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Volker Kauder.

© Paul Zinken

Volker Kauder: "Das gibt Deutschland ein neues Gesicht"

"Die Stabilität der Währung ist wichtiger als eine kleine Steuersenkung", sagt Volker Kauder. Der Unions-Fraktionschef spricht im Interview über die Energiewende, den Euro und die umgebaute FDP.

Wenn Sie sich mal selbst prüfen – sind Sie mehr Dynamiker oder Schlafmütze?

Dynamiker natürlich. Außerdem bin ich Frühaufsteher.

Dann sind Sie auf Horst Seehofers neuester Charakterskala einer, der sich auf einen Atomausstieg bis 2022 festlegen muss.

Das ist eine interessante Verknüpfung. Aber zur Sache: Ich kann nur raten, dass wir in den Beratungen über das neue Energiekonzept nach wie vor keine Vorfestlegungen treffen. Zunächst muss sich die Ethikkommission äußern. Sie wird dies Ende Mai tun. Es ist doch keine Art, eine Kommission einzusetzen, sie um einen Bericht zu bitten, aber schon vorher zu erklären, was man machen wird! Das ist jedenfalls nicht mein Stil.

In der Politik gilt Entscheidungsfreude doch eigentlich als Tugend.

Hektische Entscheidungen helfen dem Land jedenfalls nicht. Die Bürgerinnen und Bürger wollen ein Energiekonzept, das für Jahrzehnte trägt. Sie wollen nach dem Reaktorunfall von Fukushima eine überzeugende Antwort. Über die grundlegende Richtung herrscht dabei schon große Einigkeit: Wir müssen schneller raus aus der Kernenergie, als wir das in unserem ursprünglichen Energiekonzept vorgesehen haben. Und wir müssen mit großer Anstrengung noch schneller rein in die erneuerbaren Energien. Aber wie der Weg genau aussieht, das sollten wir erst festlegen, wenn das Ergebnis der Ethikkommission vorliegt.

In Ihrer eigenen Partei gehen viele den Weg nicht mit, viele sagen: Wir haben hier keine Tsunamis, was soll die Panik?!

Das Problem ist ja nicht allein, dass es in Fukushima Erdbeben gegeben hat und einen Tsunami. Niederschmetternd ist auch, dass wir erleben mussten, wie hilflos die High-Tech-Nation Japan danach reagierte. Die Fachleute haben die Reaktoren bis heute nicht völlig im Griff. Der Mensch ist offenbar nicht in der Lage, solche Katastrophen einzudämmen.

Als Grüner würde ich sagen: Herr Kauder, das ist schön, dass Sie durch Fukushima klug geworden sind – so klug sind wir seit Jahrzehnten.

Dann sage ich: Mag sein, aber auch Sie werden Bereiche haben, wo Sie noch dazulernen können. Gerade in der Politik muss man sich immer wieder der veränderten Wirklichkeit stellen. Politik beginnt mit dem Betrachten der Realität.

Warum sagen Sie nicht einfach: Wir haben uns geirrt?

Vor einem halben Jahr, als wir die Entscheidung für die Laufzeitverlängerung getroffen habe, waren wir der Überzeugung, dass die Atomkraft beherrschbar ist. Wir haben uns dabei auch auf das Urteil von Experten verlassen. Durch Fukushima haben wir gelernt, dass das so nicht stimmt. Allerdings behauptet auch heute niemand, dass die Energieerzeugung aus Kernkraft überhaupt nicht mehr zu verantworten wäre. Dann müssten wir sofort alle Reaktoren abschalten. Auch Grüne und SPD sind der Ansicht, dass wir für etwa ein Jahrzehnt die Kernkraft noch brauchen. Also, wir haben alle miteinander Grund zu sagen: Die Technologie hat ein Risiko, das nicht zu 100 Prozent beherrschbar ist, deshalb sollten wir so bald wie möglich aussteigen. Es bleibt daher im Prinzip bei unserem Energiekonzept, es muss nur mit der Energiewende noch schneller gehen.

Wirtschaftspolitiker in Union und FDP sind skeptisch, dass das funktioniert. CSU- Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt schlägt eine Revisionsklausel vor.

Es geht nicht so sehr um eine ‚Revisionsklausel’, sondern um etwas anderes: Die Kollegin Hasselfeldt hat in der Koalitionsarbeitsgruppe gesagt, dass wir die Regierung auffordern wollen, einen jährlichen Erfahrungsbericht über die Umsetzung der Energiewende vorzulegen. Das ist auch richtig.

Und wenn die Erfahrung zeigt: Wir schaffen das nicht so schnell?

Dann muss noch mehr auf die Tube gedrückt werden.

Oder auf die Bremse?

Nein, das ist ausdrücklich nicht vorgesehen.

Wirklich kein Hintertürchen?

Nein, wir meinen es ernst mit unserem neuen Energiekonzept. Wir müssen uns freilich anstrengen: Vor allem müssen die Windenergie und das Stromnetz rasch ausgebaut werden. Dazu brauchen wir beschleunigte Planungen, die aber auch die Bürger mitnehmen. Wir benötigen bessere Stromspeicher sowie vieles andere – und alles muss bezahlbar bleiben. Insgesamt ist das eine der größten Herausforderungen in der deutschen Nachkriegsgeschichte. Aber die Mühe wird sich lohnen. Unser neues Energiekonzept wird das Potenzial haben, Modell für andere zu sein. Es kann ein Exportschlager werden. Die Japaner interessieren sich dafür – und auch die Chinesen sagen: Wir sind gespannt, ob es den Deutschen gelingt, den uralten Menschheitstraum einer Energieerzeugung aus nie versiegenden Quellen zu erfüllen. Das alles wird Deutschland ein neues Gesicht geben.

Um den Preis, dass die CDU ihr altes Gesicht kaum wiedererkennt. Atompolitik, Wehrpflicht, Steuerpolitik – apropos: Ist die CDU noch für Steuersenkungen?

Wir würden gerne die kalte Progression korrigieren, also dass jede Lohnerhöhung fast von der Steuer weggefressen wird. Aber die Sanierung des Haushalts ist wichtiger. Außerdem müssen wir unsere Währung schützen. Auch das hat Vorrang. Die Stabilität der Währung ist wichtiger als eine kleine Steuersenkung.

Wie lange hält die Union noch eine Stabilisierung von Pleitekandidaten nach der anderen aus?

Wir werden das Notwendige immer machen müssen. Nur für den Fall, dass das jemand vergessen haben sollte: Der Euro ist unsere Währung. Die dürfen wir nicht aufs Spiel setzen.

Wissen das alle in Union und FDP – kriegen Sie Ihre eigenen Truppen geschlossen hinter sich?

Natürlich gibt es Diskussionen und Fragen. Allerdings kann mir niemand überzeugend darlegen, dass ein anderer Weg zu weniger Risiken und zu besseren Ergebnissen führen würde. Im Gegenteil: Wenn Griechenland beispielsweise aus der Eurozone austreten und die Drachme wieder einführen würde, dann würden alle Griechen erst mal ihre Euros von den Banken abheben – mit fatalen Folgen. Zu mir sagen jetzt einige: Dann muss man im Geheimen Drachmen drucken und die Umstellung auf einen Schlag vornehmen. Aber das glaubt doch keiner, dass man so eine Aktion geheim halten könnte! Das sind alles Hirngespinste.

Muss der Bundestag jedes Mal neu befragt werden, bevor der Euro-Schutzmechanismus ausgelöst wird?

Das Verfassungsgericht hat klare Vorgaben zu den Rechten des Parlaments in Europafragen gemacht. Über die Ausgestaltung wird zu sprechen sein. Aber bei grundlegenden Entscheidungen sollte der ganze Bundestag beteiligt werden und nicht nur ein Ausschuss. Dann kann im Übrigen hinterher auch keiner sagen: Ich war nicht dabei.

Bekommt denn die Koalition beim Beschluss über den Euro-Schutzmechanismus eine eigene schwarz-gelbe Mehrheit?

Dafür zu sorgen, ist eine der Aufgaben eines Fraktionsvorsitzenden.

Aber gemeinsam mit Grünen und SPD ist doch die Zustimmung sowieso gesichert.

Diese christlich-liberale Koalition muss schon ihre eigene Handlungsfähigkeit zeigen.

Zumal nach dem Umbruch bei der FDP?

Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir mit der neuen Mannschaft bei der FDP in der zweiten Hälfte der Regierungszeit überzeugend auftreten werden.

Glauben Sie wirklich an eine Renaissance der bürgerlichen Regierung?

In dem Maße, in dem wir in Ruhe und Geschlossenheit unsere Arbeit machen, wird die Zustimmung steigen. Wir müssen als Koalition die notwendigen Entscheidungen treffen, und wir sind dazu auch in der Lage.

Aber ist es denn falsch, dass der neue Atomkurs die prinzipielle Schranke zwischen CDU und Grünen einreißt?

Es ist auf jeden Fall so, dass ein großer Differenzpunkt zwischen CDU und Grünen abgeräumt wäre. Trotzdem bleibt es dabei, dass wir mit der FDP in der Wirtschaftspolitik und auf anderen Gebieten die größere Übereinstimmung haben.

Schwarz-Grün ist kein Hirngespinst mehr?

Schwarz-Grün ist zurzeit ein Hirngespinst, weil wir die FDP als Koalitionspartner haben und keinen anderen brauchen. Und ich werde alles daran setzen, dass wir diese Koalition über die nächste Bundestagswahl hinaus verlängern.

Das Gespräch führten Robert Birnbaum und Stephan Haselberger.

ZUR PERSON

Kauder 1.0 wollte als Angela Merkels Generalsekretär das Land nach Maßgabe des Leipziger CDU-Reformparteitags verändern. Als die Wähler 2005 eher „Nö, danke“ sagten, verstand er ganz kurz die Welt nicht mehr.

Kauder 2.0 fand als Merkels Fraktionschef im roten Gegenüber Peter Struck überraschend einen Freund. Die große Koalition war trotzdem nie sein Ding. Die Parole „Kauder 2.0“ hat er selbst ausgerufen: Er wollte wenigstens in konservativen Herzensfragen seine alte Heimat CDU bewahren.

Kauder 3.0, 4.0 ... sah sich mit Schwarz-Gelb am lang ersehnten Ziel. Im Streit mit Norbert Röttgen über die Atompolitik zwang er dem ungeliebten Umweltminister eine deftige Laufzeitverlängerung auf. Dass dieser Zweikampf ein Fehler war, hat er inzwischen zugegeben. Lernen musste er, dass er auch in der Sache falsch lag. Aber dass der Mensch fehlbar ist, gehört ja zum christlichen Menschenbild. bib

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