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Vom Kontra zum Pro: Die seltsame Wandlung der Hannelore Kraft

Sie gilt als harte Lady der SPD, als Zukunft der Partei: Klug, erdverbunden, nervenstark. Eine Frau mithin, die den Männern an der Spitze der SPD zeigen wird, wie man Wahlen gewinnt und Politik macht. Bei den Sondierungsgesprächen mit der Union überraschte sie durch ihre Wandlungsfähigkeit.

Von Antje Sirleschtov

Hannelore Kraft, seit Juli 2010 Ministerpräsidentin in Nordrhein-Westfalen, SPD-Vizechefin, ist eine Frau, an der kein Genosse vorbeikommt. Und die seit der verlorenen Bundestagswahl aus Düsseldorf laut und beinhart gegen eine große Koalition gekämpft hat: „Wir sind nicht die Mehrheitsbeschaffer der Union“ und „Opposition ist keine Schande“.

Am Donnerstag ist Frau Kraft umgefallen. Irgendwann am Nachmittag. Wann und warum? Niemand weiß das so ganz genau. Nur so viel: Als Sigmar Gabriel am Nachmittag mit seinem Verhandlungsteam nach dem Sechs-Augen-Gespräch mit Angela Merkel (CDU) und Horst Seehofer (CSU) zusammenkam und für Koalitionsverhandlungen mit der Union warb, da war es zur Überraschung der Anwesenden ausgerechnet Hannelore Kraft, die ihm am kräftigsten beipflichtete. Jetzt müsse man offensiv für diese Lösung in der Mitgliedschaft werben, soll Kraft argumentiert und sich sogleich angeboten haben, diesen Werbefeldzug anzuführen. Was am Abend dann ja auch prompt geschah: Von „Grundpfeilern, die ein sicheres Fundament“ bilden können, berichtete sie den überraschten Zuschauern des ZDF „Heute-Journal“ und davon, dass sie nun „einen Weg“ erkenne, auf dem man mit CDU und CSU „das Leben der Menschen verbessern kann“, was ja schließlich seit 150 Jahren die Aufgabe der SPD sei. Nur eine Frage konnte Frau Kraft nicht beantworten. Nämlich die nach dem Grund ihres plötzlichen Sinneswandels. Schließlich hatte sie Tage zuvor noch „starke Bedenken“ gegen eine Verbindung mit der Union. Und nun auf einmal anders herum?

Als Glanzstück eigener politischer Urteilskraft wird Hannelore Kraft die Kehrtwende von Berlin gewiss nicht in Erinnerung behalten. Zwar entsprach es zunächst exakt ihrer bekannten Rolle der mütterlichen Kümmererin mit großer Nähe zum Volk, einer gemeinsamen Koalition mit der Union kurz nach der Bundestagswahl eine klare Absage zu erteilen. Denn so war die Stimmungslage an der Parteibasis. Nachdem man monatelang erbittert gegen Merkels Union gekämpft hatte, war für die meisten ein Regierungsbündnis mit „den Schwarzen“ unvorstellbar. Die 1961 in Mülheim an der Ruhr geborene Hannelore Kraft war also nah am Puls der Zeit und sie verstand es, diesen Eindruck noch zu betonen.

Unvergessen in diesem Zusammenhang ihr Krach mit CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt zu Wochenbeginn. Niemand zweifelte: Diese Frau verkörpert die Aversion der ganzen SPD gegen die Union.

Was sie unterschätzt hat: Nicht nur im politischen Berlin, sondern auch in weiten Kreisen der Sozialdemokratie wächst bereits seit längerem die Einsicht, dass an der großen Koalition kaum ein Weg vorbei führt und sich die SPD der Verantwortung für’s Regieren stellen muss.

Spätestens nach der Koalitionsabsage der Grünen am Mittwochabend war klar, dass die SPD in der Pflicht sein und Hannelore Kraft mit ihrem kritischen Kurs ganz allein dastehen würde. Wollte sie das verhindern, musste die Nordrhein- Westfälin ins Berliner Spielfeld zurück. Und das am besten in der Rolle derjenigen, die nun an vorderster Front die Genossen von der Richtigkeit dessen überzeugt, was sie noch vor drei Wochen als grundfalsch erkannte.

In der SPD-Spitze sehen sie die plötzliche Verwandlung ihrer Hannelore mit spöttischem Wohlwollen. „Nun“, heißt es in der Partei, „haben auch wir unsere Angela Merkel“.

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