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Volker Perthes im Interview: „Das wäre eine sehr unerwartete Eskalation“

Der Politikberater Volker Perthes über die möglichen Attentats-Pläne des Iran, Risiken für den Arabischen Frühling und die Frage, warum Europa sich öffnen muss.

Die US-Regierung wirft dem iranischen Regime vor, einen Anschlag auf den saudischen Botschafter in Washington geplant zu haben. Was halten Sie davon?

Manchmal müssen wir einfach zugeben, dass wir Dinge nicht wissen. Die iranischen Kuds-Brigaden haben eine Geschichte von Terrorismus und Mord, aber bisher gab es dabei keine Anschläge in den USA. Wenn es tatsächlich eine Entscheidung in den höchsten Stellen des Irans gegeben hat, wäre das eine sehr ungewöhnliche und unerwartete Eskalation.

Wer könnte ein Interesse an einer solchen Eskalation haben?

Ich bin bei dieser Frage sehr skeptisch, daraus wird ganz schnell eine Verschwörungstheorie. Es scheint tatsächlich eine iranische Verbindung zu geben, dabei könnte es sich aber auch um Kräfte innerhalb der Revolutionären Brigaden handeln, die auf eigene Rechnung agieren. Es gibt ja Konflikte innerhalb des Systems.

Tobt ein Machtkampf, der Ahmadinedschad gefährlich werden könnte?

Präsident Mahmud Ahmadinedschad wurde nach seiner Wiederwahl von den konservativen Kräften geschwächt. Heute, zwei Jahre vor der nächsten Präsidentschaftswahl, versuchen diverse mehr oder weniger konservative Fraktionen, ihn weiter zu schwächen, damit er nicht mit einem eigenen Kandidaten erfolgreich in die nächste Wahl geht.

Ist der Iran gestärkt oder geschwächt durch den Arabischen Frühling?

Die iranische Regierung glaubt, dass sie gestärkt sei. Sie redet sich Mut zu, da sie nicht übersehen kann, dass die Revolutionäre in Ägypten, Tunesien, in Libyen und selbst im schiitisch dominierten Bahrain keine iranischen Fahnen geschwenkt haben. Wenn sie überhaupt auf andere Länder geschaut haben, dann auf die Türkei. Manche haben auf Europa geschaut, vor allem auf die europäischen Werte wie Demokratie und Rechtsstaat. Es gibt drei Länder mit einem real existierenden Islamismus: den Iran, Saudi-Arabien und die Hamas-Herrschaft im Gaza-Streifen. Keines dieser Modelle ist für die Revolutionäre überzeugend.

Und geopolitisch?

Meiner Ansicht nach gewinnt der Iran nicht durch die Umbrüche in der Region. Im Gegenteil: Teheran könnte viel verlieren – wenn Syrien fällt. Mit dem Sturz von Baschar al Assad würde es seinen einzigen Verbündeten los, und damit auch den direkten Zugang zum Libanon und seinen Hisbollah-Milizen. Das macht das Regime richtig nervös.

Lesen Sie auf Seite 2, welches Risiko Perthes für Syrien sieht.

Wie wahrscheinlich ist denn ein Sturz des Assad-Regimes?

Erstaunlich ist, dass die Demonstranten bei diesem repressiven System schon sieben Monate durchgehalten haben. Der Aufstand ist aber ganz anders als in Ägypten oder Libyen. Es ist ein Abnutzungsaufstand.

Wer nutzt wen ab?

Beide sich gegenseitig. Das Regime kann nicht mehr gewinnen. Das heißt aber nicht, dass die Opposition schon gewonnen hat oder gewinnen kann. Es ist ein Aufstand mit unglaublich hohem Blutverlust und dem Risiko, dass er in einen Bürgerkrieg übergeht. Der Großteil des Sicherheitsapparates steht noch aufseiten des Regimes. Daher wird die Forderung nach Unterstützung von außen lauter.

Muss der Westen mehr tun in der Region?

1989 bei den Umbrüchen in Europa waren wir voller Optimismus. Wir hatten eine positive Vision – die hieß Mitgliedschaft in der EU – und haben viele Ressourcen zur Verfügung gestellt. Heute sind wir uns unsicher, ob wir vor den Umbrüchen in der arabischen Welt Angst haben, oder sie als Chance sehen. Wir erleben einen historischen Wandel, da brauchen wir auch eine historische Antwort.

Wie sollte diese Antwort aussehen?

Die Antwort könnte ein offenes Europa sein, eine neue Form von Nachbarschaft mit intensivem Austausch. Die EU-Kommission versucht, eine neue Politik zu umreißen: besseren Marktzugang, mehr Visa für junge Wissenschaftler, Berufstätige und Aktivisten. Aber da stellen sich die Nationalstaaten oft quer. Wir haben nicht nur wirtschaftliche und geostrategische Interessen in der Region, sondern auch nachbarschaftliche und kulturelle Verbindungen. Wenn hier ein internationaler Akteur ein Projekt haben sollte, dann ist das Europa.

Sind Sie optimistisch bei den Ländern, in denen die Regime bereits gestürzt wurden?

Ich bin historischer Optimist. Wir befinden uns in den ersten fünf Minuten einer historischen Stunde. Dieser Prozess wird uns mindestens eine Dekade, wenn nicht zwei beschäftigen. Er wird blutiger und schwieriger sein als 1989. Aber das, was kommt, ist sicher besser als das, was war.

Auch wenn Islamisten an die Macht kommen?

Die größte Gefahr ist nicht, dass eine islamistische Partei Wahlen gewinnt. Gefährlich wird es, wenn die Menschen in fünf Jahren feststellen, dass sie nun zwar Demokratie haben, aber immer noch keine Jobs. Dann droht der Rückfall in Diktatur, Populismus und Gewalt.

In Ägypten gab es in dieser Woche gewaltsame Zusammenstöße…

Ägypten versinkt weder im Chaos noch im konfessionellen Bürgerkrieg. Es hat immer konfessionelle Auseinandersetzungen in Ägypten gegeben, die aber durch Repression erstickt wurden. Mit der Revolution ist der Deckel weggeflogen, und damit entfalten sich alle Kräfte, auch die üblen. Gleichzeitig ist die Polizei demotiviert und die Armee eigentlich nicht darauf vorbereitet, für innere Sicherheit zu sorgen. Letzte Woche sind einfach Dinge richtig schiefgegangen: Da lagen Nerven blank. Aber dass die Armee oder Teile der Christen diese Konfrontation geplant hätten, ist unsinnig.

Wird in Kairo Ende November gewählt?

Die Regierung muss immer nach oben schielen und schauen, ob der Militärrat einverstanden ist. Gleichzeitig ist sie von der Zustimmung der Demonstranten vom Tahrirplatz abhängig. Das Land braucht aber eine von einem gewählten Parlament legitimierte Regierung. Die Wahlen werden sich daher kaum verschieben lassen.

Volker Perthes leitet die Stiftung Wissenschaft und Politik und berät Bundesregierung und Parlament.

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