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Politik: Vom Mix bleibt – nix

STEUERREFORM

Von Antje Sirleschtov

In Neuhardenberg war noch Mut. Da zählte noch die Agenda 2010, das Sanierungskonzept der Regierung für das kranke Deutschland. Und die Finanzierungspläne von Gerhard Schröder für die Steuersenkungen im nächsten Jahr wurden gelobt: ein Mix aus Subventionsabbau, Privatisierung und Neuverschuldung. Weil der Kanzler die Steuern ein Jahr früher als geplant senken und den Menschen damit mehr von dem Geld lassen wollte, das sie erarbeitet haben. Eine Initialzündung sollte das sein, die Deutschland und am Ende Europa aus der jahrelangen Konjunkturflaute hilft.

Mehr Konsum, das würde zu mehr Investitionen führen, zu mehr Arbeitsplätzen, ja sogar zu mehr Einnahmen in den Kranken und Rentenkassen. Die könnten dann die Beiträge senken. Auch die Pläne des Kanzlers, den Staat über höhere Schulden an diesem Wachstumsprogramm zu beteiligen, klangen erst einmal plausibel. Schließlich sollte es „nur ein Rest“ sein, mit dem sich der größte Investor in Deutschland verschuldet, um seine Rolle als Wachstumslokomotive wahrzunehmen.

Doch heute scheint das lange, lange her zu sein. Glaubt man dem, was aus den Verhandlungen der Gesundheitspolitiker von Regierung und Opposition herausdringt, wird es statt einer durchgreifenden Strukturreform nur ein Sparpaket zu Lasten der Versicherten geben. Und vom versprochenen Mix aus Subventionsabbau, Privatisierung und Neuverschuldung, mit dem der Kanzler die milliardengroßen Haushaltslöcher bei Bund, Ländern und Kommunen schließen wollte – vom Mix bleibt: nix. Fünf von sieben Milliarden Euro, die 2004 allein im Bundeshaushalt fehlen werden, will die Regierung über neue Schulden finanzieren. Die restlichen zwei Milliarden wird sich der Finanzminister auch borgen müssen. Bei seiner Hausbank, der Kreditanstalt für Wiederaufbau, bei der Telekom- und Postaktien „geparkt“ werden.

Das Signal von Rot-Grün – vier Monate nach der Regierungserklärung des Kanzlers zur Agenda 2010 und vier Wochen nach Neuhardenberg – heißt nicht mehr Aufbruch und auch nicht mehr Umbau. Kein weiterer Subventionsabbau, keine weiteren Einsparungen in den Haushalten, nur noch neue Schulden zur Finanzierung der Steuerreform. Traut sich die Regierung nichts mehr zu? Sie setzt nur noch auf Hoffnung. Darauf, dass irgendwoher ein Konjunkturschub kommt. Dass der Staat wieder mehr Geld einnimmt, mit dem sich die gravierenden Strukturprobleme in den Haushalten und Versicherungssystemen, die allesamt bekannt sind, zukleistern lassen. Dass man Gerhard Schröder dann als den Regierungschef feiern wird, der Europa aus der Stagnation geholt und vor der Deflation bewahrt hat. Und dass dieser Aufschwung die jungen Menschen vergessen lässt, was ihnen Finanzminister Hans Eichel noch vor ein paar Monaten vorausgesagt hat: Dass nämlich sie diejenigen sein werden, die in ein paar Jahren mit höheren Steuern dafür bezahlen werden, wenn es jetzt nicht gelingt, die Staatsverschuldung zu drosseln.

Diese Hoffnung soll sich erfüllen? Das ist wenig wahrscheinlich. Schon jetzt rechnen die Menschen sehr genau aus, wie viel Geld ihnen im nächsten Januar von der Senkung der Steuersätze bleibt. Und sie ziehen davon all die Beträge ab, die ihnen nicht nur die Bundesregierung mit der Kürzung der Pendlerpauschale oder den drohenden Zuzahlungen für Krankengeld und Zahnersatzversicherungen wieder abzieht. Sie kalkulieren auch ein, was ihnen wegen der Finanzknappheit in den Ländern und Kommunen an Mehrausgaben droht. Für die Betreuung ihrer Kinder in den Kindergärten, die Beschaffung von Schulbüchern oder Gebühren für Wasser und Müll. Und am Ende stellen nicht wenige von ihnen fest: Das ganze ist ein Nullsummenspiel. Es wird besser sein, das Geld zu sparen, als es jetzt für neue Autos oder Waschmaschinen auszugeben.

Zumal noch niemand absehen kann, wie das ganz und gar unübersichtlich gewordene Spiel um Reformen und Steuern am Jahresende ausgehen wird. Zwischen einer Opposition, der man immer weniger abnimmt, dass sie sich für die Zukunft des Landes mitverantwortlich fühlt. Und einer Regierung, die sich nach einem mutigen Frühling in diesem Sommer klammheimlich aus der Verantwortung stiehlt.

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