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Guatemalas Exdiktator Efraín Ríos Montt ist wegen Völkermordes zu 80 Jahren Haft verurteilt worden.

© AFP

Völkermord in Guatemala: 80 Jahre für den „Schlächter der Indios“

Es ist das erste Völkermordurteil Lateinamerikas - und es endet mit Beifall und Tumult: Guatemalas Ex-Diktator Efraín Ríos Montt ist zu 80 Jahren Haft verurteilt worden.

Der „Schlächter der Indios“, Guatemalas Ex-Diktator Efraín Ríos Montt, muss wegen Völkermord hinter Gitter. In einem historischen Prozess verurteilte ein Gericht in Guatemala-Stadt den General am Freitag zu einer 80-jährigen Haftstrafe und ordnete wegen der Schwere des Vergehens seine Überführung in ein Hochsicherheitsgefängnis an. Es ist ein einmaliges Urteil: Ríos Montt ist der erste lateinamerikanische Ex-Staatschef, der wegen Völkermord hinter Gitter muss. Der Prozess geht auf eine Anzeige von Menschenrechtlern im Jahr 2000 zurück. Es dauerte Jahre, die Ermordung von 1771 Ixil-Indigenas zu dokumentieren und als Völkermord zu klassifizieren. Ríos Montt genoss bis 2012 als Kongressmitglied außerdem parlamentarische Immunität. Der Prozess hatte schließlich im März begonnen und war zweimal ausgesetzt worden. Hunderte von Dokumenten, Zeugen und Experten wurden zu Rate gezogen. Mehrfach hatte es Drohungen gegen die Ankläger, Richter und Zeugen gegeben; die Angeklagten versuchten bis zuletzt, mit Taktiken wie ständigen Anwaltswechseln und Krankmeldungen die Urteilsverkündung zu verzögern. Guatemala ist eines der ärmsten und gewalttätigsten Länder der Region.

Nach der Urteilsverkündung kam es im Gerichtssaal zu einem Tumult. Sogar der Richterin standen Tränen in den Augen; es gab Umarmungen, und die Presse stürzte sich auf Ríos Montt, als dieser aus dem Saal geführt wurde. „Ich habe die Gesetze befolgt“, sagte der 86-jährige Verurteilte und bezeichnete den Prozess als „politische Show“, die großen Schaden anrichte. Die Zuschauer ließen derweil die Richterin hochleben. Menschenrechtsorganisationen feierten das Urteil als „wegweisend“. „Zum ersten Mal wurde die Stimme der Indigenas in der Öffentlichkeit wahrgenommen“, sagte Menschenrechtlerin Helen Mack. „Guatemala wird einige Zeit brauchen, um die Tragweite dieses Urteils zu verstehen“, sagte die Aktivistin Iduvina Hernández. Völkermord gilt als die schlimmste Straftat des Völkerrechts, begangen in der Absicht, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören.

Guatemala ist eines der ärmsten und gewalttätigsten Länder der Region.
Guatemala ist eines der ärmsten und gewalttätigsten Länder der Region.

© TSP

Zweimal wurde die eineinhalbstündige Urteilsverkündung der Richterin Jazmin Barrios von Beifall unterbrochen – als sie die Schuld des Angeklagten feststellte und das Strafmaß verkündete. Der ebenfalls angeklagte Geheimdienstchef José Mauricio Rodríguez wurde hingegen freigesprochen, weil seine Verantwortung für die Verbrechen nicht nachgewiesen werden konnte.

Richterin Barrios sah es als erwiesen an, dass die Maya-Indigenas der Ethnie Ixil vom Militär zwischen 1982 und 1983 systematisch verfolgt und ausgerottet wurden, da sie als Unterstützer der Guerilla galten. Systematische Vergewaltigungen und Vertreibungen, eine Politik der verbrannten Erde, die Tötung von Kindern, Frauen und Alten legten nahe, dass alleine die Tatsache, ein Ixil zu sein, als Delikt betrachtet wurde. Besonders die Frauen als Hüterin der Kultur und der Reproduktion des Volkes seien Gewalt ausgesetzt gewesen. Während des Prozesses schilderten Frauen, wie sie vor den Augen ihrer Kindern und Ehemänner dutzendfach vergewaltigt wurden und dass sie heute unfruchtbar sind. Am Ende des Feldzugs der Armee waren drei Viertel der Ixil-Dörfer zerstört.

Das Urteil bezog sich auf schriftliche Pläne, in denen die Operationen begründet und ausgearbeitet wurden. Von spontanen Gewaltorgien könne nicht die Rede sein; die Massaker hätten nach dem immer gleichen Modell stattgefunden. Ríos Montt sei als De-facto-Präsident und Oberkommandierender der Streitkräfte darüber informiert gewesen und sei damit verantwortlich. Als erschwerend bewertete die Richterin den Rassismus, der dieser Politik zugrunde lag. Das Strafmaß setzt sich aus 50 Jahren für Völkermord und 30 Jahren für Verbrechen gegen die Menschlichkeit zusammen.

Ríos Montt hatte sich bei der letzten Anhörung vor der Urteilsverkündung für unschuldig erklärt. Er habe niemals die Ausrottung einer Rasse angeordnet, vorgeschlagen, autorisiert oder unterschrieben, sagte er. Dafür gebe es keinen einzigen Beweis. Schuld an der Polarisierung des Landes sei die Guerrilla. Es wird erwartet, dass es zu einem Berufungsprozess kommt. Während des Prozesses hatte Ríos Montts Anwalt Francisco Gudiel den Richtern gedroht, nicht zu ruhen, bis er sie hinter Gittern sehe. Außerdem beschuldigte er die UN und amerikanische Hippies, auf das Gericht Einfluss genommen zu haben. Noch anhängig vor dem Verfassungsgericht ist ein Antrag der Anwälte der Angeklagten, den Prozess wegen Verletzung der Rechtsgarantien zu annullieren.

Guatemalas Justiz galt lange als korrupt, elitär und eng verstrickt mit dem Organisierten Verbrechen. Erst in den vergangenen Jahren gelang es unter Mitarbeit der Internationalen Kommission gegen Straffreiheit (CICIG), die Justiz zu säubern und Prozesse auch gegen mächtige Politiker, Richter, Polizisten und Funktionäre zu gewinnen. Während des Bürgerkriegs in Guatemala von 1960 bis 1996 starben rund 200.000 Menschen. Die 17-monatige Gewaltherrschaft von Ríos Montt gilt als blutigstes Kapitel. Die Wahrheit anzuerkennen, sei nicht nur ein Recht der Opfer, sondern trage auch dazu bei, Wunden zu schließen und den Rechtsstaat zu stärken, erklärte die Richterin.

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