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Die Probleme Europas stehen ihr bis zum Hals.

© dpa

Von Ceta bis Brexit: Die EU - schlimmer wird's immer

Ob Ceta, Brexit, Flüchtlinge oder Griechenland: Die Europäische Union steckt in der tiefsten Krise ihrer Existenz. Ist Angela Merkel die letzte Hoffnung auf Rettung? Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Malte Lehming

In Abwandlung eines Bonmots von Wilhelm Busch lässt sich über die Europäische Union sagen: Der Fatalismus, dieser Satz steht fest, resultiert stets aus dem Schrecken, den man lässt. Man summiere nur einige der jüngsten Nachrichten.

Erstens: Das Freihandelsabkommen mit Kanada, Ceta genannt, über das sieben Jahre lang verhandelt worden war, könnte scheitern, weil die 3,6 Millionen Einwohner zählende belgische Provinz Wallonien nicht zustimmt.

Zweitens: Italiens Premier Matteo Renzi will an seinen Haushaltsplänen festhalten, obwohl sie den Euro-Stabilitätskriterien widersprechen. „Wir wollen auf die Bedürfnisse der italienischen Bürger eingehen, nicht auf die Brüsseler Technokratie“, sagt er.

Drittens: In der griechischen Rentenkasse klafft ein 17-Milliarden-Euro-Loch, außerdem steigen die Schulden des Landes weiter. Im zweiten Quartal 2016 beliefen sie sich auf 315 Milliarden Euro, das sind 179,2 Prozent der Wirtschaftsleistung. Im Vorquartal waren es 309 Milliarden Euro.

Viertens: Täglich werden Tausende Zufluchtsuchende gerettet, die mit Holz- oder Schlauchbooten von Nordafrika in Richtung Italien aufbrechen. Ein funktionierendes System, das klar zwischen Flüchtlingen und Migranten unterscheidet, gibt es immer noch nicht.

Fünftens: Der Brexit, der das britische Pfund zwischenzeitlich auf ein 186-Jahrestief hat fallen lassen, wird im kommenden Jahr zu erheblichen ökonomischen Turbulenzen sowohl im Vereinigten Königreich als auch in Kontinentaleuropa führen.

Sechstens: Im Bereich der Digitalisierung hinken Deutschland und Europa den USA weiter hinterher. Zur Illustration: Das Bezahlunternehmen Paypal, gegründet vor knapp zwanzig Jahren, ist an den Finanzmärkten bereits mehr wert (40 Milliarden Euro) als Deutsche Bank (23 Milliarden Euro) und Commerzbank (10 Milliarden Euro) zusammen.

Unter Merkels Augen ist Europa in den Schlammassel geraten

In die Liste des Argen und der Ärgernisse, die unendlich lang zu sein scheint, könnte man auch Russland – Ukraine, Syrien, Hackerangriffe – aufnehmen und mit Bangen den Wahlen in Frankreich (Marine le Pen) und den Niederlanden (Geert Wilders) entgegensehen. Am alarmierenden Befund würde das freilich nichts ändern: Die Europäische Union steckt in der tiefsten Krise ihrer Existenz.

Was folgt daraus für die Bundesregierung, allen voran Angela Merkel, die angeblich starke Frau Europas? Für Joschka Fischer, den ehemaligen Außenminister der Grünen, ist die Sache klar. Weil es weder Instabilität noch Unfähigkeit geben darf, muss Merkel – möglichst in einem Zweierbündnis – Kanzlerin bleiben. Der letzte Fels in der Brandung. Die letzte Hoffnung in einem Meer der Hoffnungslosigkeit.

Doch wie soll Merkel, die immerhin seit elf Jahren regiert, den Wählern vermitteln, dass sie die einzige ist, die Europa aus jenem Schlamassel befreien kann, in den der Kontinent unter ihren Augen geraten ist? Ob Griechenland, Flüchtlinge, Brexit: Zu vieles verbindet sich mit ihrem Namen und ihrer Politik, als dass der Spruch vom Bock, der hier zum Gärtner gemacht werden soll, nicht fast zwangsläufig plausibel klingt.

Das große Projekt der europäischen Einheit braucht Regeln, die unter glaubhafter Sanktionsdrohung verbindlich sein müssen. Es braucht mehr Mehrheitsentscheidungen. Es braucht, auf Euro- Ebene, starke finanzpolitische Eingriffsmöglichkeiten. Das alles wird verschleppt. Dabei ist Europa ein Problem, das durch Aussitzen immer größer wird.

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