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Volkszählung: Was ist der Zensus 2011?

Der Staat will alles wissen: Weltanschauung, Wohnsitz und Nebenjobs. Das Statistische Bundesamt braucht viele Daten. Und holt sie sich auch.

Am 9. Mai startet die Volkszählung. Während Datenschützer die Sammelwut des Staates als Zumutung empfinden, versetzt die Erhebung das Statistische Bundesamt in Wiesbaden in helle Aufregung. Erstmals seit 1987 wird wieder gezählt, wie viele Menschen tatsächlich in Deutschland leben. Etwa jeder zehnte Bewohner wird persönlich in Interviews befragt, die knapp 18 Millionen Wohnungseigentümer sollen schriftlich Auskunft geben. Wer von der Statistikbehörde für den Zensus 2011 ausgewählt wurde, sollte inzwischen benachrichtigt worden sein.

WAS BRINGT DER ZENSUS DEN STATISTIKERN?

Mit dem Zensus soll genau erfasst werden, wie viele Menschen an einem bestimmten Stichtag, dem 9. Mai, in Deutschland leben. Aktuell zählt die Statistik offiziell 81,8 Millionen Bewohner, doch diese Zahl ist vermutlich deutlich zu hoch. Denn die Daten, die bisher genutzt werden, stammen im Westen aus der Volkszählung von 1987 und im Osten aus einer Erhebung von 1981. Die Angaben von damals wurden regelmäßig mit Geburts- und Sterbezahlen, mit Weg-, Zu- und Umzügen verrechnet – dabei schleichen sich über die lange Zeit Fehler ein. Fehler, die es für das Statistische Bundesamt nicht mehr geben darf. Außerdem schreibt eine EU-Verordnung alle zehn Jahre eine Volks- und Wohnungszählung vor, um eine europäische Vergleichbarkeit zu erreichen. Erste Ergebnisse der Befragung in Deutschland, die rund 710 Millionen Euro kosten wird, sollen im November 2012 vorliegen.

WELCHE BEDENKEN GIBT ES?

Das Statistische Bundesamt betont, wie sehr der Zensus 2011 sich von einer traditionellen Volkszählung unterscheidet. 1987 musste noch jeder Einwohner persönliche Angaben machen, diesmal wird nur rund ein Drittel der Bevölkerung befragt. Der Großteil der Daten soll aus kommunalen Melderegistern sowie Registern der Bundesagentur für Arbeit und öffentlicher Arbeitgeber erhoben werden. Wer für die Befragung ausgewählt wird, muss aber auch antworten. Bei Nichtbefolgen drohen Strafen von bis zu 5000 Euro. Allein auf freiwillige Teilnehmer wollen sich die Statistiker in Wiesbaden nicht verlassen, denn das könnte die Ergebnisse verzerren. Gefragt wird unter anderem nach Herkunft, Wohnverhältnissen, Ausbildung und Beruf.

Vor 24 Jahren war die Zählung ein Riesenaufreger. Viele boykottierten sie aus Angst, der Staat würde die Informationen missbrauchen. Auch wenn der Protest diesmal weitestgehend ausblieb, sind Datenschützer auch heute nicht begeistert von der Bestandsaufnahme. Gegner befürchten, Daten könnten personifiziert, weitergegeben und jahrelang gespeichert werden. Die Fragebögen der letzten Volkszählung wurden nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts neu konzipiert, die Karlsruher Richter hatten 1983 in einer Entscheidung unter anderem klargestellt, dass keine anderen Behörden die personenbezogenen Daten nutzen dürfen. Die Gegner 2011 scheiterten mit ihrer Beschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht.

WAS KÖNNEN DIE NEUEN ZAHLEN VERÄNDERN?

Die neue Einwohnerzahl wird als Grundlage für alle zukünftigen Berechnungen genutzt. Die Anzahl von Einwohnern und ihre regionale Verteilung beeinflusst unter anderem den Länderfinanzausgleich und die Einteilung von Wahlkreisen. Je größer eine Kommune ist, desto mehr Steuergeld erhält sie. „Ein fehlender Einwohner kostet eine Stadt im Durchschnitt 2500 Euro im Jahr“, sagt der Wissenschaftler Gert G. Wagner, Vorsitzender der Zensuskommission. Für Städte, die durch die neue Zählung Einwohner verlieren, kann schnell ein Millionenbetrag im Jahr zusammenkommen. Bei der letzten Volkszählung wichen die tatsächlichen Einwohnerzahlen in einzelnen Kommunen um bis zu 30 Prozent nach unten und bis zu 20 Prozent nach oben ab.

„Volkszählungen wirken sich immer auf die Politik aus“, sagt Sabine Bechtold, die das Projekt Zensus 2011 beim Statistischen Bundesamt leitet. Bei der Erhebung 1987 etwa stellten die Statistiker fest, dass die tatsächliche Erwerbstätigenzahl um eine Million höher war. „Das hat Auswirkungen auf die Arbeitsmarktpolitik gehabt“, sagt Bechtold. Die Zahl der Wohnungen sei wiederum vorher um etwa eine Million zu hoch angegeben gewesen. „Danach gab es zahlreiche Wohnungsbauförderprogramme.“

WIE WIRD MIT DEN DATEN UMGEGANGEN?

Die Daten werden in den Rechenzentren der statistischen Ämter eingegeben. Um Hackerangriffe zu verhindern, sind die Rechner nicht mit dem Internet verbunden. Die Mitarbeiter im Statistischen Bundesamt haben außerdem keinen Zugriff auf den kompletten Datensatz, jeder erhält nur einen beschränkten Zugang zu dem Bereich, der für seine Arbeit relevant ist. Nach vier Jahren müssen Name und Geburtsdatum der Befragten gelöscht werden. Im Statistischen Bundesamt geht man aber davon aus, dass die Anonymisierung bereits nach zwei Jahren vorgenommen werden kann. Dass dies auch tatsächlich passiert, überwachen die Datenschutzbeauftragten von Bund und Ländern.

WAS IST DIE AUFGABE DES STATISTISCHEN BUNDESAMTES?

Die 2700 Mitarbeiter der Statistikbehörde – unter ihnen viele Volkswirte und Mathematiker – sammeln und analysieren Daten aus allen Lebensbereichen, die in 390 verschiedenen Statistiken veröffentlicht werden. Der Großteil der Erhebungen befasst sich mit der Wirtschaft (von der Teuerungsrate bis zu den Auftragseingängen der Unternehmen), gefolgt von Daten zur Bevölkerung (Geburten, Sterbefälle) und zu sozialen Fragen (die Versorgung mit Kindergartenplätzen). Wenn die Statistiker ihre amtlichen Zahlen zur Inflation oder zur Konjunktur veröffentlichen, kann das ganz handfeste Auswirkungen haben – etwa auf den Börsenkurs. Aber auch Politiker bedienen sich gerne der Zahlen, um ihre politischen Argumente zu stützen. Die Daten sind für jeden Bürger zugänglich.

WIE LEBEN DIE BEAMTEN MIT IHREM IMAGE ALS „ERBSENZÄHLER“?

Die kindliche Freude, mit der Statistiker den Zensus erwarten, mag Außenstehende erstaunen. Die Datensammlung sei etwas Besonderes, sagt Projektleiterin Bechtold. Derzeit haben Mitarbeiter in allen Abteilungen der Behörde damit zu tun. „Wir fiebern den Ergebnissen schon entgegen“, sagt sie. Besonders gespannt sei sie auf die Bevölkerungszahl. Seit der letzten Erhebung habe es die Wiedervereinigung, Asylbewerberströme und Arbeitnehmerfreizügigkeit gegeben. Die Menschen seien außerdem mobiler geworden. „Ob sie sich bei jedem Umzug korrekt an- und abmelden, ist fraglich.“

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