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Politik: Von der Freiheit des Wählens

Von Antje Vollmer

Die guten Einzelspieler die wir haben, spielen nicht optimal zusammen“ (W. Schäuble). Wohl wahr! Und schwer zu ergründen, warum ein so redlicher und erfahrener Politiker wie Franz Müntefering ausgerechnet auf dem Höhepunkt der Koalitionsverhandlungen die westfälische Primadonna spielt oder warum ein Edmund Stoiber sich selbst und seine Partei freiwillig ins Abseits stellt.

Dabei gibt mir ein Aspekt immer mehr zu denken. Viele der chaotischen Ereignisse des letzten Jahres haben mit Wahlvorgängen im engeren Sinn zu tun. Am 22. Mai hatten die Wähler ein klares Votum für einen Regierungswechsel in NRW abgegeben, der Gerhard Schröder so unerträglich erschien, dass er einen anderen Wahlvorgang, den Regierungsauftrag für RotGrün, für nicht mehr durchführbar hielt. Um dem Akzeptieren einer Niederlage zu entgehen, musste erst einmal das Parlament sich selber abwählen. Dass das nicht ohne äußersten Druck und allerlei Nötigung vonstatten ging, lag auf der Hand. Das Ergebnis, wie man am 18. September sehen konnte, war dann nicht so segensreich wie erwartet. Faktisch bewirkte es, dass Deutschland nahezu ein Dreivierteljahr außen- und innenpolitisch handlungsunfähig ist.

Ein nicht ganz so schwerwiegender, aber doch auch bedeutsamer Wahlvorgang fand am 18. Oktober bei der Neukonstituierung des Bundestages statt. Die PDS schickte ihren Vorsitzenden in den Wahlgang, ein Novum in der Parlamentsgeschichte. Bis dahin stand das Parlamentspräsidium in gewisser Weise über den Parteien, in Großbritannien muss man dafür die Parteimitgliedschaft ganz aufgeben. In einem offensichtlich spontanen und von niemandem organisierten Votum fand dieser Parteivorsitzende keine Mehrheit im Parlament. Daraufhin wurde noch mal und noch mal gewählt, mit eindringlichster Aufforderung, doch jetzt zu gehorchen. Von der Linkspartei heißt es nun, sie sei wieder „ausgegrenzt“, „Märtyrer“, Opfer von Diskriminierung. Dabei hatte das gleiche Parlament schon einmal anstandslos im ersten Wahlgang die PDS-Abgeordnete Petra Bläss gewählt. Haben Abgeordnete nun eine Wahl oder nicht? Wenn nicht, muss man entsenden, aber das verändert den Grundcharakter des Präsidiums eines Parlaments.

Dritter Vorgang: Im Vorstand der SPD wurde über einen Vorschlag für einen Generalsekretär in geheimer Wahl abgestimmt. Es war eine Wahl, so hieß es. Hinterher tritt der Vorsitzende zurück, weil ihm das Wahlergebnis nicht passt. Die Kandidatin wird nachhaltig beschädigt, der Vorsitzende und die Partei auch. Wenn es gar keine Wahl gab, hätte man auch nicht wählen sollen.

Freie Wahlen sind die Uraktionen der Demokratie. Es liegt in der Natur der Sache, dass es dabei Niederlagen geben kann. Wer deswegen die Wahlfreiheit selbst aufhebt, erzeugt Unfreiheit in jenem Prozess des Wählens, der nur in Freiheit existieren kann. Basta-Worte, Druck ausüben, Nötigen, Opferrollen zelebrieren, Niederlagen nicht ertragen können, das alles beschädigt diese Freiheit.

Die Grünen-Politikerin war in der vergangenen Legislaturperiode Bundestags-Vizepräsidentin. Sie gehört dem neuen Parlament nicht mehr an.

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