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Von Abwanderung bis Wirtschaftswachstum: 25 Fakten zu 25 Jahren Deutsche Einheit

Seit zweieinhalb Jahrzehnten versucht Deutschland zusammenzuwachsen. Weil es zusammengehört. Wo stehen wir heute bei der Vereinigung?

Von Matthias Schlegel

Aus der Sicht des Historikers sind 25 Jahre ein Wimpernschlag. Für die Menschen in Deutschland aber waren die vergangenen zweieinhalb Jahrzehnte eine überaus ereignisreiche, bewegende Lebensphase - für die Ostdeutschen mehr noch als für die Westdeutschen. Zwei grundsätzlich unterschiedliche Wirtschafts-, Währungs- und Sozialsysteme zu vereinen, zwei gänzlich verschiedene Erfahrungs- und Wertesysteme zusammenzubringen und ein beträchtliches Wohlstandsgefälle auszugleichen offenbarte sich als eine Aufgabe, die immer größer erschien, je weiter die Zeit nach den Jubelfeiern vom 3. Oktober 1990 voranschritt. Wo wir heute stehen im Prozess des Zusammenwachsens, bilanzierte am Dienstag das Statistische Bundesamt. Wir haben beispielhaft 25 Fakten ausgewählt.

1. Seit der deutschen Vereinigung haben die neuen Bundesländer insgesamt zwei Millionen Menschen durch Abwanderung und die niedrigere Geburtenrate verloren. Entfiel auf die neuen Bundesländer 1991 noch ein Anteil von 18 Prozent der deutschen Bevölkerung, betrug er Ende 2013 nur noch 15 Prozent.

2. Zwischen 1991 und 2013 haben insgesamt 3,3 Millionen Menschen aus den neuen Ländern (ohne Berlin) „rübergemacht“ in den Westen. Im gleichen Zeitraum zogen von dort 2,1 Millionen Menschen in den Osten. Dieser für die neuen Bundesländer negative Saldo in der Wanderungsbewegung ist jedoch gestoppt: Bezieht man in die Bilanz zwischen Westen und Osten Berlin mit ein, sind 2013 erstmals mehr Menschen von West nach Ost gezogen.

3. Noch immer suchen vor allem junge Leute zwischen 25 und 30 Jahren ihr Glück im Westen: 2013 verließen 6661 mehr junge Menschen die neuen Bundesländer als dorthin aus dem Westen kamen. Umgekehrt ist es bei den 50- bis 65-Jährigen – in dieser Altersgruppe verzeichneten die neuen Bundesländer leichte Wanderungsgewinne.

4. Nicht mehr alle östlichen Bundesländer müssen sich Sorgen über Abwanderung machen: Brandenburg und Sachsen gewinnen mittlerweile an Bevölkerung. Und Spitzenreiter bei den Bevölkerungsverlusten ist inzwischen kein ostdeutsches Flächenland mehr, sondern ein westdeutsches: Nordrhein-Westfalen. Bevölkerungszuwachs verzeichneten 2013 Bayern, Berlin, Schleswig-Holstein, Brandenburg, Sachsen, Niedersachsen und Hamburg.

5. Unsichere Perspektiven im Osten Deutschlands und die verstärkte Abwanderung vor allem junger Frauen bewirkten, dass dort die Geburtenrate zwischen 1990 und 1994 drastisch einbrach – um mehr als die Hälfte auf nur 71 000 Geburten im Jahr. Dieser Trend kehrte sich danach um, und seit dem Jahr 2000 erblicken in den Ost-Ländern (ohne Berlin) wieder jedes Jahr rund 100 000 Kinder das Licht der Welt. In Westdeutschland, wo in den 90er Jahren noch jährlich rund 700 000 Kinder geboren wurden, hat sich nach einem Rückgang in den 90er Jahren die Zahl der Geburten pro Jahr bei etwa 550 000 eingepegelt.

6. In der DDR bekamen die Frauen bekanntlich viel früher Kinder als in der Bundesrepublik. 1989 lag das Durchschnittsalter bei der Geburt des ersten Kindes dort bei 22,9 Jahren, im Westen bei 26,8 Jahren. Nach der deutschen Einheit fielen in den neuen Ländern viele familienfördernde Maßnahmen weg, die berufliche Orientierung wurde schwieriger, und so wurde auch der Kinderwunsch länger zurückgestellt. Heute haben sich Ost und West in dieser Hinsicht nahezu angeglichen: 2013 lag das durchschnittliche Gebäralter in den neuen Ländern bei 28,1 Jahren, in den alten bei 29,5 Jahren.

7. In der DDR wurden auch viel mehr Kinder außerhalb der Ehe geboren als in der damaligen Bundesrepublik. Seit der deutschen Einheit stieg dieser Anteil in allen Bundesländern deutlich an, ist aber in den fünf Ost-Ländern heute noch immer signifikant höher, nämlich durchweg bei 60 Prozent und mehr. In den westlichen Flächenländern erstreckt er sich von 24 Prozent (Baden-Württemberg) bis 38 Prozent (Schleswig-Holstein). In Berlin beträgt er 51 Prozent.

8. Ein später Effekt der Abwanderung vor allem junger Leute und der niedrigen Geburtenrate in den neuen Ländern ist: Der Osten altert schneller. So ist dort der Anteil der Menschen über 65 Jahre in den vergangenen 25 Jahren um zehn Prozentpunkte gestiegen – doppelt so stark wie in den alten Bundesländern. In Sachsen und Sachsen-Anhalt stellen die über 65-Jährigen heute fast ein Viertel der Bevölkerung.

9. Dass die Lebenserwartung in den östlichen Bundesländern seit der deutschen Einheit deutlich gestiegen ist, ist zunächst ein erfreulicher Befund. Rein statistisch aber trägt er auch zum Ansteigen des Altersdurchschnitts bei. Zwar liegt die Lebenserwartung der 2012 Geborenen in allen neuen Ländern noch unter dem Deutschland- Durchschnitt von 77,7 Jahren bei Jungen und 82,8 Jahren bei Mädchen (bei letzteren liegt nur Sachsen über dem Durchschnitt). Doch sind die Zuwächse in der Lebenserwartung im Osten deutlich größer als im Westen.

10. Von den insgesamt 16,5 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland lebte 2013 der Großteil (87 Prozent) in den westlichen Flächenländern. In den Stadtstaaten waren es zehn Prozent. Also entfielen auf die neuen Bundesländer nur drei Prozent (569 000 Personen).

11. War 1991 der Anteil an Ein-Personen-Haushalten im Osten noch relativ gering (unter 20 Prozent), hat er sich mittlerweile deutlich erhöht. Hinter den Stadtstaaten Berlin, Hamburg und Bremen hat Sachsen mit 43 Prozent nun den höchsten Anteil an Ein-Personen-Haushalten.

12. Im Osten Deutschlands ist der Anteil der Familien mit einem Kind deutlich gestiegen: von 51 Prozent im Jahr 1991 auf 62 Prozent im Jahr 2013. In Westdeutschland ist dieser Anteil in den vergangenen 25 Jahren nahezu stabil bei 52 Prozent geblieben.

13. Beim Bruttoinlandsprodukt (BIP) hat der Osten eine mächtige Aufholjagd hingelegt: Der Zuwachs betrug in den 90er Jahren zum Beispiel in Thüringen 73,9 Prozent, in Brandenburg 68,5 Prozent, in Sachsen 58,6 Prozent. Im dynamischsten westlichen Bundesland, Bayern, lag der Zuwachs bei 18,6 Prozent.

14. Nach dem Jahr 2000 war ein wenig die Luft raus aus: Wachstumsstärkste Bundesländer zwischen den Jahren 2000 und 2013 waren Bayern, Baden-Württemberg und Niedersachsen. Mecklenburg-Vorpommern, Hessen und Sachsen-Anhalt befanden sich am Ende der Skala.

15. Während die neuen Bundesländer im Jahr 1991 rund 11 Prozent zum gesamtdeutschen Bruttoinlandsprodukt beisteuerten, waren es im Jahr 2013 knapp 15 Prozent.

16. Von dem Zusammenbruch der Industrie Anfang der 90er Jahre erholt sich der Osten nur schwer: Lag der Beitrag der neuen Bundesländer zur gesamtdeutschen Wertschöpfung des Verarbeitenden Gewerbes 1991 nur bei 3,7 Prozent, betrug dieser Anteil im Jahr 2013 immer noch nur 8,7 Prozent.

17. Das Programm „Aufbau Ost“ bescherte den neuen Bundesländern einen außergewöhnlichen Bauboom. So erhöhte sich die Bruttowertschöpfung des Baugewerbes zwischen 1991 und 1995 um enorme 160 Prozent. Von 1995 an verringerte sich dann der Anteil des Baugewerbes an der Bruttowertschöpfung im Osten besonders stark.

18. Seit 1991 wurden in Deutschland knapp acht Millionen Wohnungen neu gebaut. Die großzügigen Abschreibungsmodelle im Osten bewirkten, dass der Zuwachs an neuen Wohnungen dort überdurchschnittlich war. Der Höhepunkt dieser Entwicklung war 1997.

19. Die Arbeitsproduktivität, also die Wirtschaftsleistung bezogen auf die Zahl der Erwerbstätigen, lag 1991 in den neuen Bundesländern rund zwei Drittel unter dem Wert für die alten Bundesländer. Trotz einer dynamischen Entwicklung dieser Kennziffer im Osten ist der Abstand noch immer beträchtlich: Im Jahr 2013 betrug die Differenz gegenüber dem Westen noch etwa ein Viertel.

20. Zwar zieht es deutschlandweit immer noch die meisten Touristen nach Bayern. Aber Mecklenburg-Vorpommern hat sich mit 17 297 Übernachtungen je 1000 Einwohner mit weitem Abstand vor Schleswig-Holstein zum dynamischsten Tourismus-Standort entwickelt. Berlin liegt bei dieser Kennziffer auf dem dritten Rang.

21. Die Löhne und Gehälter plus Sozialbeiträge der Arbeitgeber, also die Arbeitnehmerentgelte, betrugen 2014 in Ostdeutschland rund 32 800 Euro, in Westdeutschland gut 39 900 Euro. Damit waren die Lohnkosten im Osten rund 18 Prozent niedriger als im Westen. Was einen Standortvorteil für die Unternehmen bedeutet, wirkt sich auf die Haushaltseinkommen negativ aus.

22. Den Haushalten in Ostdeutschland standen im Jahr 2012 mit einem durchschnittlichen monatlichen Bruttoeinkommen von 3151 Euro nur 75 Prozent des vergleichbaren Einkommens im Westen zur Verfügung. Die Konsumausgaben der privaten Haushalte lagen 2012 in Ostdeutschland bei 79 Prozent des Westniveaus. Für Wohnen, Essen, Trinken und Bekleidung geht gut die Hälfte drauf – in Ost wie in West.

23. In Westdeutschland waren 2013 rund 34,2 Millionen Menschen erwerbstätig – das waren 13,3 Prozent mehr als 1991. In Ostdeutschland gab es 2013 rund 5,8 Millionen Erwerbstätige. Das waren 14,4 Prozent weniger als 1991.

24. Bei der Versorgung mit Kita-Plätzen liegen die ostdeutschen Bundesländer nach wie vor weit vor den westdeutschen. Beträgt im Osten (einschließlich Berlin) die Betreuungsquote 52 Prozent, liegt sie im Westen bei lediglich 27 Prozent. Doch Ost und West haben sich angenähert: Bundesweit befand sich 2014 knapp ein Drittel der Kinder unter drei Jahren in einer Kinderbetreuung – fast doppelt so viele wie 2008.

25. Am Jahresende 2013 waren in Deutschland 357 252 Ärztinnen und Ärzte tätig – 46 Prozent mehr als 1991. Allerdings stieg auch der Anteil der in Teilzeit arbeitenden Mediziner. Die Ärztedichte ist in ganz Deutschland zwischen 1991 und 2013 um 45 Prozent gestiegen, wobei sie in den östlichen Bundesländern überdurchschnittlich zugenommen hat – zwischen 55 Prozent in Sachsen und jeweils 66 Prozent in Brandenburg und Thüringen. Allerdings wirkte sich dabei auch der Bevölkerungsrückgang aus.

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