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Politik: Vom Westen vernachlässigt

Das Taliban-Regime ist am Ende. Der Staat der Gotteskrieger existiert nicht mehr.

Das Taliban-Regime ist am Ende. Der Staat der Gotteskrieger existiert nicht mehr. In wenigen Tagen soll unter der Führung des designierten Ministerpräsidenten Hamid Karsai eine Übergangsregierung ihre Arbeit aufnehmen. Eines scheint aber schon jetzt sicher: Afghanistan wird ein Land, in dem islamische Machthaber weiterhin das Sagen haben werden. Sie legen zwar die Scharia nicht ganz so rigide und Menschen verachtend aus wie die Taliban. Doch mit einer Demokratie nach westlichem Vorbild und den entsprechenden Freiheitsrechten auch für Frauen haben ihre Vorstellungen von einem Staat wohl nicht viel zu tun.

Dabei gibt es nach Auffassung des Afghanistan-Experten Michael Pohly in dem Land am Hindukusch durchaus ein nicht unbedeutendes Netzwerk von demokratisch gesinnten Kräften. "Das Tragische ist nur, dass sie keine nennenswerte Unterstützung vom Westen erhalten", klagt der Dozent für Iranistik an der Freien Universität Berlin. Dabei sei die Bereitschaft der Bevölkerung, über Freiheit, Unabhängigkeit und Demokratie zu reden, noch nie so groß gewesen wie im Moment. "Wohin Islamismus, Kommunismus und Monarchie geführt haben, das haben die Menschen am eigenen Leibe erfahren."

Die demokratischen Gruppen, deren geistige Ursprünge bis in die 20er Jahre zurückreichen, haben sich mehrmals in den vergangenen Monaten getroffen und Ratsversammlungen (Schuras) sowie Treffen auf Stammesebene (Jirgas) abgehalten. Die Bewegung hat sich sogar einen eigenen Namen gegeben: Union der freiheitsliebenden Kämpfer Afghanistans. Dieser Bund besteht laut Pohly aus verschiedenen Ethnien, sozialen, religiösen und politischen Gruppen. Trotz aller Unterschiede sei man sich darüber einig, dass das Land nicht wie bisher von außen beeinflusst werden darf.

Übereinstimmung herrscht laut Pohly auch über die Rolle des Islam. Als Kultur ist die Religion aus dem Land nicht wegzudenken. Aber auf politischer Ebene müsse es künftig eine Trennung zwischen Staat und Glauben geben. Ein Modell könnte die säkulare Türkei sein. Für dieses Vorhaben haben nach Pohlys Informationen einflussreiche Stammesälteste, Kommandanten und Intellektuelle ihre prinzipielle Zustimmung signalisiert. Die Union der freiheitsliebenden Kämpfer - zu ihr gehören auch lange Zeit untergetauchte Professoren und Techniker der Hilfsorganisationen - hat sich vor kurzem immerhin auf ein gemeinsames "Manifest der demokratischen Opposition Afghanistans" verständigt. Gehör konnten sie sich dennoch nicht verschaffen. "Der Westen hat die alten, undemokratischen Gruppierungen wie die Nordallianz wieder groß und stark gemacht. In Kabul und anderswo kehren die Islamisten zurück an die Macht", sagt Pohly.

Aber ist es überhaupt zulässig, in Afghanistan westliche Maßstäbe anzulegen und auf ein Parteiensystem und Gewaltenteilung zu hoffen? Citha Maaß von der angesehenen Stiftung Wissenschaft und Politik spricht statt von demokratischen lieber von zivilen Kräften. Das seien Menschen, die nicht den Kriegsparteien zuzuordnen sind. Dazu gehörten zum Beispiel Ärzte, Lehrer und NGO-Mitarbeiter, die "modernen" Ansichten aufgeschlossen seien. Diese sollen vor allem vom Wiederaufbau-Programm für Afghanistan profitieren. "Für Stammesfürsten, die solche Ideen und Vorstellungen ablehnen, wird es kein Geld geben."

Maaß hofft auf eine langfristige Wirkung der humanitären Hilfe. Der Wiederaufbau sei die Voraussetzung für eine mögliche soziale Umschichtung. "Vielleicht gibt es dann in zwei, drei Jahren neue Kräfte in Afghanistan, die auch demokratisch gesinnt sind." Das wäre eine vielversprechende Investition in die Zukunft des geschundenen Landes.

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