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Politik: Vom Rand in die Mitte

Estlands künftiger EU-Kommissar Kallas über die Sorgen kleiner Länder und das deutsche Defizit

Sein Land ist eines der kleinsten EU-Beitrittsländer – doch die Europäische Union kann durchaus von Estland lernen, glaubt der künftige estnische EU-Kommissar Siim Kallas. Schließlich hat das baltische Land nach dem Ende der Sowjetunion beim Übergang zur Marktwirtschaft ein hohes Reformtempo vorgelegt. „Estland versucht zumindest, in die EU mehr Dynamik und marktwirtschaftliche Orientierung einzubringen“, sagte Kallas im Gespräch mit dem Tagesspiegel. Der Beitritt der Osteuropäer könnte der ganzen EU am Ende ein höheres Wachstum bringen, glaubt der Wirtschaftswissenschaftler, der bereits Premier, Außen- und Finanzminister seines Landes war.

Dass Estland von den Großen in Europa an den Rand gedrängt werden könnte, fürchtet Kallas nicht. Schließlich müssten die Staats- und Regierungschefs derzeit meist zu einem Konsens finden – eine Möglichkeit für die Kleinen, ihre Interessen anzumelden. Natürlich dürften sie diesen Hebel auch nicht missbrauchen, mahnte der Ex-Premier.

Auf der anderen Seite warnte er davor, die kleinen Länder zu unterschätzen und ihre Sorgen nicht ernst zu nehmen. „Wenn sie sich übergangen fühlen, kann das für die EU extrem gefährlich werden.“ Kallas verwies auf die Länder, die sich strikt an die Regeln halten und „ganz und gar europäisch“ seien – Finnland beispielsweise. „Wenn ein solches Land nun den Eindruck bekommt, dass es von Entscheidungen ausgeschlossen wird, kann das zu Spannungen führen, die an Europas Substanz gehen.“ Da ist es nur folgerichtig, dass Kallas jedem EU-Land einen Kommissar mit Stimmrecht zugestehen will. Eine große Kommission muss aus seiner Sicht keineswegs mehr Bürokratie bedeuten. Im Gegenteil: Wenn die Kommission kleiner sei, würden mehr Entscheidungen auf die Beamtenebene verlagert.

Nach der EU-Erweiterung am 1. Mai erhalten die zehn neuen Kommissare zunächst kein eigenes Ressort, sondern arbeiten an der Seite eines „Mentors“ aus der bisherigen Kommission. Kallas, der als Präsident der Bank von Estland 1992 die Krone eingeführt hatte und für deren Konsolidierung verantwortlich war, wird an der Seite des Währungskommissars Pedro Solbes arbeiten. Kein Verständnis hat er dafür, dass Deutschland und Frankreich das Defizitkriterium des Stabilitätspaktes in Frage stellen. Die Anforderungen seien nun wirklich nicht hoch, findet der Finanzexperte: „Drei Prozent Defizit – das ist schon sehr viel.“ Wenn das deutsche Defizit noch über mehrere Jahre bestehen bleibe, werde das Vertrauen in den Euro untergraben. Direkt sagt Kallas es nicht – aber auch hier gilt sein Land als fortschrittlich: Estland hatte im vergangenen Jahr sogar einen Haushaltsüberschuss.

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