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Eine Jesus-Figur liegt am 5.4.2004 auf Schädeln in der Katholischen Kirche in Ntarama. Dort kamen am 15.4.1994 über 5000 Menschen ums Leben. Die Kirche dient heute als Gedenkstätte für den Völkermord.

© dpa

Völkermord in Ruanda - 20 Jahre danach: "Sag' es doch Kagame"

Das Entwicklungsmodell Ruandas hängt von Präsident Paul Kagame ab: 2017 endet seine zweite Amtszeit. Ein Nachfolger ist nicht in Sicht. Der frühere Rebellenchef dürfte auch künftig die Geschicke des Landes bestimmen.

Der ruandische Gesellschaftsvertrag nach dem Völkermord lässt sich auf einen einfachen Nenner bringen: Die Regierung bringt so etwas wie Frieden und wirtschaftliche Entwicklung. Dafür meckert die Bevölkerung nicht, sondern arbeitet fleißig. Auf den zweiten Blick zeigt sich aber, dass dieses in Singapur und China ersonnene Entwicklungsmodell in dem kleinen zentralafrikanischen Binnenland an seine Grenzen stößt. Die eine Grenze ist der Genozid. Er ist und wird die „rote Linie“ der ruandischen Gesellschaft sein, die keiner überschreiten darf. Wer die Regierenden kritisiert, gerät sofort in den Verdacht, den Völkermord zu leugnen. Zudem hat der Genozid eine soziale Last hinterlassen, das kein anderes Land zu bewältigen hat. Die zweite Grenze sind Probleme, die Ruanda 1994 in den Abgrund gerissen haben: Auf einer Fläche groß wie Brandenburg leben 11,5 Millionen Menschen. Die Bevölkerung wächst weiter rasant. Die Geburtenrate liegt bei 4,6; 2005 lag sie allerdings noch bei 6,1.

Paul Kagame hat als Chef der Tutsi-Miliz RPF den Völkermord 1994 beendet. Seither ist er der starke Mann in Ruanda. Aktuell absolviert er seine zweite, und nach der Verfassung eigentlich letzte Amtszeit als Präsident. Kagame ist im Westen lange unantastbar gewesen. Zum einen weil die Welt vor dem Völkermord versagt hat, zum anderen, weil seine Entwicklungsorientierung allgemein gelobt wurde, und weil Ruanda wenig Probleme mit Korruption hat. Doch Kagame ist auch ein Unruhestifter in der Region, aber auch auf dem gesamten Kontinent. Seine Vorträge werden von seinen Kollegen oft als arrogant empfunden. Und mit den direkten Nachbarn pflegt Kagame eher kühle Beziehungen. Lediglich mit Uganda verbindet ihn einiges. Dort war Kagame im Exil, hat dem dortigen Präsidenten im Guerilla-Kampf als Geheimdienstchef gedient, und dort hat er seine Rebellen-Armee formiert.
Paul Kagame hat als Chef der Tutsi-Miliz RPF den Völkermord 1994 beendet. Seither ist er der starke Mann in Ruanda. Aktuell absolviert er seine zweite, und nach der Verfassung eigentlich letzte Amtszeit als Präsident. Kagame ist im Westen lange unantastbar gewesen. Zum einen weil die Welt vor dem Völkermord versagt hat, zum anderen, weil seine Entwicklungsorientierung allgemein gelobt wurde, und weil Ruanda wenig Probleme mit Korruption hat. Doch Kagame ist auch ein Unruhestifter in der Region, aber auch auf dem gesamten Kontinent. Seine Vorträge werden von seinen Kollegen oft als arrogant empfunden. Und mit den direkten Nachbarn pflegt Kagame eher kühle Beziehungen. Lediglich mit Uganda verbindet ihn einiges. Dort war Kagame im Exil, hat dem dortigen Präsidenten im Guerilla-Kampf als Geheimdienstchef gedient, und dort hat er seine Rebellen-Armee formiert.

© imago

Das Versagen der Weltgemeinschaft 1994 hat bei den Geberländern dazu geführt, dass sie bis 2012 nahezu kritiklos beträchtliche Entwicklungsmittel in das kleine Land gepumpt haben. Bis 2012 haben die Geber knapp die Hälfte des Haushalts gefüllt. Der Grund ist schnell erklärt. Ulrike Maenner, Landesdirektorin der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) in Ruanda, sagt: „Wir haben Erfolg.“

Nach einem UN-Report haben die Geber die Mittel gekürzt

Seit 2012 hat sich das Verhältnis zwischen den Gebern und Ruanda abgekühlt. Der Anlass war der Bericht einer Expertenkommission der Vereinten Nationen, die gegen den Willen Ruandas einen Bericht darüber vorlegte, wie das Land die Rebellengruppe M23 im Nachbarland Demokratische Republik Kongo unterstützt hatte. Für den damaligen deutschen Entwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) war das ein willkommener Anlass, die von ihm abgelehnte Budgethilfe zu stoppen. Stattdessen wird das Geld nun pauschal in von der Regierung verwaltete Fonds eingezahlt, mit viel genauerer Rechenschaftspflicht. Selbst Großbritannien und die USA, die Ruanda jahrelang gegen jegliche Kritik verteidigt hatten, rückten nun von Kigali ab. Außenministerin Louise Mushikiwabo sagte dazu bei einem Gespräch in Kigali im Februar: „Die Welt der Hilfe ist kein sehr schöner Ort.“ Ruanda hoffe „ungeduldig davon wegzukommen“. Sie ist nicht gut für die Reputation. Afrika werde im Westen ohnehin reduziert auf „Opfer, Mörder oder Bettler“, sagt sie bitter. Bei Ruanda „denken die meisten Leute: Völkermord und Gorillas“. Es sei schwer, internationale Investoren für Ruanda zu interessieren. Die ruandische Botschafterin in Deutschland, Christine Nkulikiyinka, sagte dem Tagesspiegel: „Als kleines Binnenland müssen wir stark auftreten, um überhaupt wahrgenommen zu werden.“

Das mit dem „stark auftreten“ könnten Ruandas Nachbarn nur bestätigen. Außer mit Uganda pflegt das Land eher distanzierte Beziehungen. Präsident Paul Kagame hat als Geheimdienstchef an der Seite des ugandischen Präsidenten Yoweri Museveni in dessen Rebellenarmee gekämpft, die die Herrschaft der Diktaturen Idi Amins und Milton Obotes beendet hat. In Uganda konnte Kagame seine Rebellenarmee, die Ruandische Patriotische Front (RPF) – heute die Regierungspartei – formieren. Von dort begann er seinen Kampf um die Macht in Kigali. Aber mit allen anderen Nachbarn ist das Verhältnis schlecht bis sehr schlecht. Auch in diesem Fall liegt der Grund dafür im Völkermord.

Christine Nkulikiyinka beschreibt die Beziehungen zum Kongo diplomatisch so: „Unser Verhältnis zu der DR Kongo ist sehr komplex.“ Nach dem Völkermord flohen hunderttausende Hutu aus Angst vor Rache ins damals noch Zaire genannte Nachbarland. In ihrem Schutz und dem Schutz der französischen Armee (Opération Turquoise) flohen auch die Völkermörder und die damals von Hutu beherrschte reguläre Armee Ruandas ins Nachbarland. Dort formierte sich die FDLR-Miliz, die bis heute in den beiden Kivu-Provinzen des Ostkongos ihr Unwesen treibt. In den Jahren nach dem Völkermord hat sie mehrfach ruandisches Territorium angegriffen. Die FDLR besteht nach Schätzungen der UN-Mission im Ostkongo, Monusco, aus „ein paar hundert bis zu wenigen tausend“ Milizionären, die tagsüber als Bauern arbeiten, aber jederzeit wieder mobilisierbar sind.

Die Existenz der FDLR ist für Ruandas Sicherheitsempfinden ein Problem. Die Miliz bot Ruanda aber auch mehrfach die Gelegenheit, ihre Armee ins Nachbarland einrücken zu lassen. Ruanda war in beide Kongo-Kriege verwickelt und 2008 haben sich die Regierungen in Kinshasa und Kigali sogar darauf geeinigt, die FDLR, die vor allem für den Ostkongo ein Sicherheitsrisiko ist, gemeinsam zu bekämpfen. Besiegt haben die beiden Armeen die Miliz aber nicht. Im Übrigen sagt die Außenministerin: „Das Verhältnis zum Kongo ist nicht so schlecht, wie es aussieht.“ Sie versuche „fair zum Kongo zu sein als Nachbarn“.

Opposition ist im ruandischen Entwicklungsmodell nicht vorgesehen

Louise Mushikiwabo ist die Außenministerin Ruandas. Mit Blick auf das Ende der zweiten und nach der Verfassung eigentlich auch letzten Amtszeit ihres Chefs, des Präsidenten Paul Kagame, sagt sie: "Es steht größeres auf dem Spiel als die Verfassung." Seitdem die Geberländer 2012/13 erstmals ihre Budgethilfe gekürzt haben, will das Land vor allem eines: unabhängig von den Gebern werden. "Die Welt der Hilfe ist kein sehr schöner Ort."
Louise Mushikiwabo ist die Außenministerin Ruandas. Mit Blick auf das Ende der zweiten und nach der Verfassung eigentlich auch letzten Amtszeit ihres Chefs, des Präsidenten Paul Kagame, sagt sie: "Es steht größeres auf dem Spiel als die Verfassung." Seitdem die Geberländer 2012/13 erstmals ihre Budgethilfe gekürzt haben, will das Land vor allem eines: unabhängig von den Gebern werden. "Die Welt der Hilfe ist kein sehr schöner Ort."

© Thomas Imo/GIZ

Auch zu Tansania ist das Verhältnis getrübt. Im Mai 2013 hatte der tansanische Präsident Jakaya Kikwete vorgeschlagen, Ruanda solle mit der FDLR Friedensverhandlungen führen. Eine Zumutung, die Kagame als „absurd“ zurückwies. Dann warf Tansania rund 3000 Flüchtlingsfamilien aus dem Land, die zum Teil seit 1959 auf der Flucht vor Pogromen gegen Tutsi im Land gelebt hatten. Auch das Verhältnis zu Burundi ist kühl.

Zuletzt hat sich Ruanda mehrfach mit der wichtigsten Regionalmacht Afrikas angelegt: Südafrika. Auf mehrere Abtrünnige aus der RPF, die sich aus Angst um ihr Leben ins Exil abgesetzt hatten, hat es in Südafrika Anschläge gegeben. Zwei Oppositionspolitiker, die aus dem Exil heraus eine Partei gründen wollten, sind ermordet worden. Ruanda streitet jede Verantwortung dafür ab – doch kaum jemand glaubt Kigali.

Für dieses Misstrauen gibt es Gründe. Der UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Versammlungsfreiheit, der Kenianer Maina Kiai, hat im Februar nach einer zehntägigen Reise durch Ruanda einen deprimierenden Bericht über die politische Freiheit vorgelegt. Es gibt sie nicht, ist sein Fazit. „Demonstrationen“ sind in Ruanda Gedenkmärsche oder „Bewusstseinsmärsche“, die von den lokalen Behörden selbst angeregt und oft genug auch organisiert werden. Solche Märsche sind andererseits für viele Ruander auch eine Möglichkeit, Anliegen vor Behördenvertretern vorzubringen, die vorher womöglich an unwilligen Beamten gescheitert sind. Paul Kagame hat dieses Instrument zur Perfektion gebracht. Im Land heißt das geflügelte Wort, wenn etwas nicht funktioniert: „Sag’ es doch Kagame.“ Der Präsident reist immer wieder durch die Provinzen und hört sich die Anliegen der Bewohner an. Dann fragt er öffentlich den verantwortlichen Bürgermeister, warum beispielsweise eine Überlebende kein Haus hat. Und dann hat sie ganz schnell ein Haus. Jeder Bürgermeister hat einen „Leistungsvertrag“ mit Kagame persönlich, in dem er sich verpflichtet, bestimmte Probleme in seinem Bezirk innerhalb eines Jahres zu lösen. Wer versagt, hat keine Chance mehr auf politischen Aufstieg. Wer gut abschneidet, landet ganz schnell in der Regierung. Denn dort wie überall in Ruanda – an Universitäten, Schulen oder in der Wirtschaft – ist das Angebot an Fachleuten begrenzt.

Es dauert zwei Tage, eine Firma zu gründen, aber Monate, um eine NGO aufzumachen

In einem solchen politischen System hat Opposition keine Chance. Und da Kagame sämtliche Parteien bis auf eine in seine Regierung integriert hat, gibt es nach seiner Auffassung auch gar keinen Grund für Opposition. Die Weltbank führt Ruanda in seinem „Doing-Business-Index“ ziemlich weit oben. Es dauere nur zwei Tage, in Ruanda ein Unternehmen zu gründen, lobt die Weltbank. Eine Nicht-Regierungsorganisation (NGO) zu gründen kann Monate oder Jahre dauern, hat Maina Kiai erfahren. Damit konfrontiert, sagt Louise Mushikiwabo, darüber wisse sie nichts, sie habe nur in den USA im Exil eine NGO gegründet. Eine Oppositionspartei zu registrieren kann fünf Jahre dauern. So lange hat die Grüne Demokratische Partei gebraucht, bis sie zugelassen wurde – einen Tag, bevor die Bewerbungsfrist für die Wahlen 2013 endete. 2010 ist der Vize-Parteichef mit durchgeschnittener Kehle nicht weit von der Grenze gefunden worden; der Parteichef selbst saß mehrfach ohne Anklage im Gefängnis.

2017 endet die zweite und nach der Verfassung letzte Amtszeit Kagames als Präsident. Doch im Land hat sich längst die Auffassung durchgesetzt, dass es ohne Kagame nicht gehen wird. Wen immer man fragt, die Antwort heißt: „Wir haben eine gute Regierung.“ Kritik wird auch im Vertrauen nicht geäußert – zu gefährlich. Eine dritte Amtszeit ist also ziemlich wahrscheinlich. Die Botschafterin Christine Nkulikiyinka sagt zu dem Thema: „Das ist eine verfassungsrechtliche Diskussion. Rein menschlich würde ich das unterstützen. Im Moment brauchen wir ihn noch.“ Die Außenministerin sagt dazu: „Es stehen größere Dinge auf dem Spiel als die Verfassung.“ Das Land sei stabil, aber auch fragil.

Die Autorin war im Februar auf Einladung der GIZ in Ruanda.

Wie Täter und Opfer in Ruanda heute zusammenleben, lesen Sie hier: Frieden finden

Wie es 1994 zum Völkermord kam, und was die Welt daraus gelernt hat, lesen Sie hier: Alle 20 Minuten tausend tote Tutsi

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