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Politik: Vom Thema zur Talkshow

Von Wolfgang Schäuble

Antje Vollmer bleibt skeptisch gegenüber dem TVFormat „Untersuchungsausschuss“. Das Parlament als Event sei kein wirklicher Fortschritt – auch nicht in Fragen der Wahrheitsfindung. Das war wohl auch nicht das Anliegen der rot-grünen Verteidigungsstrategie, die eine Liveübertragung der Ausschusssitzung mit dem Außenminister forderte. Eher war es wohl das Kalkül, dass der mediale Overkill anschließend zu einem Abflauen des Interesses der Öffentlichkeit für den weiteren Verlauf der Affäre führen werde. Ob die Rechnung aufgeht?

Seit geraumer Zeit ist zu beobachten, dass der Wettbewerb um das knappe Gut Aufmerksamkeit immer härter wird mit der Folge, dass die aktuellen Nachrichten sich immer stärker auf jeweils ein Thema konzentrieren und mit der weiteren Folge schnelleren Wechsels bei den Gegenständen öffentlicher Erregung. Monotonie und Ermüdung hängen irgendwie miteinander zusammen. Die Volatilität medialer Schwerpunktsetzung schürt die Versuchung, durch Inszenierung Agenda-Setting zu betreiben. Münteferings Kapitalismuskritik ist so ein Beispiel. Niemand bestreitet, dass es Fehlverhalten von Managern und fragwürdige Auswüchse im Wettbewerb von Investoren und Finanzmärkten gibt. Niemand kann auch bestreiten, dass die rot-grüne Bundesregierung selbst mit ihrer Steuer- und Haushaltspolitik seit Jahren genau diese Entwicklung maßgeblich gefördert hat. „Der Genosse der Bosse“ war ja kein von der Opposition für den Bundeskanzler erfundenes Schimpfwort.

Aber die Ursachen unserer Probleme – viel zu hohe Arbeitslosigkeit und zu geringes Wirtschaftswachstum, mangelnde Wettbewerbsfähigkeit und fragiler werdende soziale Sicherheit – sind nicht im Fehlverhalten einzelner Manager zu finden. Dass Markt und Wettbewerb für Wohlstand und soziale Sicherheit der Menschen bessere Ergebnisse liefern als jede zentralistische Bürokratie, kann man gerade in Deutschland nach dem Vergleich von sozialer Marktwirtschaft und real existierendem Sozialismus kaum noch bestreiten. Dass sich die Effizienz des Wettbewerbs mit sozialer Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit verbinden lässt, das gerade hat unsere soziale Marktwirtschaft zum weltweit bewunderten Erfolgsmodell gemacht.

Übermaß schadet immer, und zurzeit haben wir die Balance verloren, indem wir nicht mehr hinreichend wettbewerbsfähig sind mit der Folge, dass wir Schlusslicht im Wirtschaftswachstum aller 25 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union sind und im Pro-Kopf-Einkommen der Bevölkerung allenfalls noch Mittelmaß. Aber um all das geht es bei der Kampagne nicht, vielmehr soll sie genau davon ablenken. Folgerichtig macht Müntefering auch keinen einzigen konkreten Lösungsvorschlag. Mit dem medialen Ertrag seiner Inszenierung wird er vorläufig zufrieden sein. Eine Talkshow jagt die andere. Mehr Arbeitsplätze und Investitionen bekommen wir dadurch leider nicht, eher ist das Gegenteil zu befürchten.

Der Autor ist CDU-Präsidiumsmitglied

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