch in Istanbul als Lüge.

Die türkische Presse hatte schon zuvor auf die deutsche Haltung geschimpft. Einen „Skandal“ habe sich Joachim Gauck da geleistet, schimpfte die Online-Ausgabe der türkischen Zeitung „Milliyet“ nach der Rede des deutschen Bundespräsidenten zum Völkermord an den Armeniern. Auch andere Medien kritisierten Gauck sowie den Bundestag. Regierungsnahe e Medien wie die Zeitung „Yeni Safak“ warfen Gauck vor, sich mit „hässlichen Worten“ über das Osmanische Reich geäußert und seine Kompetenzen überschritten zu haben.

Nationalisten drohen den Armeniern

Präsident Erdogan hatte am Vorabend den Europäern vorgeworfen, mit der Anprangerung eines Völkermordes an den Armeniern Heuchelei zu betreiben. Kein Land, das den Genozid an den Armeniern anerkenne, habe ein so „sauberes“ historisches Zeugnis wie die Türkei, sagte Erdogan. Vizepremier Yalcin Akdogan betonte, Länder, die von einem Völkermord sprächen, sollten zunächst einmal ihre eigene Geschichte anschauen und das, „was sie ihren eigenen Bürgern angetan haben“. Doch der Gedenktag wurde nicht nur vom politischen Streit geprägt, sondern auch von Gesten der Versöhnung. So war der Istanbuler Stadtteil Kumkapi Schauplatz einer Premiere, die vor wenigen Jahren noch undenkbar gewesen wäre. Als erstes türkisches Regierungsmitglied nahm EU-Minister Volkan Bozkir an einem Gedenkgottesdienst im armenischen Patriarchat teil. Bozkir sprach vom „Schmerz unserer armenischen Brüder“ und von einem „schlimmen Ereignis“. Zur Erinnerung an die Opfer läuteten die Glocken der Patriarchatskirche einhundert Mal. Auch Erdogan erklärte in einer Grußbotschaft an die Armenier beim Gottesdienst, er teile den Schmerz der Opfer. Die Herzen der Türken stünden den Nachfahren der osmanischen Armenier jederzeit offen. Allerdings unterstrich Erdogan auch, im Ersten Weltkrieg seien im Osmanenreich mehrere Millionen Menschen jeder Volkszugehörigkeit ums Leben gekommen – von einer Entschuldigung bei den Armeniern war also keine Rede.

Die türkische Zivilgesellschaft zeigte aber auch, dass sie bei der Bewertung der Verbrechen des Jahres 1915 der starren Haltung der Regierung voraus ist. Türken, Kurden und Armenier versammelten sich gemeinsam zum Gedenken an die rund 250 armenischen Intellektuellen, die am 24. April 1915 in Istanbul verhaftet wurden und deren Tod den Beginn des Völkermordes einleitete.

Völlig friedlich verlief der Tag nicht. An einer Istanbuler Universität gerieten Studenten und Ordnungskräfte während einer Armenier-Gedenkveranstaltung aneinander. Vor dem Gebäude der armenischen Wochenzeitung „Agos“ in Istanbul stellten Mitglieder von zwei rechtsextremen Gruppen schwarze Kränze ab und ließen die Armenier über Facebook wissen: „Eines Nachts werden wir plötzlich bei ‚Agos‘ sein.“ Der frühere Chefredakteur von „Agos“, Hrant Dink, war 2007 von Nationalisten auf offener Straße erschossen worden. (mit dpa)

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