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Politik: Vom Sinn des Überflüssigen

20 JAHRE HANDY

Von Hellmuth Karasek

Zu den Legenden über das Handy gehört auch die Geschichte von Osama bin Ladens Flucht am Ende des AfghanistanKrieges: Die Amerikaner hatten angeblich sein Handy geortet und die entsprechende Höhle mit Bomben bepflastert. Der schlaue Terrorführer jedoch hatte sein Mobiltelefon einem anderen gegeben und konnte so entwischen.

Wahr ist an dieser Geschichte, dass man mehrere Terroristen gefasst und einige ihrer Anschläge verhindert hat, indem man die Handys aufspürte, von denen Planungen und Parolen ausgegeben worden waren. Wahr ist aber auch, dass es die Täter vorher durch das Handy leichter, viel leichter hatten, ihre Aktionen auszuhecken und zu verwirklichen.

Das Handy also wird zwanzig Jahre alt. Aufseufzend kann man mit der Terroristengeschichte die banale Erkenntnis belegen, dass Fluch und Segen, Sinn und Unsinn beim Handy wie bei jeder neuen Erfindung dicht beieinander liegen. Wieder ein Fall für Goethes „Zauberlehrling“. Denn unweigerlich fällt einem angesichts einer auf Straßen, Plätzen, Flughäfen, in Restaurants, Konzerten, Gottesdiensten mit dem Handy herumtelefonierenden Menschheit ein: „Die ich rief die Geister, werd ich nun nicht los“. Was, so fragt man sich angesichts dieser mobilen Telefonitis, die uns Deutsche inzwischen genauso heftig erfasst hat wie gleich am Anfang die Japaner und Italiener, haben die armen Menschen früher gemacht – in der Fernsprech-Steinzeit, bevor in Deutschland das erste Handy erfunden wurde, das wegen seiner Unförmigkeit mit Recht „Knochen“ genannt wurde?

Da darf man dem Schriftsteller Robert Musil beipflichten, der gesagt hat, dass beim technischen Fortschritt – zu dem die Erfindung des Handys zweifelsfrei gehört – immer nur ein Bein fortschreite, während das andere zurückhinkt. Früher, so Musil, seien die Postverbindungen langsamer gewesen – dafür aber habe man bessere Briefe geschrieben. Wer je – was unvermeidlich geworden ist – fremdem Handy-Gebrabbel zuhören musste, oder sich selber aus Versehen beim Mobiltelefonieren zugehört hat, weiß, wie viel besser Gespräche und Telefongespräche vor der Zeit der schnurlosen Telefone waren, die immer kleiner, zierlicher und funktionsreicher werden. Wer die SMS-Sucht der heutigen Teenies und Twens aller Altersstufen beobachtet, den pausenlosen Austausch von Messages, der sehnt sich zurück nach einem Brief, ja selbst nach einer Ansichtskarte vom Vesuv.

Doch sollte niemand auf kulturpessimistische Art jammern und sich nach einem „Früher“ zurücksehnen, als man sich noch mit Rauchzeichen, dem Morsealphabet oder dem weißen Telefon an langer Schnur fernverständigte. Denn im Notfall, beim Unfall, beim schnellen Schnäppchen, der spontanen Bestellung und der heftigen Liebe ist das Handy unentbehrlich geworden.

Es ist freilich so überflüssig wie das meiste, was zu unserem modernen Luxus und Komfort erfunden wurde. Denn, Hand aufs Herz!, brauchen wir das Handy nicht ebenso dringend wie die Klimaanlage oder den Bordcomputer im Auto, den Wäschetrockner, die elektrische Munddusche, den Taschenrechner, die Champions League auf Premiere, die DVD und die E-Mail? Das Leben wäre ohne all diese Dinge nicht ärmer – aber undenkbar.

Was einmal erfunden wurde, kann nicht mehr zurückgenommen werden, konstatierte Friedrich Dürrenmatt. Er meinte, mit Erschrecken, die Atombombe. Es gilt aber, glücklicherweise, auch für das Handy.

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