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Politik: Vom Ärger zur Aggression

PEKING .Im Gesicht des jungen Mannes steht nur noch eines - Wut.

PEKING .Im Gesicht des jungen Mannes steht nur noch eines - Wut.Immer wieder schreit er in sein Megaphon: "Schlagt die amerikanischen Imperialisten!" Hunderte Studenten, die sich vor der amerikanischen Botschaft versammelt haben, brüllen ihm nach.Fäuste werden in die Luft gereckt, Steine fliegen.Eine Lampe im Botschaftsgeländer zerbricht.Ohrenbetäubender Jubel."Kameraden, holen wir die amerikanischen Imperialisten da raus", schreit ein junger Mann im blauen Hemd.Jubelnd stürmt die Masse auf die grün uniformierten Polizisten, die sich vor dem Eingang der Botschaft verbarrikadiert haben.Noch halten die Eisengitter.

Über Nacht ist der Krieg aus dem fernen Europa nach China gekommen.Am Sonnabend verbreitete sich die schreckliche Nachricht, daß Nato-Bomben die chinesische Botschaft in Belgrad zerstört haben.Die Meldung von dem Unfall, bei dem drei chinesische Journalisten getötet und zwei Dutzend Botschaftsangestellte verletzt wurden, entfacht einen Sturm im Land.Noch am selben Tag versammeln sich tausend Demonstranten vor der US-Botschaft in Peking, rufen Haß-Parolen gegen Amerikaner und andere Nato-Staaten.Mit dem Einbruch der Dämmerung schwenkt die Stimmung um.Bis dahin friedliche Pekinger Bürger, die ihrem Ärger Luft machen wollen, verwandeln sich zum Mob.Ausländer werden auf offener Straße angepöbelt, Autos demoliert.In der südwestlichen Stadt Chengdu zünden aufgebrachte Demonstranten das Haus des amerikanischen Generalkonsuls an.

Eine Welle der Wut, des Ärgers und der Aggressionen schwappt über China.Am Sonntag weiten sich die Demonstrationen aus.Mindestens 20 000 aufgebrachte Demonstranten ziehen durch das Pekinger Botschaftsviertel.Es ist der größte Protest seit den Studentenunruhen von 1989.Auch diesmal sind es wieder Studenten, die auf die Straße gehen.Auf Geheiß der Regierung haben sich viele mit ihnen verbündet: Stolz tragen Mitarbeiter der amtlichen Xinhua-Nachrichtenagentur ihr Banner über die Straße."Schlagt die Amerikaner!", rufen sie.Dahinter folgen Abordnungen der großen Zeitungen.Selbst die "Pekinger Hauswirtschaftsschule" ist vertreten."Nieder mit dem amerikanischen Imperialismus", klingen die hohen Stimmen der Mädchen.Viele haben noch kindliche Gesichtszüge.

Mit immer neuen Bussen werden Studenten von den Universitäten im Nordwesten der Stadt in das Botschaftsviertel gekarrt.Sie haben vorbereitete Plakate dabei, einige schwenken das Foto der getöteten Xinhua-Journalistin Shao Yunhuan.Der Protest ist gut organisiert.Durch Megaphone skandieren Studentenführer die Parolen vor, manche lesen sie von Zetteln ab."Kein Blutvergießen!", rufen sie zu Beginn."Wir lieben den Frieden!" Am Sonntag werden die aggressiven Töne immer lauter."Nieder mit den amerikanischen Kriegstreibern", brüllt eine Gruppe der "Peking Normal Universität" vor einem Kaufhaus.Viele haben sich das "Target"-Symbol der Belgrader Jugend, eine schwarze Zielscheibe, aus dem Internet kopiert und an die Brust geheftet.

"Wie kann die Nato es wagen, unsere Botschaft zu zerstören", schimpft Huang, ein junger Mann mit einem Pickel auf der Nase und Nike-Turnschuhen."Bisher mochte ich Amerika.Aber jetzt fühle ich nur noch Haß." Der Wirtschaftsstudent ist mit seinen Kommilitonen mit der U-Bahn aus dem Haidian-Universitätsviertel in die Innenstadt gefahren.Über den Konflikt im Kosovo, die ethnischen Säuberungen durch die Serben und die Massenmorde hat Huang nur Gerüchte gehört.Es interessiert ihn nicht - nicht jetzt und nicht an diesem Ort."Die Amerikaner haben die Bomben absichtlich auf uns geworfen", erzählt er aufgebracht."Und Clinton hat sich nicht entschuldigt."

Erst sind es einige hundert, die sich am Sonntag im Botschaftsviertel versammeln.Dann sind es Tausende, Zehntausende, die vorbei über abgesperrte sechsspurige Straßen in Richtung der US-Botschaft marschieren.Dort angekommen ziehen sie in einem Kreis um die braunen Steinmauern der Vertretung.Seit zwei Tagen konzentriert sich hier der Protest.Viele Fensterscheiben an der Botschaft sind eingeschlagen.Entlang eines Eisengitters haben die Demonstranten unzählige Plakate und Banner befestigt.Auf den meisten finden sich Haßparolen: "Nazi Amerikaner", "Hängt Bill Clinton", "Nieder mit den Nato-Imperialisten", steht in dicken Schriftzeichen geschrieben.

Einige der Demonstranten lassen sich von der aggressiven Stimmung anstecken.Sonnabend nacht kommt es zu ersten Übergriffen gegen Ausländer, Rempeleien, Handgemenge.Die Menge grölt Beifall.Obwohl die Polizei mit mehreren Hundertschaften das Botschaftsviertel absichert, greifen die Beamten oft nicht ein.Die amerikanische Botschaft fordert ihre Bürger auf, bis auf weiteres "zu Hause zu bleiben".Der Korrespondentin des US-Nachrichtensenders CNN wird wenig später von aufgebrachten Demonstranten die Brille aus dem Gesicht geschlagen.Auch Bürger anderer Nato-Staaten werden angepöbelt."Ich wurde mehrmals als Nazi beschimpft", berichtet eine deutsche Geschäftsfrau.Vor der deutschen Botschaft bleibt es zunächst ruhig.

Ein Ausdruck der "Wut des chinesischen Volkes" seien die Proteste, heißt es am Abend in einer im Staatsfernsehen verlesenen Stellungnahme der Regierung.Doch der angeblich spontane Protest wird von der Pekinger Führung nicht nur geduldet, er war auch geplant.Bereits wenige Stunden nachdem die Zerstörung der Belgrader Botschaft bekannt wurde, tauchten die ersten Studenten in Bussen vor der US-Botschaft auf.Zum ersten Mal überhaupt seit Jahren wurde wieder ein öffentlicher Protest von Studenten genehmigt.Als die ersten Steine flogen, griff die Polizei nicht ein, einige Beamte ermunterten die aufgebrachten Jugendlichen sogar.Die Zielrichtung war klar: Die Abendnachrichten machten den Protest zur Top-Story.25 Minuten der Halbstunden-Sendung berichtete der Staatssender CCTV in aufpeitschendem Ton.In der Nacht kam es zu den ersten schweren Ausschreitungen.

Den Kurs, wie China auf den Fehler der Nato reagieren sollte, hatte die Regierung bereits am Sonnabend vorgegeben: Ein "barbarischer Akt" sei der Angriff, donnerte das chinesische Außenministerium.Bis zum Sonntag gießen die Medien weiter Öl ins Feuer.In emotionalen Live-Schaltungen berichtet CCTV von den "patriotischen Protesten der Studenten".Aus den gleichgeschalteten Zeitungen geht am Sonntag ein Gewitter der Entrüstung über China hinab.Die Nato habe die "Souveränität Chinas brutal mit Füßen getreten", schimpft die Volkszeitung.Die "Qingnian Bao" (Jugendzeitung) druckt auf der Titelseite einen großen Fotoreport der drei in Belgrad getöteten chinesischen Journalisten.Im Mittelpunkt der emotionalen Berichte steht immer wieder die Xinhua-Korrespondentin Shao Yunhuan."Sie war eine Frau, die leicht Freunde gewann", heißt es reißerisch.Das Volk soll auf die Straße getrieben werden.Ausdrücklich erwähnen alle Zeitungen, daß die Demonstrationen in Peking von der Stadtregierung genehmigt seien.In dem autoritären chinesischen System, das jede Zeitung bis aufs Wort von Zensoren überwachen läßt, ist das ein Aufruf, auf die Straße zu gehen.

Offensichtlich kochen viele an diesem Wochenende ihre Suppe mit.Immer wieder tauchen zwischen den Studenten Gruppen von älteren Männern auf, die gegen den "westlichen Kapitalismus" wettern.In Anspielung auf die ständige Kritik aus dem Westen sprechen viele zynisch von einer "Menschenrechtsverletzung"."Die Amerikaner spielen sich als Weltpolizei auf, und jetzt schmeißen sie einfach Bomben auf uns", sagt der Geschäftsmann Zhao."Ein Angriff" sei das doch, erklärt der 40jährige und fügt schmissig hinzu: "Wir sollten uns verteidigen - mit Waffen." Es ist der jahrelang von der kommunistischen Führung geschürte chinesische Nationalismus, der an diesem Wochenende am deutlichsten hervortritt.

Am Nachmittag beginnen Mitarbeiter einer McDonalds-Filiale im Botschaftsviertel, das Restaurant mit einem Eisengitter zu verschließen.Auch andere US-Geschäfte machen lange vor Anbruch der Dunkelheit ihre Läden dicht.Zur "Sicherheit der Gäste", sagt ein Angestellter.Im Hintergrund hört man die grölenden Gesänge der Demonstranten."Im Moment richtet sich die Wut auf alles, was aus dem Westen kommt."

HARALD MAASS

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